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# taz.de -- Der Herero-Aktivist Seit fast 50 Jahren lebt Israel Kaunatjike in B…
Bild: „Ich habe damals überhaupt noch nicht verstanden, warum ich als Herero…
Von Julia Boek (Interview) und David Oliveira (Fotos)
taz: Herr Kaunatjike, seit 1970 leben Sie in Berlin. Haben Sie Heim- oder
Fernweh, wenn Sie an Namibia denken?
Israel Kaunatjike: Früher hatte ich mehr Heimweh nach Namibia. Aber wenn
ich heute dort bin, habe ich auch Heimweh nach Berlin. Es ist so ein
ständiges Hin und Her.
Gibt es ein Gefühl, das überwiegt?
Im Moment habe ich unwahrscheinlich viel Heimweh nach Namibia, weil ich
meinen Bruder Walter verloren habe. Mit dem war ich richtig eng verbunden.
Manchmal habe ich auch Heimweh, wenn ich namibische und südafrikanische
Musik höre.
Sie sind der einzige Herero-Aktivist in Berlin. Wann fing Ihr Engagement
für die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte von Deutsch-Südwestafrika an?
Bis Anfang der neunziger Jahre habe ich mich in der Anti-Apartheid-Bewegung
engagiert. Erst nach der Unabhängigkeit Namibias 1989 habe ich angefangen,
mich mit der deutsch-südwestafrikanischen Geschichte zu beschäftigen. Auch
in Namibia gab es eine Bewegung, ausgehend von der Hosea-Kutako-Stiftung.
Die fingen an, über den Völkermord an den Herero in Deutsch-Südwestafrika
zu forschen.
Wo sind Sie als Aktivist organisiert?
Ich bin in dem Bündnis „Völkermord verjährt nicht! Berlin Postkolonial“
organisiert. Und ich bin Ehrenmitglied in der Herero-Banderu-Stiftung in
Windhuk, ich vertrete die Herero hier. Ich bin außerdem als Zeitzeuge
aktiv, der die Apartheid und Herero-Geschichte erlebt hat.
Das ist ganz schön viel Arbeit für einen Siebzigjährigen …
Ja, aber das ist meine Mission. Solange wir keine Anerkennung des
Völkermordes, keine Reparationen von der Bundesrepublik Deutschland
erhalten haben, werde ich weitermachen. Und auch danach, denn Aufarbeitung
von Geschichte hat kein Ende. Seit 2004 fordere ich die Rückführung der
Schädel. In der Charité Berlin, in Freiburg, in Eppendorf gibt es so viele
Schädel.
Was sind das für Schädel?
Das sind Schädel von Häftlingen aus den Internierungslagern in
Deutsch-Südwestafrika, die zwischen 1905 und 1908 hierhergebracht wurden,
um die Rassenforschung am Kaiser-Wilhelm-Institut voranzubringen. Die
späteren NS-Mediziner Josef Mengele und Eugen Fischer waren auch daran
beteiligt. Seit ich davon erfahren habe, fordere ich, dass diese Schädel
zurück nach Namibia gehen. Die haben hier nichts zu suchen.
Warum ist es so schwierig, die Schädel zurückzubringen?
Die Universitäten und die Bundesrepublik sagten, das sei
Forschungsgeschichte. Aber wir von der Herero-Banderu-Stiftung haben
unheimlich viel politischen Druck ausgeübt, sodass wir 2011 die ersten
Schädel nach Namibia überführt haben. In Namibia waren damals Tausende
Menschen auf den Straßen. 2014 gab es eine zweite Überführung, und jetzt
sind wieder 16 Schädel fertig, um sie zurückzubringen. Dies sollte heimlich
geschehen: Die namibische Regierung und die Bundesregierung wollten die
Schädel, ohne die betroffenen Völker, die Herero und Nama, einzuladen,
einfach rüberschicken.
Wie viele Schädel liegen noch in der Charité?
Genau wissen wir das nicht. Wir schätzen 600 bis 3.000, allein aus Namibia.
Wie steht der Berliner Senat zur Aufarbeitung dieses kolonialen Erbes?
Ob früher Eberhard Diepgen oder die Bürgermeister danach, das Thema wurde
nie aufgearbeitet. Erst seit den letzten Jahren, seitdem ein bisschen Druck
da ist, hat sich das geändert. Der rot-rot-grüne Berliner Senat hat die
Aufarbeitung der Kolonialgeschichte erstmals in das Regierungsprogramm
aufgenommen. Erst jetzt fangen die an.
In Berlin gibt es auch immer noch Straßen, die nach Kolonialherren benannt
sind. Was empfinden Sie, wenn Sie die Lüderitzstraße in Wedding
entlanggehen, benannt nach dem ersten deutschen Landbesitzer in Namibia,
Adolf Lüderitz?
Als ich damals nach Berlin kam und die Lüderitzstraße sah, dachte ich, wow,
ich bin hier zu Hause. (lacht)
Sie hatten keine Ahnung …
Genau. Erst durch mein politisches Engagement habe ich begriffen, dass
Lüderitz ein Verbrecher, ein Betrüger war. Eine Straße nach ihm zu
benennen, das geht nicht. Stellen Sie sich vor, eine Straße hier würde
Adolf-Hitler-Straße heißen.
