# taz.de -- Strampelnd zum Lernerfolg | |
> Unterricht Rad-Ergometer sollen in einer Bremer Oberschule helfen, die | |
> Konzentration zu steigern. Die SchülerInnen treten jetzt während des | |
> Unterrichts in die Pedale | |
Bild: Multitasking: Strampeln und lernen geht gleichzeitig | |
von Jördis Früchtenicht | |
Was zunächst klingt wie Schüler-Drill, ist in Wahrheit gut für | |
Konzentration und Unterrichtsklima: Seit Februar werden in der Klasse 5b | |
der Oberschule an der Ronzelenstraße Rad-Ergometer im Unterricht | |
eingesetzt. | |
Drei dieser Geräte, die man sonst aus dem Fitness-Studio kennt, stehen am | |
hinteren Ende des Raumes, meist in einer Reihe. Für die Gruppenarbeit sind | |
sie im Kreis zueinander aufgestellt. Sie werden abwechselnd von den | |
SchülerInnen genutzt. „Im Klassenrat haben wir Dreier-Gruppen gebildet. | |
Alle 15 Minuten darf eine andere Gruppe die Ergometer nutzen. So gibt es | |
zwei Wechsel pro Unterrichtsstunde“, erklärt Klassenlehrerin Ursula Böning. | |
Zu unruhig werde es beim Wechseln nicht. | |
Die Schülerinnen und Schüler arbeiten konzentriert an ihren Präsentationen. | |
Pyramiden, Trapeze und Quader aus Papier werden zusammengeklebt und Plakate | |
gebastelt. Die meisten SchülerInnen sitzen dabei an Gruppentischen, nur die | |
drei auf dem Ergometer treten langsam in die Pedale. Es ist ruhig, die | |
Räder sind nicht zu hören. | |
Die Idee der Ergometerklasse stammt aus Österreich, in Wien richtete der | |
Sportwissenschaftler Martin Jorde 2007 an einem Gymnasium die erste Klasse | |
ein. Durch die leichte Tretbewegung soll das Erregungsniveau hochgefahren | |
werden. Ziel ist es, möglichst konstant eine Herzfrequenz von etwa 100 | |
Schlägen pro Minute zu erreichen. Der erhöhte Puls regt den Kreislauf an, | |
es gelangt mehr Sauerstoff ins Gehirn und die Konzentration verbessert | |
sich. | |
„Die richtige Geschwindigkeit ist wichtig, die Schüler sollen zwar in die | |
Pedale treten, aber nicht ins Schwitzen kommen“, erklärt der zweite | |
Klassenlehrer der 5b, Dirk Baumgartner. In den Griffen der Ergometer sind | |
Sensoren, die die Herzfrequenz messen. „Am Anfang haben wir darauf | |
geachtet, dass die 100 Herzschläge pro Minute eingehalten werden und das | |
mit den SchülerInnen ausprobiert. Inzwischen wissen sie, wann sie die | |
Frequenz erreicht haben.“ | |
Dass man sich bewegen und trotzdem am Unterricht teilnehmen kann, davon | |
sind LehrerInnen und SchülerInnen überzeugt. „Viele glauben, dass das | |
Schreiben auf den Ergometern nicht geht. Bei mir ging das aber von Anfang | |
an“, berichtet eine Schülerin. Auch Böning erzählt: „Beim langsamen Tret… | |
ist das Multitasking kein Problem.“ Manchmal würden die SchülerInnen zwar | |
schneller strampeln und sich dann etwas weniger auf den Unterricht | |
konzentrieren. „Andererseits vergessen sie aber auch manchmal das Treten, | |
weil sie sich so konzentrieren.“ | |
Es sei wichtig, Bewegung im Schulalltag zu integrieren, meint Böning. „Die | |
SchülerInnen haben lange Tage, zum Teil sind sie bis 16 Uhr in der Schule.“ | |
Abhilfe bei Bewegungsdrang und Konzentrationsschwierigkeiten schaffen die | |
Ergometer – in die Pedale treten statt kippeln und zappeln. „Als die Klasse | |
