# taz.de -- Panter I Der Bund erschwert syrischen Geflüchteten die Rettung ihr… | |
Bild: Sie engagieren sich für Familien: Reem Wannous (vorn), Hussein Masoud, D… | |
von Mareike Barmeyer | |
Wir bringen Familien zusammen“, sagt Martin Keune, Vorstandsvorsitzender | |
des Flüchtlingspaten Syrien e. V. Er sitzt vor einer Karte Syriens im Büro | |
des Vereins in Berlin. Neben ihm steht ein so oranges wie durchgesessenes | |
Sofa, das nicht ganz zum eleganten Aussehen Keunes passen will. | |
Gleichwohl: Der Verein hat sich im März 2015 in einer bis dahin kaum | |
bekannten Nische der Flüchtlingshilfe gegründet: Er unterstützt syrische | |
Flüchtlinge finanziell, logistisch und durch Verpflichtungserklärungen. Der | |
Familiennachzug von Syrien nach Deutschland ist schwer geworden, weil er an | |
den Flüchtlingsstatus gebunden ist, den allerdings immer weniger der nach | |
Deutschland geflüchteten Syrer bekommen. „Sie haben keine Möglichkeit mehr, | |
ihre Angehörigen herzuholen“, erklärt Keune. „Es sei denn auf unserem Weg | |
über eine Bürgschaft.“ | |
Eine nicht ganz unkomplizierte Geschichte: Die Person, die ihre | |
Familienmitglieder nach Deutschland holen will, die sogenannte | |
Referenzgeber*in, muss seit einem Jahr in Deutschland gemeldet sein. | |
Nicht irgendwo in Deutschland, sondern in einem von fünf Bundesländer. Zwei | |
Jahre nach der sogenannten Flüchtlingswelle gibt es von den dreizehn | |
Landesaufnahmeprogrammen, die in allen Bundesländern – bis auf Bayern – | |
existierten, nur noch fünf. Lediglich in Berlin, Brandenburg, Hamburg, | |
Schleswig-Holstein und Thüringen besteht noch die Möglichkeit, mit | |
Bürgschaften Angehörige syrischer Flüchtlinge herzuholen. | |
Keunes Verein kümmert sich dabei um Berlin und Brandenburg. Die Idee kam | |
ihm, weil er die Lösung für ein Problem suchte. Im November 2014 hatten er | |
und seine Frau zwei junge Syrer in der alten Jugendwohnung ihrer Söhne | |
untergebracht. Die beiden Männer machten sich, der geglückten Flucht zum | |
Trotz, Sorgen um ihre Eltern, die sie in Syrien unter IS-Bedrohung | |
zurückgelassen hatten. Keune fand heraus, dass man eine | |
Verpflichtungserklärung, damals noch unbefristet – jetzt sind es fünf Jahre | |
– unterschreiben kann, damit alle Kosten übernimmt und so die Eltern nach | |
Deutschland holen kann. „Ich habe mir den Zettel mit den Bedingungen | |
durchgelesen“, sagt Keune, „und habe gedacht: So bescheuert kann man nicht | |
sein. Das ist eine so hohe Belastung für einen Einzelnen, dass man diesen | |
Weg kaum gehen kann.“ | |
Dann traf er den Rechtsanwalt Ulrich Karpenstein, der schon einen | |
Miniverein gegründet hatte mit dem Ziel, selbst die Bürgschaft zu | |
unterschreiben, das Geld aber zu gleichen Teilen auf alle fünf Mitglieder | |
zu verteilen. „Super“, sagte sich Martin Keune, „aber es müssten nicht f… | |
Menschen sein, die Geld zusammenbringen, sondern 5.000. Dann könnten wir | |
auch vielen anderen sagen: Ihr könnt unterschreiben, 5.000 Menschen stehen | |
für die Verpflichtung ein.“ So war das Projekt Flüchtlingspaten Syrien e. | |
V. geboren. „Aus den zwei Leuten, für die ich damals unterschrieben habe, | |
sind jetzt 205 geworden“, sagt Keune stolz. | |
Inzwischen erreichen den Verein 15 bis 20 Anfragen pro Tag. Leider ist die | |
Antwort, die sie allermeist geben müssen: „Nein.“ „Das ist der schwerste | |
Teil der Arbeit“, sagt Keune. Sie sind ein kleiner Verein und gehen eine | |
große finanzielle Verpflichtung ein: Sie können nur so viele Menschen | |
holen, wie ihr Budget – ihre Spendeneinnahmen – es zulassen. Für jeden Fall | |
erarbeiten sie ein Gefährdungsprofil mit der Stiftung Politik und | |
Wissenschaft in Berlin und versuchen, extrem Gefährdete schneller | |
herauszuholen als andere. Ihre Philosophie: Lieber für wenige alles tun, | |
als für alle wenig. | |
## Wenn die Ausländerbehörde die Bonität prüft | |
„Wenn genug Spenden zusammengekommen sind und jemand ausgewählt worden ist, | |
