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# taz.de -- VERSÖHNUNGVor drei Jahren begann der Krieg in der Ukraine. Ein End…
Bild: Katja Filonowa spricht sanft, sie will versöhnen
aus Bachmut, Kramatorsk und Kiew Simone Brunner
An einem kalten Morgen im Februar zieht sich Boguslaw seinen Tarnanzug
über, zündet sich eine Zigarette an, schiebt den Stoff am Eingang des
Militärzelts auseinander und sieht als Erstes eine Lokomotive. Grellgrün
gestrichen, mit gelben Streifen. Boguslaw kämpft im Krieg. Sein
Schlachtfeld ist ein verlassener Bahnübergang eine Stunde vor der Front im
Osten.
Boguslaw hält Güterzüge an, hier am Rande von Bachmut, einer Stadt in der
Ostukraine. Etwas über 70.000 Einwohner, alte Salzbergwerke. In einem davon
stellen sie den Krimsekt her, was aber kaum einer weiß, weil alle denken,
der käme nur von der berühmten Halbinsel im Süden. Zusammen mit 30 anderen
Männern stellt sich Boguslaw auf die Gleise und lässt die Züge nicht
weiterfahren in den Osten. In den Teil des Landes, um den die
regierungstreue Truppen mit ukrainischen Separatisten und russischen
Soldaten seit nunmehr drei Jahren kämpfen.
10.000 Tote hat es dabei gegeben, schätzen die Vereinten Nationen, aber am
Verlauf der Front ändert sich seit Jahren kaum etwas. Boguslaw zeigt auf
den Zug, der hier gerade steht. „Wenn es keinen Handel mehr gibt, wird auch
der Krieg aufhören“, sagt er. Wie die anderen Blockierer glaubt er, die
Kämpfe gingen nur deshalb weiter, weil die Oligarchen, mächtige und reiche
Männer, die oft ganze Industriezweige kontrollieren, an dem Konflikt
verdienen.
Doch die Blockade berührt auch eine zentrale Frage in diesem zermürbenden
Stellungskrieg ohne Aussicht auf ein Ende: Wie wollen die durch eine
Frontlinie getrennten Menschen in der Ukraine zusammenleben? Wie sehen die
Ukrainer im Rest des Landes, die Menschen im Osten, in den beiden
international nicht anerkannten Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk?
Sind es Opfer? Verräter? Täter?
Laut Umfragen sind inzwischen 17 Prozent der Ukrainer dafür, alle Kontakte
in den Osten abzubrechen. Als „Geschwür“, haben Abgeordnete der Partei
Samopomitsch („Selbsthilfe“), die Separatisten bezeichnet. Sie bekam bei
der Wahl 2014 knapp 11 Prozent und ist die drittstärkste Partei im
Parlament. Die Meinung von Boguslaw mag nicht die der Mehrheit sein, aber
die einer Minderheit, die wächst und lauter wird, je länger der Krieg
dauert.
Neben Boguslaws Zelt steht noch ein anderes in den sanften Hügeln bei
Bachmut. Männer hacken Holz und werfen es in Fässer, aus denen Rauch
aufsteigt. Ein paar wärmen sich ihre Hände, jemand hat ein Autoradio
angeschaltet, es spielt „Highway to Hell“ von AC/DC. Boguslaw kommt aus
Kiew, er hatte da mal ein kleines Unternehmen. Er sieht die Sache mit denen
aus dem Osten ganz klar: Das seien „Kollaborateure“ wie das mit Hitler
verbündete Vichy-Regime in Frankreich. Die Bewohner hätten doch selbst im
Mai 2014 für die Abspaltung von der Ukraine gestimmt. Dass die Ergebnisse
dieses Referendums von vielen Menschen angezweifelt werden, die auf
Boguslaws Seite stehen, von der ukrainischen Regierung und westlichen
Diplomaten, ändert an seiner Gewissheit nichts. „All jene, die mit der
Ukraine sympathisieren, haben doch längst die Gebiete verlassen“, sagt er.
