# taz.de -- Editorial | |
> Vertrauen Immer mehr Verlagshäuser zäunen ihre Inhalte im Internet ein. | |
> Zugang zu Texten gibt es nur noch gegen Geld. Doch Lesende, die nicht | |
> zahlen können oder wollen, von wichtigen Informationen auszu-schließen, | |
> insbesondere in bewegten Zeiten, kann keine Lösung sein. Es gibt bessere | |
> Wege | |
Bild: „Ich male gern“. Mehr erfährt man über die Illustratorin Monja Gent… | |
Was bewegt Sie? Neulich sollte ich einen Vortrag darüber halten, was mich | |
bewegt. Aber es passiert so viel, dass es nicht zu greifen ist. Aleppo, | |
rassistisch motivierte und sexualisierte Gewalt, erstarkender | |
Rechtspopulismus, Anschläge des IS, Gewalt gegen LGBTIQ , die Türkei und | |
nicht zuletzt Trump. Wenn wir emotional zugänglich sind, bewegen uns vor | |
allem Schicksale von Menschen. Und obwohl auch ich die Statistik gesehen | |
habe, in der die Behauptung widerlegt wird, dass es so viele Anschläge wie | |
noch nie gibt, fühlt es sich für mich erstmalig so an, als ob Meldungen im | |
Minutentakt gar nicht mehr aufhören. | |
Ereignisse müssen erfasst, recherchiert, beschrieben und verbreitet werden. | |
Es passiert viel, es wird immer schneller berichtet, und trotzdem dürfen | |
wir nicht alles glauben, was wir sehen. Fakten und Quellen müssen doppelt | |
geprüft werden. Bei der Masse der Inhaltsschaffenden ist die | |
Glaubwürdigkeit der Absender für die Bewertung der Nachricht wichtiger als | |
der Inhalt. Artikel von glaubwürdigen Absendern müssen verbreitet, nicht | |
eingezäunt werden. Doch viele Verlagshäuser gehen derzeit genau den | |
entgegensetzten Weg. Die Begrenzung von Inhalten seriöser Nachrichtenseiten | |
kann nicht gut für eine diverse und ausgewogenen Berichterstattung sein. | |
Nachrichten, in denen nicht „die Fremden“ schuld sind, in denen es keine | |
Banalisierungsversuche für Vergewaltigungen gibt, in denen auch Themen und | |
Meinungen abseits vom Mainstream Beachtung finden, müssen für alle | |
zugänglich sein. Sofern wir es mit der Verantwortung der vierten Gewalt | |
ernst meinen. Wir können uns nicht darüber mokieren, dass Menschen in ihren | |
Filterblasen leben, in denen ein Algorithmus die Beiträge auswählt, und | |
gleichzeitig darüber hinwegsehen, dass das Profitinteresse der Verleger | |
darüber entscheidet, welche Texte gelesen werden können und welche nicht, | |
Stichwort: Paid-Content-Modelle. | |
Auch Artikel mit hohem Rechercheaufwand müssen frei zugänglich sein und | |
dürfen nicht als Köder dienen, um Leser*innen Abos für vorgebliche | |
Premium-Inhalte aufzuschwatzen. Anders formuliert: Was sind das für Medien, | |
die sozioökonomisch benachteiligte Menschen von wichtigen Informationen | |
ausschließen? | |
Mit unserer Auffassung, dass alle Inhalte prinzipiell frei zugänglich sein | |
müssen, sind wir zum Glück nicht alleine. Wir haben Brüder und Schwestern | |
im Geiste, die ebenfalls lieber für die freiwillige Unterstützung | |
argumentieren, als Leser*innen zum Zahlen zu zwingen. In diesen | |
Sonderseiten möchten wir Ihnen ein paar erfolgreiche Modelle vorstellen. | |
Das bekannteste Beispiel ist vermutlich der britische Guardian, der seit | |
2014 ein Mitgliedschaftsmodell hat, das die enge Verbindung zu den | |
Leser*innen widerspiegelt. Von 2016 bis heute ist die Zahl der Mitglieder | |
von 15.000 auf 230.000 rasant gestiegen, das liegt zum einen an den | |
turbulenten Zeiten, zum anderen daran, dass sich der Guardian große Mühe | |
gibt zu erfahren, was die Leser*innen wirklich lesen möchten. | |
Viel Zeit in den Dialog mit den Mitgliedern steckt auch der 2013 als | |
Crowdfunding-Projekt gestartete De Correspondent aus den Niederlanden. | |
Ungefähr die Hälfte der Belegschaft kümmert sich während des Normalbetriebs | |
um den Austausch mit den 56.000 Mitgliedern. Einen ähnlichen Weg, wenn auch | |
nicht den gleichen, geht das Projekt Republik in der Schweiz. Sie setzen | |
auf eine Mischfinanzierung von Investor*innen, Spender*innen und Zahlungen | |
von Mitgliedern, in letzterem Fall mit Vertrauensvorschuss durch ein | |
Crowdfunding. Über 12.000 Personen glauben an Republik und haben bis Ende | |
Mai 2017 Vorausabos abgeschlossen – ähnlich wie 1979 bei der taz. | |
Obwohl es Unterschiede in den verschiedenen Mitgliedschaftsmodellen gibt, | |
haben diese Ansätze gemein, dass den Macher*innen der Journalismus selbst | |
am Herzen liegt. Sie alle haben Vertrauen, dass die Leser*innen die | |
Relevanz unabhängiger Presse begreifen, dass sie Haltung und politisches | |
Bewusstsein beweisen und sich für eine starke vierte Gewalt im Internet | |
einsetzen. | |
Wir haben das Glück, dass wir auf vielen Wegen unterstützt werden. Wir | |
haben Vertrauen und überlassen unseren Leser*innen die Entscheidung, wie | |
sie unseren Journalismus unterstützen möchten – ob mit einem Abonnement, | |
einer Spende, einem Genossenschaftsanteil oder einem Förderbeitrag zu | |
taz.zahl ich. Weil uns das Internet sehr am Herzen liegt, freuen wir uns, | |
Ihnen Beispiele zu zeigen, die ihren Leser*innen vertrauen und damit | |
erfolgreich sind. | |
3 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Aline Lüllmann | |
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