Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mutter Courage des Urban Gardening
> Nachruf Gerda Münnich (1939–2017) war maßgeblich daran beteiligt, dass in
> Berlin laufend neue Gemeinschaftsgärten gegründet wurden. Sie verstand
> sich als unbequeme Staatsbürgerin vom Dienst. Ihr Credo: „Gärten sind
> Überlebensmittel“
Bild: Ganz in ihrem Element: Vollblutgärtnerin Gerda Münnich (1939–2017) im…
von Elisabeth Meyer-Renschhausen
Ist Berlin die heimliche Hauptstadt des Urban Gardening? Wenn, dann
verdankt es das Menschen wie Gerda Münnich. Sie war eine Art „Mutter
Courage“ der Interkulturellen Gärten. Denn für Gerda Münnich war das
Gründen von Gemeinschaftsgärten für Zugezogene und Flüchtlinge die
staatsbürgerliche Aktion par excellence. Dafür ging oder fuhr Gerda
überallhin. Per Bus und Bahn in alle Stadtteile und die letzten Ecken der
Provinz zu allen Gartentreffen, Konferenzen und Runden Tischen von Politik
und Verwaltung.
Seit 2003 sind in Berlin knapp 100 Interkulturelle Gemeinschaftsgärten und
Betriebe einer neuen urbanen Agrarkultur entstanden. Gemeinsam wird auf
Brachen Gemüse angebaut, kompostiert oder gegen den Neubauwahn
demonstriert. Auch Brandenburger gärtnern heute interkulturell. In der
gesamten Republik wuchs die Zahl seit dem ersten Internationalen Garten in
Göttingen 1996 auf heute 570. In vielen Städten Europas unterstützt die
Politik das Community Gardening, weil es arme Nachbarschaften befriedet.
Gerda Münnich war maßgeblich daran beteiligt, dass in Berlin laufend neue
Gemeinschaftsgärten gegründet wurden. Bereits vor der Wende war sie
Mitglied des ökumenischen Kirchenkreises in Treptow. Und der brachte sie,
als sie gerade wieder erwerbslos geworden war, 2003 an den Runden Tisch zur
Einrichtung eines Interkulturellen Gartens in Köpenick.
Die Zusammenarbeit auf der lokalen Ebene zwischen Bürgern, Kirchen,
Agenda-21-Kreis und Ämtern machte es möglich: Der erste Interkulturelle
Garten, der Wuhle-Garten, konnte im Mai 2003 seine Pforten öffnen. Dank des
Engagements von Gerda Münnich in Zusammenarbeit mit der neu gegründeten
Stiftung Interkultur – der „Anstiftung“ in München – machte das Beispi…
Schule. Fortan fuhr Gerda herum und erklärte, wie man es anstellt, so einen
Gemeinschaftsgarten zu gründen: Fläche finden, Gruppe bilden, Förderer und
Verbündete suchen, mit der Verwaltung reden, Verein gründen etc.
„Ich bin so eine Art Mutter der Interkulturellen Gärten Berlins“, stellte
sie sich oft vor und später ließ sie das „so eine Art“ auch weg.
Tatsächlich gibt es niemanden in Berlin, der ein so umfängliches Wissen
über die Gärten hatte und mit den Gärtnern persönlich in Kontakt stand.
Anlässlich der Erstellung der Berliner Gartenkarte besuchte sie wieder
jedes einzelne der 99 auf der Karte verzeichneten Projekte. Da war sie
knapp 75, kannte die S-, U-, und Busfahrpläne auswendig und fuhr auch
nachts furchtlos quer durch die Stadt.
So wie sie war, immer unkonventionell gekleidet, sei sie schon zu
DDR-Zeiten gewesen – ein „Original“, erklärte mir einmal die Freundin der
jüngsten Tochter fröhlich: in der Münnich’schen Wohnung trafen sie sich
immer gern. Vor allem war Gerda eine auch im kapitalistischen Westen
furchtlose Bürgerrechtlerin und bestand auf ihrem Recht als „Citoyen“
ebendort für die Rechte der Bürger und Bürgerinnen einzutreten, wo es ihr
wichtig erschien. Frau Münnich „kommt überall rein“, stellte einmal ein
Mitglied der Berliner Senatsverwaltung lakonisch fest und meinte damit: Sie
kommt sowie und auch dann, wenn man sie nicht dabeihaben möchte …
## Staatsbürgerin vom Dienst
Wenn es um ein wichtiges Vernetzungstreffen der Urban-Gardening-Szene
irgendwo in Europa ging und Gerdas magere Rente mal wieder nicht für eine
Fahrkarte reichte, dann fuhr sie tapfer halt auch mal schwarz. Sie nahm
sich das Recht, das ihr als einer Art „Staatsbürgerin vom Dienst“ ihrer
Meinung nach in einer Demokratie zustand. Zumal sie die rentenmäßige
Missachtung ihrer erzwungenen Hausfrauenzeit nicht akzeptieren konnte.
