# taz.de -- Gewalt gegen Schwule: Jetzt reicht's langsam! | |
> Am Christopher Street Day feiern Schwule auch die eigene, gewaltsame | |
> Revolte – doch Opfer von Gewalt sind sie noch immer. Zeit für einen neuen | |
> Aufstand? | |
Bild: Folsom Street Parade in San Francisco. | |
Ausgerechnet in der Berliner "Pride Week", also der Woche vor dem | |
Christopher Street Day, wurden zwei Schwule im Stadtteil Treptow von jungen | |
Männern angegriffen. Einer von ihnen wurde lebensgefährlich mit einem | |
Messer verletzt. Auch während des schwullesbischen Stadtfestes kam es zu | |
hässlichen Übergriffen. Zugleich werden an diesem Samstag wieder tausende | |
von Schwulen, Lesben, Transgender und Transidenten ihre Parade abhalten. | |
Bestaunt und fotografiert von neugierigen Bürgern. Noch vor zwanzig Jahren | |
wurden sie bespuckt und mit Flaschen beworfen. Das darf man heute nicht | |
mehr. Immerhin. | |
Der CSD war mal eine richtige Demonstration und keine große Feier mit | |
schriller Maskerade und Bratwurst. Er erinnert an den ersten gewalttätigen | |
Aufstand von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten gegen die | |
Polizeiwillkür in der New Yorker Christopher Street im Stadtviertel | |
Greenwich Village. Was dort in den frühen Morgenstunden des 28. Juni 1969 | |
geschah, bildete den Auftakt zur modernen westlichen | |
Nachkriegs-Schwulenbewegung. | |
Im Jahr 2010, und nicht erst seitdem, häufen sich nun wieder Meldungen aus | |
vielen Ländern Europas, in denen Schwule, Lesben und Transgender Opfer von | |
gewalttätigen Übergriffen werden. In Rom rief man nach einem Brandanschlag | |
auf eine schwule Kneipe zum Sitzstreik auf, in Wien nach einer brutalen | |
Attacke auf einen jungen Schwulen zu einem "Kiss-in". Die Liste ließe sich | |
fortsetzen, ohne Bezug auf die finster-nationalistischen und | |
rechtsradikalen Zustände in Osteuropa nehmen zu müssen. | |
Zeit für einen neuen Aufstand? Ein neues Stonewall? | |
Warum setzen sich die Schwulen eigentlich nicht mal wieder deutlicher zur | |
Wehr, fragen wohlmeinende Linke, auch gerne im Kollegenkreis - womit sie | |
der Minderheit zugleich die Verantwortung für ihr Opfersein | |
zurücküberantworten. | |
Die Psychologin Melanie Steffens forscht an der Universität Jena unter | |
anderem über die Lebenssituation von Schwulen und Lesben. Sie sagt: | |
"Soziale Bewegungen, auch gewalttätige, formen sich am ehesten, wenn man | |
den Eindruck hat, man könne strukturell etwas ändern. Wenn es einen | |
identifizierten Feind gibt - die Polizei zum Beispiel, wie seinerzeit in | |
Stonewall. Gewalt gegen Schwule wird aber eher als etwas Individuelles | |
dargestellt - die Täter bleiben anonym, es sind immer andere, es wird von | |
offizieller Seite bedauert, dass so etwas passiert. Diese ganze Darstellung | |
ist nicht beförderlich, einen ,Aufstand' hervorzurufen." | |
Die Täter sind immer andere, auch wenn man auch ohne noch immer nicht | |
erstellte Tiefenstudie weiß, wer sie sind: nämlich in der Regel junge, in | |
der Adoleszenz befindliche Männer, die zugleich in prekären Verhältnissen | |
leben. Man weiß eigentlich auch, dass es in Berlin häufig junge Männer mit | |
Migrationshintergrund sind, das soll man aber nicht sagen - in der Realität | |
ist allerdings in dem von Übergriffen geplagten Schwulenviertel | |