Nach wem sollte die Straße benannt werden?
Ich persönlich habe mich für den Namen Anna Mugunda entschieden. Anna
Mugunda war eine Frau, die damals, am 10. Dezember 1959, bei einem Aufstand
in der sogenannten Old Location, im Stadtteil für Schwarze in Windhuk, von
den Buren erschossen wurde. In Namibia ist sie eine Heldin. Es ist auch
deshalb mein Vorschlag, weil die Straßen hier fast nur nach Männern benannt
sind. Aber unsere Mütter haben auch gekämpft. Ohne meine Mutter hätte ich
im Apartheidstaat nie überlebt oder wäre vielleicht ein Straßenjunge
geworden. Meine Mama war die beste Frau überhaupt.
Wie erinnern Sie sich an Ihre Kindheit?
Ich bin mit meinem Bruder Walter bei meiner Mutter groß geworden. Wir waren
nicht reich. Meine Mutter war als Haushälterin bei einer deutschen Familie
angestellt. Die Apartheidzeit war sehr schwierig, ich bin in dieses System
der Rassentrennung geboren. Wir haben in der Old Location gewohnt. Diese
Gebiete waren schon von den deutschen Kolonialherren entworfen worden. Dort
habe ich in einer Blechhütte gelebt und bin in eine rheinische
Missionsschule gegangen.
Wie wirkt das Apartheidsystem in eine Kindheit?
Für uns Kinder war das wirklich sehr schwierig, weil wir nicht verstanden
haben, dass wir Menschen zweiter Klasse sind und die anderen alle
Möglichkeiten in unserem eigenen Land haben. In den Läden gab es eine Seite
für die Weißen und eine Seite für die Schwarzen. In den Parks gab es Bänke
für Non-Whites und Non-Blacks. Diese ganzen Razzien der Polizei – das hat
mein Leben geprägt.
Sie meinen die Razzien der Buren, der weißen Südafrikaner …
Ja. Am 10. Dezember 1959 gab es einen Aufstand in der Old Location. Da
haben die Buren auf Menschen geschossen, Freunde und Familienmitglieder
wurden erschossen. Das passierte nur drei Kilometer von uns entfernt. Wir
Kinder, ich war damals 12, sind dadurch politisiert worden. Ich bin dann in
die Swanu (South West African Nation Union, Anti-Apartheid-Partei)
eingetreten. Da bin ich immer noch Mitglied.
Damals war es gerade 50 Jahre her, dass die deutschen Kolonialherren Ihr
Land verlassen hatten. Haben Sie im Geschichtsunterricht jemals von
„Deutsch-Südwestafrika“ erfahren?
Überhaupt nicht. Wir haben nur die südafrikanische und die holländische
Geschichte gelernt. Von unseren Eltern haben wir ab und zu von
Deutsch-Südwestafrika gehört. Aber was die Deutschen hier gemacht haben,
dass sie schlechte Menschen waren, davon haben sie nichts gesagt. Komisch.
1964 haben Sie Namibia verlassen. Da waren Sie gerade 17 Jahre alt …
Ich hatte die Schnauze so voll von diesem System. In dieser Zeit nach dem
Aufstand in der Old Location hat sich meine ganze Denkweise verändert.
Damals habe ich gedacht, ich muss raus, eine Ausbildung im Ausland machen
und gegen Südafrika kämpfen.
Gingen Sie allein?
Ich bin zusammen mit einer Gruppe von politischen Aktivisten, der
Führungsriege der Swanu-Partei geflohen. Wir mussten nachts über die Grenze
nach Botswana. Dort waren überall Zäune, und wir mussten beim
Darübersteigen aufpassen, dass sie nicht wackeln. Sonst hätten uns die
Buren am Grenzturm bemerkt. In Botswana hat uns ein Parteimitglied
abgeholt, dann ging es weiter nach Sambia über den Sambesi rüber nach
Tansania. Das war sehr gefährlich, auch wegen der Elefanten und der
Schlangen. Ich hatte nur eine Decke von meiner Mutter und Geld mitgenommen,
sonst nichts.
Sie waren Befreiungskämpfer, aber eigentlich noch Teenager, weit weg von zu
Hause.
Ja, das war schwierig für mich. Ich hatte Sehnsucht nach zu Hause, war auch
ein bisschen traumatisiert. Wenn ich an meine Mutter gedacht habe, hörte
ich manchmal ihre Stimme, als hätte sie gerufen. Aber die anderen aus der
Gruppe haben mich wie ihren kleinen Bruder behandelt. Ich war der Jüngste,
sie waren mein Familienersatz.
Hatten Sie Kontakt zu Ihrer Mutter …?
Das ging nicht. In Namibia galten wir als Terroristen, die das Land
verlassen haben. Der südafrikanische Geheimdienst war immer wieder bei
meiner Mutter und hat nach mir gefragt. Meine Mutter war sehr hart im
Nehmen. Gott sei Dank ist sie von der südafrikanischen Polizei nicht unter
Druck gesetzt worden.