## Kämpfen wie im Roman
Eineinhalb Jahre hat der 32-Jährige an der 500 Kilometer langen Front in
einem Freiwilligenbataillon gekämpft. Boguslaw ist sein Kampfname, seinen
bürgerlichen Namen will er nicht verraten, aus Sicherheitsgründen, wie er
sagt. Als Kind hat er viele Kriegsmemoiren und Abenteuerromane aus dem
Zweiten Weltkrieg gelesen, er sagt, er habe immer wieder vom Kämpfen
geträumt. Im Frühjahr 2014 schließt er sich dem Freiwilligenverband Donbass
an. Auch weil es gegen Russland geht, für ihn der klassische Feind, der der
Ukraine seit Jahrhunderten die Unabhängigkeit abspricht.
„Zu jeder Zeit hätten wir den Krieg militärisch entscheiden können“, das
glaubt Boguslaw. „Aber den Machthabern in Kiew waren immer die Hände
gebunden. Es sind die Oligarchen, die sich durch diesen Krieg bereicherten,
er nutzt nur ihnen.“ Er spielt dabei auf Männer wie Rinat Achmetow an, dem
viele Kraftwerke in der Ukraine gehören. Bisher konnte er dafür Kohle aus
den Separatistengebieten mit Zügen auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet
bringen und dort verbrennen lassen. Wer Männer wie Boguslaw verstehen
will, muss sich vorstellen, wie zum Beispiel in der Frontstadt Awdijiwka
Lokomotiven unbehelligt Wagen voller Kohle zum dortigen Kraftwerk ziehen,
während ein paar Meter weiter ukrainische Soldaten beschossen werden und
sterben. Die Züge sind für viele Kämpfer zu einem Symbol geworden für
alles, was schiefläuft in diesem Konflikt. Als Kriegsveteranen zu
Jahresbeginn die ersten Schienen in der Ostukraine blockierten, schloss er
sich Boguslaw an. „Wie kann ich zu Hause herumsitzen, wenn meine Heimat
immer noch besetzt ist?“
Heimat. Wenn Boguslaw spricht, hat er sie eigentlich schon verloren
gegeben. Sollte man den Osten nicht zurückerobern können, dann müsse denen
da drüben wenigstens so weit wie möglich geschadet werden. Er hätte auch
gern die Strom- und Wasserversorgungen gekappt. „Dann muss sich Russland
endlich auch offiziell um diese Gebieten kümmern“, sagt Boguslaw. Immer
noch bestreitet die Regierung in Moskau ihre Verwicklung in den Konflikt.
Kramatorsk ist die letzte größere Stadt vor dem eigentlichen Kriegsgebiet,
an der Stadtgrenze steht der erste von vielen Checkpoints an den von
Schlaglöchern und Geschossen beschädigten Straßen Richtung Front. Zwischen
den grauen Häuserblöcke steht der Sockel der Lenin-Statue, gestrichen in
Blau und Gelb. Viele Ukrainer wollen die Symbole der kommunistischen
Diktatur loswerden, der Arbeiterführer wurde im Zuge der
„Entkommunisierung“ gestürzt und der Stummel seiner einstigen Größe in d…
ukrainischen Nationalfarben überpinselt. Wie eine Selbstvergewisserung,
dass hier noch die Ukraine ist.
Das war nicht immer so. Katerina Filonowa erinnert sich noch gut an das
Frühjahr 2014, als sie mit einer blau-gelben Fahne auf die Straße ging, um
sich mit dem Maidan, der prowestlichen Protestbewegung im 700 Kilometer
entfernten Kiew, zu solidarisieren. Sie bewarfen Filonowa mit Eiern und
beschimpften sie als „Faschistin“. Wenige Wochen später begann der Krieg.
Als die Separatisten in Kramatorsk die Kontrolle übernahmen, floh Filonowa
aus der Stadt. Sie kehrte erst wieder zurück, als die ukrainische Armee die
Stadt im Sommer 2014 zurückeroberte.