Berlin-Schöneberg eine nicht mehr wegzudiskutierende Türkenfeindlichkeit | |
entstanden. | |
Im Münchener Glockenbachviertel, das mit Berlin-Schöneberg vergleichbar | |
ist, handelt es sich bei den Tätern meist um junge Männer mit | |
Landhintergrund. Man könnte auch sagen: junge Dorftrottel aus Niederbayern, | |
die ins Glockenbachviertel kommen, weil dies zur neuen Münchener | |
Amüsiermeile geworden ist. Das soll man so wohl auch nicht sagen, auch wenn | |
es wahr ist. | |
Können die Schwulen tatsächlich nur mit rosa Wattebäuschen werfen, wie man | |
im Kreise der Täter - und darüber hinaus sicher auch - glaubt? | |
"Sie wehren sich, und sie wehren sich nicht", sagt der Diplom-Psychologe | |
Christopher Knoll. Er leitet das Anti-Gewalt-Projekt von Sub, dem schwulen | |
Kommunikations- und Kulturzentrum in München. Schwule hätten sich durchaus | |
gewehrt, indem sie zum Beispiel in der Hoch-Zeit von Aids Überfalltelefone | |
und Anti-Gewalt-Projekte wie das von Sub oder "Maneo" in Berlin gegründet | |
hätten: Opferhilfe, Aufklärungsarbeit, Lobbyarbeit bei jener Polizei, die | |
früher in Zeiten des Paragrafen 175 noch auf der anderen Seite gestanden | |
hatte und nun verpflichtet ist, Schwule und Lesben vor Gewalt zu schützen. | |
Doch Knoll stellt längst auch eine Entproblematisierung von Homosexualität | |
fest: "Wowereit, von Beust - euch gehts doch gut, sagen die Leute. Auf der | |
anderen Seite gibt es immer noch Gewalt, sogar mehr. Es ist eine | |
Ungleichzeitigkeit. Es ist aber auch so, dass der Erfolg kollektiviert | |
wurde, und das auf Kosten der der individuellen Probleme. Wer sich falsch | |
anzieht oder sich am falschen Ort küsst, hat eine Anpassungsleistung nicht | |
richtig erbracht." | |
Knoll kritisiert auch die Schwulen selbst: "Die Diskriminierung wird nicht | |
thematisiert, um die Erzählung des Erfolges nicht zu gefährden. Man möchte | |
zur Mehrheitsgesellschaft gehören, anstatt ein schriller Vogel zu sein. Man | |
möchte einfach nicht wahrhaben, dass man eigentlich nur eine schöne Nische | |
gefunden hat." | |
Dort, schön eingeschmiegt in die schrille, kreative, interessant | |
eingerichtete und immer so lustige Nische sollen sie auch bleiben, die | |
Homos. Wer sich aus ihr hinausbewegt, bekommt eine aufs Maul: Es wird | |
nämlich auch nicht gerne gesehen, wenn Schwule plötzlich mächtig sind - als | |
Bürgermeister, Parteivorsitzender, Außenminister zum Beispiel. Oder auch | |
als Soldat, Polizist oder Fußballspieler. | |
Man hätte es schon lieber, wenn sie in jenen Friseurstuben verblieben, in | |
denen man sie immer schon vermutet hat und wissen möchte. | |
Auch Christopher Knoll kann keine Solidarisierung mit den Schwulen | |
erkennen: "Die bürgerliche Mittelschicht findet doch im Grunde ihres | |
Herzens, dass Schwule ganz schön nerven, obwohl sie es doch gut haben." Und | |
sein Resümee ist bitter: "Man kann Gewalt gegen uns ausüben und es | |
interessiert niemanden. Das ist ein Skandal. Wenn es gleich viele Attacken | |
gegen Juden oder Schwarze gäbe, dann wäre aber was los." | |
Wenn das stimmte, müsste sich die Regenbogen-Minderheit selbst wehren. Der | |
Historiker Jens Dobler arbeitet unter anderem für das Schwule Museum in | |
Berlin. Er sagt, dass man gar nicht genau wissen könne, wie oft sich | |
