# taz.de -- heute in Bremen: „Diffuse Solidarität“ | |
> Vortrag Michi Knecht spricht über Anonymität als gesellschaftliches | |
> Bindeglied | |
taz: Frau Knecht, ist es noch möglich, anonym zu sein? | |
Michi Knecht: Sicherlich ist es nicht mehr so einfach. Das viel beschworene | |
Ende der Anonymität gibt es aber nicht. Wir erleben gegenwärtig eher eine | |
Umgestaltung der Anonymität. | |
Aber heißt Anonymität nicht immer unerkannt sein? | |
Das stimmt. Es kommt aber drauf an, in welcher Form Anonymität | |
gewährleistet wird. Historisch neu ist, dass neben Namenlosigkeit und | |
Gesichtslosigkeit Anonymität vermehrt über eine Nichtrückverfolgbarkeit | |
ermöglicht wird. Und die ist für manche gesellschaftlichen Beziehungen | |
entscheidend. | |
Ist Anonymität nicht das Gegenteil von sozialer Teilnahme? | |
Sie ermöglicht besondere soziale Formen und Interaktionen. Das sehen wir | |
zum Beispiel beim Blut- oder Samenspenden, als eine Art der anonymen | |
Nichtbeziehung. Hier wird etwas gegeben, ohne dass die EmpfängerInnen das | |
erwidern können. Da ist interessant, wie die anonyme Samenspende in die | |
Identitätsbildung des Heranwachsenden integriert wird. Die | |
Nichtrückverfolgbarkeit stärkt zudem gesellschaftliche Gruppen. | |
Wie das, wenn doch alles anonym ist? | |
Ein Beispiel ist die anonyme Sexualität in schwulen Subkulturen. Durch das | |
Verschweigen der eigenen Person kann sie ungeachtet von Klassen- und | |
Bildungsgrenzen ausgelebt werden. Das kann zu einer diffusen, aber sehr | |
ausgeprägten Solidarität untereinander beitragen. | |
Interview Florian Schlittgen | |
18 Uhr, Rotunde im Cartesium, Enrique-Schmidt-Str. 5 | |
5 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Florian Schlittgen | |
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