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# taz.de -- Berliner Szenen: Der Bibliothekslauf
> Vor dem Grimm
Sonntagmorgen, 9.15 Uhr, in Mitte: Studierende in der Klausurenphase sind
nervöse Geister, denn Arbeitsplätze im Grimm-Zentrum, der Bibliothek der
Humboldt-Universität, sind begehrt. Etwa 200 Lernwillige versammeln sich am
Seiteneingang, trinken Kaffee und rauchen Selbstgedrehte. Viele, ganz in
Schwarz gekleidet, können ihren Stolz nicht verbergen, sonst stehen sie um
diese Zeit vor dem Berghain Schlange. Jetzt warten sie vor dem „Grimm“, das
gleich um 10 Uhr öffnet.
Los geht es, wenn die beiden Glastüren zur Vorhalle der Bibliothek
aufgeschlossen werden. Drängeln, schubsen, Geschrei. Menschen fallen,
werfen ihre Sachen auf den Boden: Rucksäcke, Klappfahrräder, Outdoorjacken.
Dann, ausgestattet nur mit Buch oder durchsichtigen Wasserflaschen, rennen
die Schnellsten zu ihren Wunscharbeitsplätzen.
Ziel ist ein Stuhl auf den lichtdurchfluteten Stufenterrassen in der Mitte
der Bibliothek. Hauptsache: hell. Gerade die Profis – die, die kurz vor
Abgabe ihrer Masterarbeit stehen oder fürs Staatsexamen pauken – wissen
genau, worauf’s ankommt: Effizienz und Schnelligkeit. Auf dem Weg die
Treppen hinauf stolpern einige – über fünf Etagen verteilen sich die
Eilenden im Grimm-Zentrum: zu klein die Schritte, zu groß die Stufen. Hat
da wirklich jemand geschubst?
Nach zwei Minuten ist der Spuk vorbei. Die Schnellsten haben einen Platz
reserviert, dort ihr Handtuch ausgelegt, wo es sich gehört: ein Tisch mit
eigener Steckdose, nicht zu weit weg vom Klo, nicht zu nah dran.
Plötzlich sind alle wieder lässig. Man geht zu den Schließfächern oder eine
rauchen. Lautstark wird jetzt das Geschehene reflektiert, der
selbstironische Umgang mit der eigenen Beknacktheit gehört dazu. Ein Platz
im dunklen Seitengang ist keine Option. Hell muss er sein.
Julius Betschka
12 Jul 2017
## AUTOREN
Julius Betschka
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