dann geht alles schnell“, erzählt Katrin Albrecht, die Geschäftsführerin | |
des Vereins. Die Unterlagen der Referenzgeber*in und die der | |
Verpflichtungsgeber*in, gehen an die Ausländerbehörde. Die prüft die | |
Bonität der Bürg*in – man muss 2.200 Euro netto verdienen, um bürgen zu | |
können. Die Bürg*innen müssen nicht wirklich zahlen, der Verein übernimmt | |
die Kosten für Lebensunterhalt und Miete von den Spenden der Pat*innen. | |
Wenn die Verpflichtungserklärung unterschrieben ist, geht eine Mail an eine | |
Botschaft nach Wahl – meistens nach Beirut. Und dann dauert es noch circa | |
einen Monat, bis sie, die Neuankömmlinge, hier sind. | |
Albrecht und Keune berichten von den emotionalen Momenten am Flughafen, | |
wenn sich die Familienmitglieder in die Arme schließen, nachdem sie so | |
lange große Angst um einander gehabt haben „Es gibt unterschiedlich | |
schnelle Einstiege in das Leben hier“, sagt Albrecht, „aber sofort | |
angekommen ist niemand – auch nicht mit dem Flugzeug.“ Da die | |
Referenzgeber*in schon mindestens seit einem Jahr hier lebt, kennt sie sich | |
ein bisschen aus und kann die Neuankommenden unterstützen. „Der | |
Familiennachzug ist ein viel besserer Garant für Integration als ein | |
verzweifelter Einzelner, der sich um die Zurückgebliebenen Sorgen macht.“ | |
Inzwischen hat der Verein 4.300 Pat*innen in ganz Deutschland mit einem | |
Durchschnittsspendenbetrag von 25 Euro im Monat. In einem gemeinsamen Pool | |
kommen monatlich 100.000 Euro zusammen. „Unglaublich viel Geld“, sagt | |
Keune. Geld, das exakt auf den Cent den Lebensunterhalt und die Miete von | |
205 Leuten deckt. 450 Euro monatlich benötigen sie für ein Kind, 600 Euro | |
für einen Erwachsenen. Sobald dieser Betrag an Patenschaften wieder neu | |
hereingekommen ist, können sie zu einem neuen Bürgen sagen: „Du kannst | |
unterschreiben, wir garantieren, dass wir das übernehmen können.“ | |
Der Stand an monatlich wiederkehrende Patenschaften ist immer weiter | |
gestiegen. Das liegt daran, meint Keune, dass es kein abstraktes, anonymes | |
Spenden ist. Außerdem sind „das Geschichten, die sehr konkret erzählbar | |
sind. Es geht nicht um „den Syrer“ oder „den Geflüchteten“, sondern um | |
„eine Mutter oder eine Schwester“. Keune sieht die Arbeit des Vereins auch | |
als ein „starkes politisches Türoffenhalten, wo alle anderen Türen, die | |
hier herführen, zugeschmissen werden.“ Der Verein benutzt die | |
Landesaufnahmeprogramme, die noch existieren, und „macht sie zu einem | |
starken Instrument einer Flüchtlingspolitik in Bürgerhand“. | |
„Wenn das Familienmitglied nun endlich in Deutschland angekommen ist, geht | |
es erst richtig los“, erklärt Dima Mahjoub, Familienkoordinatorin des | |
Vereins, die selbst vor fünf Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen | |
ist. Der Verein kümmert sich bei Bedarf um eine Wohnung und deren | |
Möblierung. Deshalb auch das apfelsinenfarbene Sofa neben Keune. Neunmal | |
die Woche finden Sprachkurse im Büro statt, und 40 ehrenamtliche Lotsen | |
helfen den Familien sich zu orientieren. „Auch wenn jeder ‚Fall‘ neue | |
Hürden mit sich bringt“, sagt Keune „ist es doch eine sehr effektive | |
Angelegenheit geworden. Dieses direkte Eins-zu-eins-Umsetzen, das finde ich | |
extrem glücklich machend.“ | |
Ein Aspekt, der nicht unwichtig scheint: Anderen solidarisch helfen zu | |
können, ist ein starker Faktor eines gutes Lebens. Der Verein würde gern | |
andere Bundesländer mit seiner Arbeit inspirieren. | |
In Thüringen und Hamburg hat es schon geklappt. Da haben sich Vereine nach | |
ihrem Vorbild gegründet – und retten, wie die Berliner, Menschen direkt aus | |
dem Krieg in Syrien auf sicherem Weg hierher. | |
24 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Mareike Barmeyer | |
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