Wie kamen Sie dann nach Westberlin?
Von Tansania sind wir mit einem Militärstipendium weiter nach Sinai in
Ägypten gegangen. Dort wurde ich in einem Air-Force-Camp militärisch
ausgebildet für den Befreiungskampf.
Waren Sie überzeugt von diesem Kampf?
Ich war sehr überzeugt und sehr radikal. Wir wollten nach Namibia
zurückgehen und das Land von den Buren befreien.
Aber daraus wurde nichts. Stattdessen gingen Sie nach Europa.
Die Wege zurück nach Namibia waren blockiert. Wir hatten keine andere Wahl,
als Ausbildungen im Ausland anzufangen. Die Kommunistische Partei Polens
hat uns dann ein Stipendium gegeben, um bei Krakau eine Ausbildung als
Elektrotechniker zu machen. Die Polen waren sehr nett. Ich habe super
Erinnerungen an Krakau.
Trotzdem wollten Sie nicht dortbleiben …
Ich hatte einen Freund in Westberlin. Mit dem Zug bin ich dann ohne Geld
von Krakau nach Deutschland gefahren.
Sie haben sich einfach in den Zug gesetzt …
Ich habe den Schaffner hin und her geschickt. Sagte ihm, meine Fahrkarte
hat ein Freund, der sitzt da hinten. In Ostberlin bin ich schnell aus dem
Zug gesprungen. Mit meinem alten Flüchtlingspass aus Tansania bin ich zur
Friedrichstraße und damit über die Grenze gekommen. Wie, weiß ich auch
nicht.
Wie war Ihre Ankunft in Westberlin?
Dort hatte ich den Freund aus Namibia. Beide waren wir erst mal illegal in
Westberlin. Damals habe ich auch meine erste Frau kennengelernt. Als meine
Tochter geboren wurde, hatte ich noch keine Anerkennung. Und dann haben wir
Nora Schimming-Chase, nach der Unabhängigkeit Namibias die erste namibische
Botschafterin in Deutschland, getroffen. Die hat uns an die
Rechtsanwaltskanzlei von Hans-Christian Ströbele und Klaus Eschen
vermittelt. Dort haben wir politisches Asyl beantragt.
Was klappte …
Irgendwann kam die Anerkennung. Ich wurde als Anti-Apartheid-Kämpfer und
Herero anerkannt. Ich habe damals überhaupt noch nicht verstanden, warum
ich auch als Herero Asyl bekam.
Wie war der Alltag im Westberlin der siebziger Jahre?
In Westberlin haben wir zuerst bei meiner Schwiegermutter in Reinickendorf
gewohnt, weil wir keine Wohnung hatten. Damals gab es vom Senat noch eine
Förderung von 10.000 D-Mark für Familiengründungen. Wir bekamen dann auch
eine Wohnung in Neukölln. Ich fand einen Job als Monteur in einer
Heizungsmontagefirma, wo ich viele Jahre gearbeitet habe. Das war eine sehr
gute Zeit damals. Ich habe viele Freunde aus Südafrika, aus Mali gewonnen
und wir haben zu Hause immer Partys gefeiert. Deutsch habe ich vor allem
durchs Zeitunglesen gelernt.
Haben Sie als Namibier in Westberlin Diskriminierung erlebt?
Persönlich habe ich keine rassistischen Erfahrungen gesammelt. Es kommt
auch darauf an, wie du dich als Mensch präsentierst. Als Herero habe ich
gelernt, immer gerade zu laufen. Straight.
Was wäre für Sie ein gerechter Umgang der Bundesrepublik mit ihrer
südwestafrikanischen Kolonialgeschichte?
Ich bin für die gemeinsame Aufarbeitung mit namibischen Historikern und den
betroffenen Völkern, den Herero und den Nama. Ich möchte, dass diese
Geschichte in den Schulbüchern steht. Auch fordere ich eine offizielle
Entschuldigung von der Bundesregierung. Das ist für mich das Wichtigste.
Danach geht es um Reparationen, um Landraub, darum, dass wir Herero unser
Land verloren haben. Dazu müssen wir uns zusammensetzen, die
Bundesrepublik Deutschland und die betroffenen Communities der Herero
und Nama. Das war nach dem Holocaust auch nicht anders.
Glauben Sie, dass sich die Bundesregierung bei diesem Thema bewegt?
Durch unsere Arbeit im Bündnis „Völkermord verjährt nicht! Berlin
Postkolonial“ haben wir unheimlich viel bewegt. Ich glaube, wir schaffen
das.
Wollen Sie eines Tages zurück nach Namibia?
Das kann ich nicht. Ich habe meine Kinder und Enkelkinder hier. Namibia ist
nur zehn Stunden entfernt, da kann ich hinfliegen. Berlin ist meine
richtige Heimat geworden. Ich bin ein Berliner und Schöneberger.
1 Jul 2017
## AUTOREN
Julia Boek
David Oliveira
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