# taz.de -- Der Blick von der anderen Seite | |
> Aussicht Vom Skywalk kann man über die gesamte Stadt blicken. Über den | |
> Dächern von Marzahn – vor genau 40 Jahren wurde hier die erste Platte | |
> gebaut – tun sich ganz neue Ansichten auf | |
Bild: Fast unendliche Weiten: Blick über Marzahn vom Skywalk aus, der 70 Meter… | |
Von Ivy Nortey (Text) und Wolfgang Borrs (Foto) | |
Gut 70 Meter über dem Boden steht eine Gruppe Rentner auf einem Häuserdach | |
und staunt hinüber in den Westteil der Stadt und auf den Fernsehturm am | |
Alex. Unten sind Menschen auf der Straße, klein wie Ameisen, | |
Trambahnlinien, winzig wie Raupen und Autos, auf Käfergröße geschrumpft. | |
Dazwischen ist alles grün. Und wer in die Weite schaut, sieht ganz Berlin – | |
mal aus einer anderen Perspektive. Von oben, von Marzahn aus. | |
Das Hochhaus in der Raoul-Wallenberg-Straße 40/41 ist eigentlich ein | |
normales Wohnhaus der Baugenossenschaft Degewo. Es hat 21 Stockwerke, alles | |
ist rechteckig, praktisch, gut. Das Haus sieht aus, wie all die anderen | |
Plattenbauten hier im Umkreis. Doch es bietet eine Besonderheit: Auf dem | |
Dach hat die Degewo den Skywalk installiert: Eine Aussichtsplattform über | |
den Dächern von Marzahn. | |
Die Attraktion soll Besucher nach Marzahn locken. „Damit Leute wenigstens | |
mal herkommen, bevor sie sich eine Meinung bilden“, sagt Oleg Peters, Guide | |
des Skywalks. „Das hier ist eine relativ elitäre Sache“, räumt er ein. �… | |
finden nur drei Führungen in der Woche statt.“ Aus Rücksicht auf die | |
Mieter. Das kleine Abenteuer ist kostenlos, geht aber nur mit Anmeldung. | |
Oleg Peters führt vom Erdgeschoss nach oben, drückt im Fahrstuhl den Knopf | |
für den 21. Stock. Noch einen Treppenabsatz hoch, durch die nächste Tür, | |
und schon steht man im Freien auf einem Podest aus Gitterplatten. Dann geht | |
es über ein paar Gitterstufen, die freischwebend außen am Haus montiert | |
sind, nach ganz oben. Durch die Gitterstufen ist der Abgrund zu sehen, 70 | |
Meter tief. Dann ist das Ziel erreicht, die Plattform auf dem Dach. | |
Der Weg dahin ist gar nicht so einfach, besonders, wenn man auf einen | |
Gehstock angewiesen ist. Aber die Rentner haben einen Grund, die löchrige | |
Stahltreppe zu erklimmen: „Damit man mal alle Himmelsrichtungen sieht, aus | |
einer anderen Perspektive“, sagt eine Besucherin. „Marzahn-Hellersdorf, | |
Berlins beste Aussichten“, sagt Peters ganz passend und wedelt | |
ausschweifend mit den Armen. Ein Flugzeug fliegt vorbei, knapp unter der | |
Wolkendecke, das könnte man fast am Bauch kitzeln. | |
Mit der anderen Perspektive, da hat die Besucherin recht. Eigentlich ist | |
Marzahn von außen betrachtet mehr Vorurteil als Realität. Für die Meisten | |
zumindest. Viele, die im Innenstadtring leben, denken doch: „Nicht grün, | |
nur Platte, alle arbeitslos, dominierende Farbe grau“ – damit zählt Peters | |
die Vorurteile über den Bezirk auf. Aber er hat noch eins vergessen: | |
Marzahns rechtes Images ist nicht zu bestreiten. Und außerdem liegt es | |
sozusagen am Arsch der Welt (zumindest für die meisten Bewohner des | |
Innenstadtringes). | |
Dabei seien diese Argumente seit Jahren überholt, sagt Peters. „Bäume | |
müssen eben auch erst mal wachsen.“ Und für viele Menschen war das hier mal | |
das (Wohn-)Paradies (siehe Seite 44, 45). | |
Baumkronen sieht man von hier oben aus tatsächlich viele. Klar, manche der | |
umliegenden Plattenbauten sind auch grau, aber viele sind bunt, und von | |
hier oben lässt sich weit darüber hinaus blicken. Es wurde hoch gebaut, mit | |
viel Freiraum. Dadurch wirkt hier zwischen den Häusern alles freier als in | |
der eng bebauten Innenstadt. | |
Im Osten ist der Wolkenhain, die Aussichtsplattform der Internationalen | |
Gartenausstellung, und die Seilbahn zu sehen. Eine weitere Errungenschaft | |
für Marzahn. Dahinter fällt der Blick auf das Zementwerk Rüdersdorf, wie | |
Oleg Peters erklärt. Dreht man sich entlang des Sonnenverlaufs weiter um | |
die eigene Achse, tun sich die Müggelberge auf, die Hochhäuser von | |
Gropiusstadt, das alte DDR-Kraftwerk und ganz in westlicher Ferne, und wie | |
ein schmaler Strohhalm, der Funkturm. Der Perspektivwechsel lohnt sich. | |
„Ditt war schön“, sagt eine Frau beim Abstieg. Die Dame ist fast 80 Jahre | |
als und aus Gropiusstadt angereist, „weil ich den Ausblick mal von der | |
anderen Seite genießen wollte“. | |
Ja, irgendwie schön hier in Marzahn. | |
8 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Ivy Nortey | |
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