# taz.de -- Selbstreflexion In Israel ein Megabestseller: Amos Oz’und Avraham… | |
Bild: Ein Soldat kehrt zurück in den Kibbuz, der von Syrien beschossen wurde | |
von Kevin Zdiara | |
Am 11. Juni 1967 war Israel nicht mehr das ängstliche, kleine, gefährdete | |
Land, das es nur eine Woche zuvor noch gewesen war. Der Sieg über die | |
arabischen Armeen im Sechstagekrieg und die damit verbundenen riesigen | |
Gebietsgewinne verwandelten den jüdischen Staat in eine Regionalmacht und | |
euphorisierten weite Teile der israelischen Bevölkerung. | |
Das ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Als der damals | |
32-jährige Journalist Avraham Shapira und der 28-jährige Schriftsteller | |
Amos Oz kurz nach dem Ende des Kriegs durch die Kibuzzim Israels fuhren, um | |
mit Soldaten über die Ereignisse zu sprechen, fanden sie nicht nur Jubel, | |
sondern ihnen begegneten Zweifel, Nachdenklichkeit und auch Kritik. | |
Aus diesen Gesprächen entstand ein Buch, das im Oktober 1967 zunächst nur | |
für einen kleinen Leserkreis in den Kibbuzim gedruckt wurde. Da aber die | |
Inhalte auf großes Interesse stießen, erfuhr es weitere Auflagen, die es zu | |
einem der größten literarischen Erfolge des Landes machten. Die | |
„Soldatengespräche“, wie der Band ursprünglich hieß, verkaufte sich | |
innerhalb kürzester Zeit rund 150.000 Mal, was für ein Land mit damals | |
knapp 4 Millionen Einwohnern eine fantastische Auflage war. | |
Das Thema und die Authentizität des Buches schienen viele Menschen zu | |
berühren, denen in der offiziellen Begeisterung und der Freude über den | |
positiven Ausgang des Kriegs das Innehalten und die Reflexion fehlten. So | |
wurde aus einem Projekt zweier junger Autoren eines der wichtigsten | |
Zeitdokumente Israels. Jetzt legt der Frankfurter Westend Verlag das Buch | |
unter dem Titel „Man schießt und man weint“ auf Deutsch neu auf. | |
Das Buch ist aber nicht nur eine wichtige historische Quelle. Die Form – | |
lange, transkribierte Unterhaltungen, Briefauszüge, Notizen – lässt auch | |
den heutigen Leser die Gedanken der ehemaligen Soldaten gut nachvollziehen. | |
Die Gespräche zeichnen sich dabei durch eine fast schon intime Vertrautheit | |
aus. Amos Oz und Avraham Shapira waren selbst Kibbuzniks und kannten das | |
Milieu ihrer Gegenüber deshalb gut. Auf dieser Basis ergaben sich | |
Konversationen, die mehr sind als bloße Interviews. Es wird dabei | |
buchstäblich über Gott und die Welt gesprochen. Erziehung, Ethik, | |
Soldatentum, Judentum, Zionismus, israelisch-arabische Aussöhnung, die | |
Schoah – das sind die Themen, um die die Unterhaltungen kreisen. | |
Doch man tauscht sich nicht nur aus. Es entspannen sich Diskussionen, in | |
deren Verlauf sich die Gesprächsteilnehmer öffnen und auch die hässlichen | |
Seiten des Krieges zutage treten. Es geht um Angst, das Töten, den Tod, | |
aber auch Plünderungen, Verheerung und Flucht werden angesprochen. Das hat | |
nichts Heroisches mehr, dafür zeichnet es aber ein realistisches und sehr | |
menschliches Bild vom Krieg. Allerdings wird man dabei nicht ganz den | |
Eindruck los, dass Oz und Shapira eine klare Agenda verfolgten. | |
Sie selbst hatten Zweifel an Israels Sieg und suchten sich entsprechende | |
Gesprächspartner. Das merkt man auch an manchen Fragen, die suggestiv | |
wirken. Zudem fragt man sich heute, da die Kibbuzbewegung weitgehend | |
Geschichte ist, warum nur Bewohner dieser Siedlungen zu Wort kommen, warum | |
nicht auch Soldaten aus Tel Aviv oder Haifa. | |
Von diesen Kritikpunkten einmal abgesehen, ist das Buch auch heute noch | |
eine gewinnbringende Lektüre zu diesem für die Region prägenden Ereignis. | |
Und es taugt dazu, weil es sich einer Vereinnahmung durch eine Seite | |
verweigert. Für die israelische Rechte sind die Inhalte zu defätistisch, zu | |
selbstkritisch und düster. Aber auch die Linke muss sich daran die Zähne | |
ausbeißen, sind die Stimmen im Buch durchweg zu zionistisch und zu | |
überzeugt von der Rechtmäßigkeit des Kriegs. Das ist am Ende wahrscheinlich | |
das wirklich Spannende an diesem literarischen Projekt, das es sich so | |
wenig einer Agenda verpflichtet. | |
Es ist ein selbstkritisches und aufklärerisches „Quo vadis Israel?“, das | |
trotz seiner abschnittsweise düsteren Bestandsaufnahme Hoffnung macht und | |
zeigt, warum Israel im Nahen Osten eine einsame Insel darstellt. Denn es | |
bleibt nicht bei Kritik und Selbstreflexion. | |
Immer wieder sprechen sich die Interviewten gegen Hass auf die andere Seite | |
aus. Obwohl sie gleichwohl die Befürchtung äußern, dies sei nicht der | |
letzte Krieg mit den arabischen Nachbarn gewesen, scheint auch immer wieder | |
die Zuversicht durch, dass eines Tages vielleicht doch Frieden möglich ist. | |
Aber dazu wird es wohl erst kommen, wenn auch auf der arabischen und | |
insbesondere der palästinensischen Seite ebenfalls ein solch ernstes und | |
selbstkritisches Buch erscheint. | |
Amos Oz, Avraham Shapira: „Man schießt und weint. Gespräche mit | |
israelischen Soldaten nach dem Sechstagekrieg“. Westend Verlag, | |
Frankfurt/M. 2017, 368 Seiten, 24 Euro | |
3 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Kevin Zdiara | |
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