# taz.de -- Wissen statt Glaube | |
> Beistand Die Medizin beruft sich auf Fakten, auf die stets neuesten | |
> Studien. Sollte religiöser Glaube deshalb wirklich strikt von ihr | |
> getrennt werden? | |
Bild: Eckart von Hirschhausen, Mediziner und Zauberkünstler, spricht beim Kirc… | |
Von Lara Kühnle | |
Früher war der Medizinmann zuständig für Krankheit, Kräuter, Diesseits und | |
Jenseits. Heute haben wir dafür jeweils einen Arzt, Apotheker, Psychologen | |
und Pfarrer.“ Eckart von Hirschhausen, der Justin Biber der älteren | |
Generation, weiß bei seinem Kirchentagsauftritt am Freitag immer mal mit | |
einem Lacher zu punkten. | |
Tatsächlich ist an der Überlegung etwas dran: Sollte religiöser Glaube | |
wirklich strikt von der Medizin getrennt werden? Ärzte sprechen gerne von | |
evidenzbasierter Medizin, alles muss durch Studien belegt sein. Wissen | |
statt Glaube. Was aber bleibt für die Menschen, für die diese Art der | |
Medizin noch keine Antwort hat? Erschlagen von einer schlimmen Diagnose, | |
denken sich Patienten manchmal: „Irgendwas muss mir helfen!“, und suchen | |
Hilfe bei Gruppen, die Wunderheilungen versprechen. Gefährlich werden diese | |
Versprechen vor allem dann, wenn kranken Menschen Schuld eingeredet wird: | |
Sünden, die nun durch Krankheit bestraft werden. | |
Wie sieht es aber mit gemäßigtem Glauben aus, der keine Heilung, aber | |
Gemeinschaft verspricht? Wer heute durch ein Krankenhaus geht, wird auf | |
einen Gebetsraum treffen. Mit gutem Grund: Anne-Katrin Rathje, die an | |
multipler Sklerose erkrankt ist, berichtet bei der Veranstaltung „Humor, | |
Glaube und Heilen“ von Patientengottesdiensten, in denen sich die meisten | |
Kranken Beistand wünschen. „Chronische Erkrankung braucht chronisches | |
Gebet“, formuliert sie ihre Art, mit der Krankheit umzugehen. | |
Die Medizin ist zwar eine Wissenschaft und hat sich von der mystischen | |
Kunst der Halbgötter mehr und mehr entfernt. Trotzdem bleibt das Bedürfnis | |
nach Spiritualität, nach der Genesung nicht nur des Körpers, sondern auch | |
der Seele. Hier kann religiöser Glaube, egal welcher Richtung, Halt, | |
Beistand und auch eine Perspektive geben. Gleichzeitig werden in der | |
Medizin ständig Entscheidungen gefällt – über Sterbehilfe, Abtreibung oder | |
einfach, welches Mittagessen die Patienten wählen – und alle werden | |
zumindest mitbestimmt vom Glauben des Patienten und manchmal sogar dem des | |
Arztes. Wo Glaube aufhört und gemeingültige Ethik anfängt, kann man nur | |
herausfinden, wenn man darüber im Gespräch bleibt. Allein das sollte Grund | |
genug sein, den Glauben nicht aus Krankenhäusern zu verbannen. | |
27 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Lara Kühnle | |
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