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# taz.de -- heute in Bremen: „Bruch mit Traditionen“
> Empowerment Jonas Engelmann über Aneignung von Kampfbegriffen in der
> jüdischen Popkultur
taz: Herr Engelmann, Ihr Buch „Wurzellose Kosmopoliten“ ist eine
Spurensuche in der jüdischen Popkultur – was haben Sie gefunden?
Jonas Engelmann: Durch die jüdische Kulturgeschichte ziehen sich bestimme
Bilder wie unterirdische Linien. Der Golem ist solch ein Bild, eine Figur
aus der jüdischen Mystik und Beschützer der jüdischen Gemeinde in Prag. Er
findet sich u. a. im Superman wieder. Auch ein Beschützer, der nicht
zufällig von zwei Juden in den 1930ern erfunden wurde – im Angesicht des
Nationalsozialismus in Deutschland. Ein anderes Bild ist der Luftmensch.
Den Sie implizit im Titel aufgreifen. „Wurzellose Kosmopoliten“ hieß auch
Stalins Kampagne gegen Juden und Jüdinnen in der Sowjetunion, hat also
einen antisemitischen Ursprung.
Der Begriff des wurzellosen Kosmopoliten wurde von jüdischer Seite
aufgegriffen und umkonnotiert. Und darum geht es auch im Buch: wie jüdische
Künstler sich Symbole und Bilder aneignen, die sie diskreditieren. Der
Begriff des Luftmenschen ist auch so ein Bild. Ursprünglich eine
Selbstbeschreibung umherziehender Juden auf der Suche nach Arbeit, eines
Lebens von der Hand in den Mund, von Luft, wurde er irgendwann gegen sie
verwendet. Das vermeintliche heimat- und wurzellose Leben osteuropäischer
Juden war immer schon Nährboden für antisemitische Ressentiments.
Auf Ihrer Spurensuche fanden Sie also auch ein politisches Programm?
Bereits die Malerei von Marc Chagall kann als Aneignungsstrategie
verstanden werden. Viele seiner Figuren schweben – sind also entwurzelt,
leiden aber nicht darunter. Großflächig findet sich diese Bewegung dann in
der Popkultur, die dafür einen günstigen Rahmen bietet. Denn Popkultur ist
ein Spiel mit Identitäten und ein Bruch mit Traditionen. Hier findet eine
Selbstermächtigung statt: Antisemitische Bezeichnungen gegenüber Juden und
Jüdinnen werden umkodiert. Zugleich wird ein Raum geschaffen, in dem die
eigene Identität gestaltbar wird, ganz unabhängig von Religiosität,
Gesellschaft oder Nationalität.
Mit Israel besitzt die jüdische Gemeinde aber auch einen festen Ort, wird
der übersehen?
Mein Fokus liegt auf jüdische KünstlerInnen in der Diaspora, wo Juden und
Jüdinnen eine Minderheit sind. Ich habe daher bewusst Israel ausgeklammert,
da dort ganz andere Bilder das kulturelle Schaffen prägen.
Interview Florian Schlittgen
20.30, Vortrag, Galerie K’, Alexanderstraße 9b
Buch:„Wurzellose Kosmopoliten – von Luftmenschen, Golems und jüdischer
Popkultur“, Ventil Verlag, 12 Euro
23 Jun 2017
## AUTOREN
Florian Schlittgen
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