zu Schuljahresbeginn neu zusammengekommen ist, konnten die SchülerInnen zum | |
Teil nicht am Platz sitzenbleiben. Nun kann ich statt ‚Sei still‘ sagen, | |
dass sie sich auf das Rad setzen sollen.“ Einer der Fünftklässler stimmt | |
zu: „Das macht mehr Spaß als rumzusitzen. Wenn man tritt, bleibt mehr im | |
Kopf.“ Ein weiterer Schüler ergänzt: „Es ist auch gut, um die Wut | |
rauszulassen. Es hilft beim Arbeiten, man kann sich auspowern.“ | |
Die Bremer Schule ist nach Auskunft von Projektkoordinator Harald Wolf erst | |
die zweite Schule in Deutschland mit Ergometerklassen. Den Anfang machte im | |
letzten Jahr ein Gymnasium im bayrischen Aschaffenburg. Als eine Kollegin | |
die Idee der Ergometerklasse einbrachte, so Böning, sei das Kollegium | |
begeistert gewesen. „Wir hatten vorher schon einen Heimtrainer im | |
Klassenraum stehen, der wurde gerne von den SchülerInnen genutzt.“ Auch die | |
Eltern seien schnell überzeugt gewesen, sie konnten sich die Geräte vor Ort | |
anschauen. Inzwischen wurde eine weitere fünfte Klasse mit drei Ergometern | |
ausgestattet. Im neuen Schuljahr sollen zwei der dann neuen fünften Klassen | |
ebenfalls mit den Geräten ausgestattet werden. | |
Die Auswirkungen auf den Unterricht werden nun auch wissenschaftlich | |
untersucht. Eine Studentin der Universität Oldenburg schreibt ihre | |
Masterarbeit zu den Ergometerklassen. „Sie wird sich unter anderem mit der | |
Akzeptanz der Geräte und deren Einbringungsmöglichkeiten im Unterricht“ | |
auseinandersetzen, so Wolf. | |
Die Ergometer der 5b waren zunächst mit Pulten versehen, die an den Griffen | |
der Heimtrainer angebracht wurden. „Die waren nicht so gut, da sind schnell | |
Sachen runtergefallen“, meint eine Fünftklässlerin. Inzwischen gibt es | |
Tische mit Teleskopbeinen, die mehr Arbeitsfläche bieten. „Feste, große | |
Arbeitsplatten sind wichtig“, stellt Baumgartner fest. „Es werden gerade | |
aber noch neue Pulte vom Hersteller der Ergometer entwickelt. Der hat uns | |
schon Entwürfe zugeschickt, die wir mit den SchülerInnen besprochen haben. | |
Sie brachten dann Wünsche wie Getränke- oder Stiftehalter ein.“ | |
Alle 22 Kinder der Inklusionsklasse nutzen die Ergometer, in jedem Fach, | |
auch die fünf Kinder mit Förderbedarf. Ein Schüler mit Downsyndrom habe | |
durch das Rad erst das Vorwärtstreten gelernt, erzählt Böning. „Das hat er | |
mit der Physiotherapeutin geübt. Vorher hat er immer rückwärts getreten.“ | |
Die Ergometer werden auch konkret in den Unterricht eingebracht. „Wir haben | |
in Naturwissenschaften darüber gesprochen, was im Körper passiert, wenn man | |
sich anstrengt“, erzählt Baumgartner. Inzwischen ist sogar eine richtige | |
Radtour geplant. „In Vorbereitung dafür haben wir einen Fahrrad-TÜV gemacht | |
und die SchülerInnen haben ihre Fahrräder geputzt“, berichtet Böning. | |
Finanziert wurden die 500 bis 600 Euro pro Ergometer durch Schulvereine und | |
Stiftungen. „Wir wollen das Ganze nachhaltig aufbauen. Das soll kein | |
One-Hit-Wonder sein“, sagt Harald Wolf. „Daher stehen wir im Kontakt zu | |
Krankenkassen, wir wollen für diese Lernform Partner finden.“ | |
12 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Jördis Früchtenicht | |
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