Vor dem Krieg hat Filonowa bei einer Regionalzeitung gearbeitet. Heute
sieht sie sich als Kämpferin im Informationskrieg, ein Ringen um die Herzen
und Köpfe der Menschen. Die 40-Jährige baut den Fernsehsender „Do Tebe“ m…
auf. Der Name bedeutet „Zu dir“, sie ist für die Website verantwortlich.
Früher sendete Do Tebe aus Donezk, aber da haben die Separatisten das
Kommando. Vor zwei Jahren fingen einige Journalisten an, einen Exilsender
aufzubauen. Der Staat gibt kaum Geld, bis heute ist Do Tebe ein
Provisorium. Erst im Februar wurden Schreibtische geliefert, die
Programmchefin fegt gerade den Vorraum.
Viele Kollegen nennen die Journalisten, die in Donezk jetzt für den „Ersten
Republikanischen Fernsehkanal“ arbeiten „Verräter“ und „Terroristen“.
Filonowa sagt: „Ich glaube, dass jeder ganz persönliche Gründe hatte, um zu
gehen oder zu bleiben.“
Um die Gräben zwischen den Fronten zu kitten, will sie über Dinge
berichten, die die Menschen einen, nicht trennen. Heute steht eine
Reportage über einen Eiskunstlauf-Wettbewerb auf dem Programm und ein
Bericht darüber, wo Menschen am besten humanitäre Hilfe bekommen. „Das
Leben an der Front geht doch auch weiter“, sagt Katja Filonowa. Aber so
sehr sie sich bemüht, es nicht zu tun, sie beginnt zu resignieren.
Theoretisch könnten den Sender zwei Millionen Menschen empfangen, das
Signal reicht manchmal sogar bis zu den Leuten, die es eigentlich hören
sollen, bis nach Donezk. Doch auf Facebook hat Do Tebe nicht einmal 1.500
Abonnenten. Selbst vielen Bewohnern der Städte unter ukrainischer
Kontrolle, gilt der nur auf Ukrainisch sendende Kanal als nationalistische
Propaganda. Sie würden inzwischen ohnehin nur jene Menschen erreichen, die
positiv gegenüber Kiew eingestellt sind, sagt Filonowa.
## Die Hoffnung hat einen Plan
Während der Kämpfer Boguslaw und die Versöhnerin Katja Filonowa
resignieren, soll Heorhij Tuka Hoffnung versprühen, irgendwie. Der
53-Jährige sitzt im dritten Stock der Kiewer Bezirksverwaltung, einem
Wuchtbau aus der Sowjetzeit. Seit einem Jahr gibt sein „Ministerium für die
besetzten Gebiete“, Tuka ist der stellvertretende Minister. Zu lange habe
es Kiew versäumt, die Bewohner des Donbass für die Ukraine zu gewinnen,
sagt er. Zu Jahresbeginn hat das Ministerium einen „Plan zur
Reintegration des Donbass“ vorgelegt. Die Kontakte zwischen Lehrern,
Schülern und Ärzten sollen durch Austausch gefördert werden, besonders
Kranke sollen an den Checkpoints schneller durchkommen, solche Sachen. Das
klingt vage, und so soll es vielleicht auch sein. Die Regierung in Kiew
muss etwas tun, will aber nicht den Eindruck erwecken, mit ihren Feinden zu
kollaborieren. Es hat drei Jahre gedauert hat, bis es selbst diesen Plan
gab. „Wir suchen den Kontakt zu den einfachen Menschen“, sagt Tuka. „Das
sind unsere Bürger, genau wie alle anderen Ukrainer.“
Mitte April ist der Schnee am Bahnübergang von Bachmut geschmolzen.
Inzwischen hat die Zentralregierung in Kiew den Handel mit den
Separatistengebieten vorübergehend eingestellt. Zuvor hatten die
Separatisten ukrainisch kontrollierte Unternehmen auf ihrem Gebiet
„nationalisiert“, also übernommen. Die Polizei hat andere Blockadelager
aufgelöst, aber Boguslaw und seine Männer sitzen noch in ihren Zelten.
Sie haben gewonnen, zumindest teilweise, sie machen weiter.
22 Apr 2017
## AUTOREN
Simone Brunner
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