Schwule schon gewehrt haben, weil das nicht dokumentiert ist. Historisch | |
belegt sind die "Pink Panthers" aus New York, die seinerzeit mit | |
Walkie-Talkies ausgerüstet und durch Selbstverteidigungskurse gestählt für | |
Sicherheit in den Schwulenvierteln New Yorks sorgten. Dobler ärgert sich | |
über die Frage, warum Schwule sich nicht wehren: "Das ist so, als ob man | |
fragt, warum sich denn die Juden nicht gegen den Holocaust gewehrt haben." | |
Historisch betrachtet ist die Situation in Europa natürlich viel besser | |
geworden. Aber hätte man sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass | |
Pfaffen wieder offen Hass gegen Schwule predigen und damit sogar in | |
öffentlich-rechtliche Talkshows kommen? Die Fragestellung ist eigentlich: | |
Wie können die erzielten Fortschritte gesichert und verteidigt werden? | |
Es gab in Europa schon einmal eine Minderheit, die versucht hat, sich | |
anzupassen. Die es stets verstand, Nischen zu suchen - am Ende wurde sie | |
doch zum Opfer. Ihre Selbstermächtigung trägt den Namen Israel. Man verfügt | |
über Atombomben, und seitdem kann diese Minderheit nicht mehr mit Sympathie | |
rechnen. Sie braucht aber auch kein fades Mitleid mehr. | |
Schwule haben aber weder eine Armee noch ein eigenes Land - und am Beispiel | |
Israel kann man erahnen, dass man auch dann längerfristig keine Ruhe hat. | |
Und was soll man nun tun, wenn man als Schwuler angegriffen wird? | |
Bastian Finke vom Berliner Anti-Gewalt-Projekt Maneo rät zu Besonnenheit: | |
"Es hat sich gezeigt, dass viele Schwule aus Angst überreagieren, wenn sie | |
auf der Straße angepöbelt oder bedroht werden. Ein aggressives ,Dann komm | |
doch, wenn du ein Problem hast' ermutigt viele Täter, extrem gewalttätig zu | |
werden. Sie drehen dann die Situation um und sagen, dass sie es waren, die | |
bedroht wurden." Finke rät, sofort die Polizei zu verständigen - weil | |
Gegengewalt niemals konstruktiv sei. | |
Bastian Finke leitete ein Anti-Gewalt-Projekt und bohrt seit Jahren dicke | |
Bretter. Er tut gewiss das Richtige. Doch leider handelt es sich bei den | |
Aggressoren oft nicht um junge Abiturienten, mit denen man sich beim Bier | |
auf diskursive Höhen schrauben könnte. Es sind Leute, die ein Einsehen erst | |
haben, wenn man ihnen eine verbrettert. | |
Handfesteren Rat bietet zum Beispiel Roman "Dickie" Stoyloff aus Mannheim. | |
Er ist Karatetrainer und hat die "Gay Fighting Clubs" in Berlin, Wien und | |
nun auch in Mannheim begründet. Zu ihm kommen Schwule und Lesben - aber | |
auch andere -, die entweder bereits Opfer wurden oder sich vorsorglich | |
schützen möchten. "Es kommen alle Altersgruppen, von 16 bis 60. Die Opfer | |
kommen meist mit einem Grundgefühl großer Angst. Es geht dann darum, die | |
Ohnmacht zu überwinden und das Selbstbewusstsein zu kräftigen." Es kommen | |
meist keine Schwerverletzten zu ihm, sondern Menschen, die häufiger | |
geschubst, angespuckt, geschlagen und getreten wurden. | |
Wie viele Tote sollen es denn bitte sein, bis ein "gesellschaftlicher | |
Aufschrei" erfolgt? Am besten sind die Schwulen und Lesben noch immer | |
gefahren, wenn sie ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben. | |
Notfalls auch in die eigene Faust. | |
18 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |