# taz.de -- Die Romantik des Prekariats | |
> LITERATUR Jens Eisel schreibt in seinem Debütroman „Bevor es hell wird“ | |
> über Schicksalsschläge und die Solidarität der Working Class. Stimme der | |
> Unterschicht möchte der Hamburger aber nicht sein | |
Bild: Saufen, schweigen, aber auch weinen: Männerklischees will Jens Eisel nic… | |
von Hanna Klimpe | |
Ein-Frau-betriebene Programmkinos, Eckkneipenkultur, Autowerkstätten als | |
Familienersatz – Jens Eisel, Jahrgang 1980, schreibt über ein Hamburg und | |
ein St. Pauli, das es gar nicht mehr gibt – und hoffentlich irgendwie doch | |
noch. 2014 hat er seinen ersten Erzählband „Hafenlichter“ herausgebracht: | |
Geschichten von Alkoholikern, Truckerfahrern oder Amateurboxern. Im März | |
ist sein Debütroman „Bevor es hell wird“ erschienen. | |
Dort erzählt er die Geschichte zweier Brüder aus sogenannten einfachen | |
Verhältnissen: Die alleinerziehende Mutter arbeitet im Baumarkt, Alex macht | |
eine Ausbildung zum Automechaniker, der ältere Bruder Dennis ist Koch, geht | |
als Soldat nach Afghanistan und gerät zunehmend aus der Spur. | |
Achronologisch erzählt Eisel ein Familiendrama, an dessen Ende der sensible | |
Alex wegen des Angriffs auf einen Polizisten im Gefängnis landet. | |
Die Sprache in „Bevor es hell wird“ ist klar und kommt ohne Metaphern oder | |
große Bilder aus. Das Bemerkenswerteste an Eisels Erzählweise aber ist, bei | |
aller Lakonie und Unsentimentalität, die uneingeschränkte Solidarität mit | |
seinen Figuren, ohne jegliche Distanz und Ironie. | |
Unterschichten-Elendsvoyeurismus sucht man vergeblich: Den prekären | |
Lebensumständen steht der Zusammenhalt unter Familien, Freunden und | |
Nachbarn gegenüber. | |
Die Figuren sind im Grunde genommen durch und durch anständig, auch im | |
größten Elend gibt es immer eine helfende Hand. Das kann man durchaus | |
sozialromantisch nennen. „Bestimmt romantisiere ich auch ein bisschen“, | |
räumt Eisel ein. „Es ist eben Literatur, und auch wenn ich realistisch | |
schreibe, bleibt es immer eine Konstruktion.“ Ihm sei wichtig gewesen, ein | |
Schicksal mit einer gewissen Wucht zu beleuchten und dem gleichzeitig etwas | |
entgegenzustellen – und das sollte Menschlichkeit sein. | |
Mit dem demonstrativ ruppigen Working-Class-Auftreten eines Clemens Meyer | |
hat Eisel, Hauptschulabschluss, Schlosserlehre, diverse Nebenjobs, nichts | |
gemein. Er ist höflich, ein wenig zurückhaltend, auf seinem | |
Instagram-Account fotografiert er die Gartenlaube, den Familienhund, das | |
Kind beim Nickerchen oder die Familie beim gemeinsamen Galeriebesuch. Den | |
Versuch, sich als schillerndes Alter Ego seiner Figuren zu inszenieren, | |
unternimmt er gar nicht erst: „Ich schreibe überhaupt nicht | |
autobiografisch“, sagt er. „Mein Bruder lebt noch und ich war auch nie im | |
Gefängnis.“ | |
## Kein Elendsvoyeur | |
„Bevor es hell wird“ sei von zwei ehemaligen Klassenkameraden aus der | |
Hauptschule inspiriert worden, zwei Cousins, die „totale Rüpel“ gewesen | |
seien. Als einer der beiden verunglückt sei, sei der andere immer tiefer | |
abgedriftet. „Es hat mich beschäftigt, was mit einem Menschen passiert, der | |
von einem Schicksalsschlag getroffen wird“, sagt Eisel. „Aber meine | |
Geschichten speisen sich aus ganz unterschiedlichen Dingen, die mich | |
beschäftigen.“ | |
Prekarität sei dabei etwas, was die Menschen, mit denen er aufgewachsen | |
sei, eben präge. Er selbst lebe seit Beginn seiner Ausbildung mit 16 Jahren | |
in finanziell unsicheren Verhältnissen. „Das liegt bei mir auch daran, dass | |
