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# taz.de -- Eine politische Dauerbaustelle
> Theaterfestival Die Rolle der Kunst als soziales Korrektiv, das
> beschwören die 19. Schillertage in Mannheim. Und laden zur Diskussion des
> Begriffs Freiheit ein
Bild: Kurz vor Weltende, die Schicksalsgemeinschaft in „Heuvolk“
von Gisela Stamer
„Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.“ Mit diesem Zitat von Friedrich
Schiller beginnt eines der Grußworte, die im Programmheft zu den nach ihm
benannten Schillertagen in Mannheim entrichtet werden. Das biennale
Theatertreffen rühmt sich als einziges europäisches Festival, des
literarischen Urgesteins allein zu gedenken. Klar, hier hat Schiller 1782
seine „Räuber“ uraufgeführt, das Nationaltheater Mannheim nennt sich
deshalb Schillerbühne.
Seit Wochen werben Poster mit übermalten Gesichtern von Rechtspopulisten
und Despoten wie Le Pen oder Erdoğan und einem Politclown wie Trump für das
neuntägige Großereignis. Das Festivalmotto „Nach der Freiheit ist vor der
Freiheit“ erinnert, dass Freiheit immer wieder aufs Neue erkämpft werden
muss. Ausgehend von Schillers Freiheitsbegriff wolle man bei dem Mannheimer
Zusammentreffen von klassischen Bühnenstücken und neuen Theaterproduktionen
die Frage thematisieren, „was mit unserem Gut Freiheit zurzeit passiere und
damit provozieren“, so Intendant Burkhard Kosminski.
Aufrüttelnd wirkte in jedem Fall die Brandrede Boualem Sansals zur
Festivaleröffnung. Der algerische Schriftsteller und Intellektuelle, der in
seinem Land selbst Opfer von Zensur und Gewalt ist, malt in einem an
Metaphern reichen Manifest ein düsteres Bild der Conditio humana. In einer
Welt, in welcher der Mensch zur Rationalisierung seiner selbst am besten
gleich abgeschafft werden soll, in der Globalisierung und Digitalisierung
repressiven Herrschaftssystemen als Machtinstrumente dienen, sei die
persönliche Freiheit jedes Einzelnen in Gefahr.
Das Format, in welchem er zur medialen Revolution einlädt, lässt
schließlich aber keinen Raum für Diskussion. Bedauerlicherweise. Begossenen
Pudeln gleich verlassen viele ZuhörerInnen den Saal.
Ansonsten hätte der Freigeist Schiller gegen die Art, wie in der
Arbeiterstadt dieses Jahr – seit 1978 mit Unterbrechung zum 19. Mal – die
Rolle der Kunst in ihrer Verantwortung als soziales Korrektiv beschworen
wird, nichts einzuwenden gehabt. Während typische Bildungsbürger bei
Gastspielen aus Berlin, München, Weimar und Basel auf ihre Kosten kommen,
sind die Jüngeren, (noch) nicht Arrivierten, die oft erst noch fürs Theater
gewonnen werden müssen, eher bei den „Specials“ anzutreffen. Allen voran
bei den Schill-outs, auf welchen nach Vorstellungsende Bands wie Woods of
Birnam um Sänger und Schauspieler Christian Friedel im Theaterfoyer
kräftig einheizen.
Dort spiegelt sich die „Dauerbaustelle Freiheit“ in einem Raumkonzept, das
bei jedem neuen Betreten einengend, beklemmend wirkt. Absperrungen aus
Metallzäunen und Baugerüste seien nicht nur kostengünstig, so einer der
Ideengeber, sie sollen ganz bewusst an Erstaufnahmelager für Flüchtlinge
erinnern.
## Fünfhebige Jamben
Auch bei der Auftragsarbeit „Heuvolk“ des deutsch-dänischen Performanceduos
SIGNA war der Altersdurchschnitt der Besucher, die sich auf die circa
sechsstündige Theaterinstallation des Künstlerkollektivs einließen,
deutlich niedriger als beispielsweise in der Münchner Inszenierung von
„Maria Stuart“, die von den Kammerspielen nach Mannheim geschickt wurde.
Was ein Schiller-Krimi hätte werden können, kam mit fünfhebigen Jamben als
„großes Sprechtheater“ durchaus kontrovers daher, von einigen Besuchern
beim Bier auf dem Theatervorplatz in den höchsten Tönen gelobt, von
anderen als „Schlafmittel“ denunziert. Die schöngeistige Regie von Andreas
Kriegenburg war als Beitrag zu einem politischen Festival-Diskurs wenig
hilfreich: Die Aktualisierung des Stücks musste sich das Publikum, so weit
gewillt, selbst dazudenken.
Da trug das Endzeitszenario um die Sekte der „Himmelsfahrer“ in SIGNAs
„Heuvolk“ mehr gesellschaftliche Sprengkraft in sich. Auf dem Gelände einer
ehemaligen US-Army-Kaserne in Mannheim-Käfertal hatte die Gruppe, die im
europäischen Raum als Vorreiterin des immersiven Theaters gilt, in
langwieriger Detailarbeit eines der leer stehenden Gebäude des
Benjamin-Franklin-Village für einen zwangsneurotischen Abend um den
fiktiven Guru Jacob Wolcott mit 45 Schauspielern und 60 Zuschauern perfekt
vorbereitet.
Konsequent ziehen die wie Amish gekleideten Mitglieder des
Schauspielerkollektivs die Zuschauer in ein religiöses System von
Erlösungsfanatismus und Heilserfahrung hinein. Mit befremdlichen Handlungen
huldigen sie verschwörerisch ihrem verstorbenen Sektenführer, um mit seiner
Hilfe für die Himmelfahrt der Glaubensgemeinschaft bei Weltende zu sorgen.
Ihre verkorksten Rollenbiografien erklären, weshalb sie sich in die
Isolation dieser extremistischen Glaubensgruppe begeben haben.
Um ihrer Verabredung gerecht zu werden, spielen die stark befremdeten
„Zuschauer“ mit. Sie grüßen Schreine, um die böse Wirkung der „Trickst…
zu vertreiben, nehmen an rituellen Waschungen teil oder assistieren bei
ekstatischen Ritualen, ohne jemals durch die sanftmütige Oberfläche der
Hirngewaschenen zu dringen. Die Radikalität von SIGNAs Spielweise macht
Angst und hallt noch lange nach.
23 Jun 2017
## AUTOREN
Gisela Stamer
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