Zu DDR-Zeiten arbeitete Gerda Münnich an der Humboldt-Universität im
Wirtschaftsinformatikbereich. Ihre Forschung sollte sie an einem der damals
noch wenigen PCs in Adlershof nachts absolvieren. Wenn sie dann um vier Uhr
morgens fertig war, fuhr aber keine S-Bahn mehr. Wie sollte sie als
alleinstehende Mutter ihre drei Kinder rechtzeitig auf den Weg zur Schule
bringen? Da wurde sie für einige Jahre Hausfrau und tröstete sich mit dem
Rackern im Pachtgarten in Zeuthen. Als sie später nach der Wende ihre
eigene Firma aufbaute, gab sie den Garten wieder auf. Seither aber wusste
sie: „Gärten sind Überlebensmittel.“
Gerda Münnich wurde in Steinkirchen bei Lübben im Spreewald geboren und
wuchs mit Mutter und Schwester auf dem großväterlichen Kleinsthof auf.
Selbstversorgung durch Eigenarbeit, Kleinstlandwirtschaft mit Garten, die
mühselige Arbeit, die damit verbunden ist, das kannte sie alles aus eigener
Anschauung. Später ging sie, statt sich mit dem Regime gemeinzumachen, zu
den in den Kirchen organisierten Oppositionsgruppen.
Als Gerda Münnich und ich uns im Dezember 2002 auf einem Workshop in
Köpenick kennenlernten, verlief unsere Verständigung selbstverständlich per
Sie. Das allgemeine Du in den bestimmten Szenen erinnerte Gerda unangenehm
an Zwangsverbrüderungen zu DDR-Zeiten.
Im Allmende-Kontor – sowohl als Garten als auch Vernetzungsstelle gegründet
– verstand sich Gerda Münnich als zuständig für Vernetzung und
Kommunikation, aber immer im Zusammenhang mit dem konkreten Garten. Der
gewisse Geschäftsführerautokratismus, den das neoliberale Zeitalter sogar
harmlosesten kleinen NGOs aufdrückt, ärgerte sie ziemlich. Als sich aber
jüngere Gartenaktivisten daranmachten, etwa mit viel Mühe mit eingerichtete
und gepflegte Websites ohne jegliche Rücksprache abzuschalten oder
Konzeptpapers zu verfassen, ohne sich die Mühe zu machen, die maßgebliche
Szene oder auch nur Altgediente wie sie einzubeziehen, empfand sie das als
undemokratisch und anmaßend. Aber deshalb aufhören kam für sie nicht
infrage.
Zuletzt arbeitete Gerda Münnich an ihrer nächsten Stadtrundfahrt zum
„Langen Tag der Stadtnatur“ im Juni. Diesmal wollte sie besonders die
gefährdeten Gärten wie die Neuköllner Prachttomate vorstellen und zwei
Projekte auf dem maßgeblich von ihr mit geretteten Tempelhofer Feld: den
Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor und den Coup der Zukunftsgleise. Der
Verein Berliner Zukunftsgleise e. V. hat ein Gärten, Feld und Stadt
verbindendes Mobilitätskonzept, das durch seine pure Existenz Beweis dafür
ist, dass das Land Berlin auf dem Tempelhofer Feld keine Planungshoheit
hat, weil dieses weiter unter Eisenbahn-, also Bundeshoheit steht.
Gerda Münnich hatte sicherlich ein erfülltes Leben. Aber ein Wunsch ist
noch offen: eine Tanzlinde auf dem Tempelhofer Feld. Die Linde ist sogar
zum Bestandteil des EPP, also des Entwicklungs- und Pflegeplans Tempelhofer
Feld geworden. Das entsprechende Spendenkonto wird soeben eingerichtet …
Die Autorin ist freie Journalistin, mit der Thematik „urban agriculture“
seit 1998 befasst und zusammen mit Gerda Münnich eine der 13 GründerInnen
des Gemeinschaftsgartens Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld. Jüngste
Bücher: „Die Hauptstadtgärtner“ (Jaron Verlag 2015) und „Urban Gardenin…
Berlin“ (Bebra-Verlag 2016)
22 Apr 2017
## AUTOREN
Elisabeth Meyer-Renschhausen
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.