Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Es kann niemand verfolgt werden, den es nicht gibt“
> Petition der Woche Hundert schwule Männer sollen in Tschetschenien in
> geheimen Gefängnissen gefoltert worden sein. Die Regierung sagt, das
> seien Lügen
Von Nancy Waldmann
In Tschetschenien nichts Neues, so scheint es: Ohne Rechtsgrundlage werden
Menschen verhaftet. Verschleppt, gefoltert und ermordet. Es trifft Kritiker
und Gegner des Präsidenten Ramsan Kadyrow, es trifft Menschen, die unter
Extremismusverdacht stehen, deren Verwandte oder Klassenkameraden, Alkohol-
und Drogenkonsumenten, die gegen den strengen muslimischen Sittenkodex
verstoßen.
Die Opfer der jüngsten, besonders brutalen Verfolgungswelle sind
homosexuelle Männer. Davon berichtet seit dem 1. April die Zeitung Novaya
Gazeta. Mindestens hundert Personen wurden in sechs geheimen Gefängnissen
festgehalten und brutal misshandelt. „Präventive Maßnahmen“, nennen das d…
örtlichen Behörden. Freigelassen wurden die Personen, nachdem sie sich vor
den einbestellten Verwandten aller Gefangenen geoutet hatten, während die
Verwandten gezwungen wurden, ihr Familienmitglied als „entehrt“ zu
erklären. Drei Tote sind bekannt, darunter zwei Fernsehstars.
Doch etwas ist diesmal anders: die große Resonanz, die die Berichte von
allen Seiten hervorriefen. In Tschetschenien, wo sonst zu solchen Vorwürfen
geschwiegen wird, sah man sich zu perfiden Dementis gezwungen. „Es kann
niemand verfolgt werden, den es in Tschetschenien nicht gibt“, sagte die
Menschenrechtsbeauftragte Tschetscheniens. In Grosnys Zentralmoschee
versammelte sich die geistliche und politische Elite, um die Journalisten
der Novaya Gazeta zu Feinden des Landes zu erklären, die die religiösen
Gefühle der Menschen verletzt hätten. Sogar bei einem Treffen zwischen
Kadyrow und Putin kam das Thema auf den Tisch: „Lügen“ seien das,
behauptete Kadyrow.
In Moskau standen derweil kritische Journalisten und Aktivisten solidarisch
zusammen, organisierten Hilfe für die Verfolgten, sammelten Spenden – all
das mit Unterstützung aus dem Ausland, wo die Nachrichten große Empörung
hervorriefen. „Die Schwulen sind wohl ein besonders hervorstechendes
Beispiel für die Lage in Tschetschenien. An die verfolgten Menschenrechtler
und Journalisten hatten sich die Menschen gewöhnt“, sagt der Moskauer
LGBT-Aktivist Igor Iasine. Ein Beispiel, das man im Westen besser versteht.
In Berlin, Warschau, London und anderswo wurde vor den russischen
Botschaften demonstriert. Westliche Aktivisten schrieben von „Gay
Concentration Camps“. Geheime Gefängnisse gebe es in Tschetschenien jedoch
schon lange und nicht nur LGTB-Personen werden dort festgehalten, sagt
Iasine. Er startete eine Petition, in der er Ermittlungen im Zusammenhang
mit der Schwulenjagd, die Bestrafung der Täter und ein Ende der
außergerichtlichen Gewalt in der Teilrepublik fordert. 340.000 Menschen in
Russland und der ganzen Welt haben schon unterzeichnet. „Wir setzen darauf,
dass wir durch die große Resonanz auch auf die Situation anderer Gruppen
hinweisen können. Das Problem ist nicht allein Homophobie. Es geht auch um
Ehrenmorde, um Frauenrechte, die seit Jahren missachtet werden. Kadyrow
konnte unter der Protektion des Kremls eine brutale Diktatur errichten“,
sagt Iasine.
In den nächsten Tagen wollen Iasine und seine Mitstreiter die
Unterschriften persönlich dem Generalstaatsanwalt Juri Tschaika übergeben,
sowie der Ermittlungskommission Russlands, die Präsident Putin untersteht.
Iasine ist nicht sehr zuversichtlich, dass es zu ernsthaften Ermittlungen
kommt. „Wir tun alles uns Mögliche, um gesellschaftlichen Druck zu
erzeugen“, sagt er. Denn den könne die Regierung nicht einfach an sich
abperlen lassen. Die Ermittlungskommission Russlands, die auf den ersten
Zeitungsbericht nicht reagiert hatte, gab inzwischen bekannt, die
Informationen einer Voruntersuchung zu unterziehen, nachdem die Novaya
Gazeta die Personalien von 26 Opferzeugen übergeben hatte – laut den
Journalisten ein Novum.
Auf einem anderen Blatt steht, wie viel Moskauer Ermittler, selbst wenn sie
wollten, ausrichten dürfen gegen die Rechtlosigkeit im Kadyrow-Staat. Denn
Kadyrow, ursprünglich von Putin eingesetzt, ist inzwischen viel mächtiger
geworden, als Putin vielleicht lieb ist. Gleichzeitig ist er der Garant für
den Verbleib der Republik in der Russischen Föderation.
29 Apr 2017
## AUTOREN
Nancy Waldmann
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.