ich öfter Jobs hingeschmissen habe“, sagt er. „Die latente Geldnot, die | |
immer wieder auftaucht, ist blöd, aber bei mir ist es eine bewusste | |
Entscheidung.“ Schlimmer sei es, wenn Leute wenig Geld hätten und trotzdem | |
60 Stunden arbeiten würden. „Solche Leute sind mir natürlich oft und viel | |
begegnet.“ Die Prekarität lässt ihm immerhin Zeit zum Schreiben, mit festen | |
Ritualen: Vormittags wird geschrieben, dann spricht er das Geschriebene auf | |
Band und entscheidet, ob die Geschichte funktioniert. | |
Die Rezensionen von Eisels Bücher sind teilweise bebildert mit schraubenden | |
Männern im Blaumann, Bildunterschrift: „Automechaniker in einer Werkstatt. | |
(Symbolfoto)“. Von „einfachen Leuten“ schreibe er, von „Figuren aus der | |
Arbeiterklasse“. Tatsächlich hat Eisel keine übliche Literatenbiografie, | |
erst mit Ende 20 fand er den Weg ins Literaturinstitut in Leipzig, wo man | |
ohne Abitur studieren konnte. Wie er zur Literatur gekommen ist, weiß er | |
gar nicht mehr so genau. „Irgendwann habe ich den ‚Fänger im Roggen‘ | |
gelesen, und als ich in Punkbands gespielt habe, die Sachen, die junge | |
Männer halt so lesen – Bukowski, Kerouac und so.“ | |
Die Figuren, die Eisel entwirft, sind überwiegend männlich, sie sitzen in | |
Kneipen, gehen zum Fußball und zum Pferderennen, sie schrauben an Autos und | |
Schiffen und sind allgemein eher wortkarg. Den gelegentlich an ihn | |
herangetragenen Vorwurf, er reproduziere stereotype Männlichkeitsbilder, | |
weist er aber entschieden zurück: „Ich kenne die Welt so, wie ich sie | |
beschreibe. Und es stimmt, ich schreibe hauptsächlich über Männer, aber da | |
spielt Verletzlichkeit immer eine große Rolle, oft auch die Tatsache, dass | |
man nicht darüber sprechen kann. Ich will keine Männerliteratur schreiben.“ | |
## Keine Männerliteratur | |
Bei „Hafenlichter“ habe es Geschichten gegeben, in denen Frauen | |
Hauptpersonen waren, mit denen er aber damals nicht zufrieden gewesen sei. | |
Tatsächlich muss man sagen: Seine Männer boxen und schweigen und saufen, | |
und gleichzeitig weinen sie, klammern sich an ihre Hunde und fühlen sich | |
schlecht, wenn sie mit Frauen abstürzen und eigentlich eine andere mögen. | |
Ebenso wie der Vorwurf des Männlichkeitsklischees befremdet Eisel der | |
ständige Verweis auf das Milieu seiner Figuren. „Ich frage mich manchmal | |
schon, was im Feuilleton für ein Menschenbild herrscht“, sagt er: „Macht | |
das so einen großen Unterschied, wo man herkommt?“ Trotzdem hat er ein | |
entspanntes Verhältnis zum Elitarismus des Literaturbetriebes. „Literatur | |
wird von einem bürgerlichen Milieu gelesen und konsumiert. Das ist halt so, | |
und das finde ich gar nicht verwerflich.“ Ebenso wenig verwerflich findet | |
er, dass Literatur von diesem Milieu erschaffen wird. „Wenn man ehrlich | |
ist, gab es nie so viele nicht-bürgerliche Autoren in Deutschland. Ralf | |
Rothmann, den ich großartig finde, Wolfgang Hilbig – aber das waren immer | |
Randerscheinungen. Ein Autor sollte in der Lage sein, sich gewisse Themen | |
anzueignen, woher er kommt, sollte in jeder Hinsicht egal sein.“ | |
Lust darauf, die Stimme der Unterschicht zu sein, hat er entsprechend | |
nicht: „Ich möchte lieber, dass die Leute denken, der Eisel schreibt | |
bewegende Geschichten, der schreibt über den einfachen Mann.“ | |
Jens Eisel: „Bevor es hell wird“, Piper, 208 S., 18 Euro | |
Lesung im Rahmen der 11. „Hafenlesung“: Do, 16. 6., 20 Uhr, Golem, Große | |
Elbstraße 14 | |
10 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Hanna Klimpe | |
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