# taz.de -- Mut Homosexuelle werden in Syrien verfolgt. Unser Autor ist geflohe… | |
> Jahre Haft sieht Artikel 520 des syrischen Strafgesetzbuches bei | |
> homosexuellen Handlungen vor. 1949 trat er in Kraft | |
Bild: Beirut, Libanon, Februar 2015: Porträt von Sally. Ein Mitglied ihrer Fam… | |
Von Khaled Alesmael (Text) und Robin Hammond (Fotos) | |
Sie fesselten mich, meine Hände auf dem Rücken, das Seil schnitt in meine | |
Haut. Einer griff mich im Genick, da, wo der Knoten von dem Fetzen Stoff | |
war, mit dem sie mir die Augen verbunden hatten. Ich hörte sie flüstern. | |
„Er muss getötet werden, er ist verweiblicht, ein Sünder.“ Ich zitterte, | |
schwitzte, der Schweiß lief meine Stirn herunter. | |
Angst, ich war nur noch Angst. Windstöße schlugen gegen meinen Körper. | |
„Wirf ihn runter, los, so ein Sünder, Sodomist.“ Der, der mich am Nacken | |
hielt, ließ los, ein Stoß – ich spürte, wie mein Körper ins Nichts fiel. | |
In Panik schreckte ich hoch, riss meine Augen auf, sah nichts. Mein Atem | |
stockte, ich griff in mein Gesicht; da, die Schlafmaske – ich hatte | |
vergessen, dass ich sie aufhatte. Alles war feucht, mein Bett im engen | |
Zimmer im Asylbewerberheim in Åseda in Schweden – ein Meer. | |
Zigarettenrauch drang unter dem Türspalt durch. Ich hörte Männerstimmen aus | |
der Küche. Mir war schwindlig, ich griff nach meinem Handy. 10 Uhr. Sehr | |
langsam stand ich auf, wollte mir einen Kaffee kochen, ging zur Küche. Dort | |
saß mein Zimmergenosse mit Freunden. Sie rauchten, diskutierten auf | |
Arabisch. Ich versuchte, ihnen zuzulächeln. Sie sprachen darüber, dass der | |
„Islamische Staat“ Schulen übernommen habe und nun seine brutalen | |
Bildungsideen dort durchsetze. | |
„Kaffee ist schon gemacht“, sagte mein Zimmergenosse zu mir. „Assads Regi… | |
tötet unsere Kinder, und der IS macht Terroristen aus ihnen“, nahm ein | |
anderer das Gespräch wieder auf. Ich zitterte immer noch, sagte aber | |
trotzdem: „Wusstet ihr, dass der IS Homosexuelle tötet? Sie werfen sie von | |
Hochhäusern.“ Einer drehte sich zu mir. „Homosexuelle? Du meinst | |
Arschficker?“ Die anderen nickten. Der, der sich beklagt hatte, dass Kinder | |
zu Fanatikern gemacht werden, meinte: „Im Koran steht, diese Perversen sind | |
Sünder. Ich habe von dieser Krankheit erst gehört, als ich nach Schweden | |
kam. Es soll Flüchtlinge geben, die sich mit dieser Sünde in Europa | |
angesteckt haben.“ | |
Ich kapierte: Der Albtraum ist real, ist da, an diesem Tisch in dieser | |
Küche im Asylbewerberheim. Ich schaute sie an und verstummte. Muss ich auch | |
in Schweden so tun, als sei ich ein anderer? | |
Niedergeschlagen ging ich ins Zimmer. In meiner winzigen Koje dort saß ich | |
auf dem Bett und fühlte mich abgrundtief leer. Und da, in diesem Moment, | |
entschied ich, dass ich gegen diese Traurigkeit, die mein täglicher | |
Begleiter geworden war, kämpfen will. Mehr instinkthaft als bewusst nahm | |
ich meinen Computer auf den Schoß und schrieb: „Ab jetzt, von diesem Moment | |
an, will ich nicht mehr stumm sein! Es kann keine Veränderungen geben, | |
bevor unser Körper nicht uns gehört. Dafür muss ich kämpfen. Ich muss den | |
Leuten von dieser unsichtbaren Parallelwelt im Untergrund, die es in Syrien | |
schon so lange Zeit gibt, erzählen, Ort für Ort, Schritt für Schritt.“ | |
## Sibki Park | |
Der Sibki Park liegt in Shaalan – einem Kiez in Damaskus, der nicht nur | |
arabisch, sondern auch französisch, italienisch, griechisch, russisch, | |
armenisch geprägt ist. Der Park ist zwischen der Shaalan- und der | |
Hafiz-Ibrahim-Straße, unweit eines Marktes, wo es Obst und Gemüse, aber | |
auch Raubkopien von Popmusik und anderem gibt. An Wochenenden sind viele | |
Familien im Park, aber er ist auch Treffpunkt für Schwule. Vor allem | |
Homosexuelle von außerhalb der Stadt treffen sich da. | |
An einem Herbstabend im Jahr 2000 war ich zum ersten Mal im Sibki Park. Ich | |
war 21 und hatte gehört, wie Teenager darüber Witze machten, dass sich | |
Perverse dort treffen. Kaum durchs Tor getreten, sprach mich ein Mann, | |
Issam, an. Ich hatte ihn zuvor in seinem Laden in Shaalan kennengelernt. | |
Ich wollte ein Hemd kaufen. Er brachte mir immer neue zum Anprobieren und | |
berührte mich dabei sanft am Rücken. Während wir jetzt im Park miteinander | |
sprachen, kam es mir vor, als meinten wir das Gleiche, ohne es zu sagen. | |
Beim Abschied fragte er, ob wir uns wieder treffen können, und gab mir | |
seine Nummer. Das kam mir wie ein Kode vor, ich sagte ja. | |
Als ich ein paar Tage später die Shaalan-Straße überquerte, stand er schon | |
rauchend am Tor. „Die Geheimpolizei beobachtet den Park“, warnte er beim | |
Spazierengehen, „die meisten Besucher wissen, dass sich Schwule hier | |
treffen, es ist ihnen egal.“ Ich war nervös, hörte zu, wurde immer | |
aufgeregter. Endlich sagte er: „Die Geheimpolizei mag uns nicht, weil wir | |
Rebellen sind und etwas tun, für das es kein Gesetz gibt. Unser Begehren | |
passt nicht in die Norm, wir leben es trotzdem aus.“ Er hatte „wir“ gesag… | |
„uns“, „unser Begehren“ – das war, was ich so dringend zu hören geho… | |
hatte. | |
Wie können sie uns verhaften, wenn es kein Gesetz für das gibt, was wir | |
tun?, fragte ich. „Sie werfen uns andere Delikte vor. Wir sind dann noch | |
froh, weil sie uns so nicht outen. Allerdings, pass auf, wird die Polizei | |
dich von da an damit erpressen, dass sie unseren Familien erzählen, wir | |
seien schwul.“ Plötzlich befielen mich Unruhe und Angst. Ich kann sie heute | |
noch spüren. Wortlos ließ ich ihn stehen. Ich hatte Angst, dass Issam | |
selbst von der Geheimpolizei war und mich erpressen wollte. | |
Es gibt ein syrisches Sprichwort: „Das Verbotene zieht an“, und das Wort | |
„Rebell“, das Issam benutzt hatte, gefiel mir. Noch in der selben Woche | |
ging ich wieder in den Park und traf dort zufällig erneut auf ihn. Er | |
wirkte gelöster, das half mir. Der Park war grün und sauber. Ein | |
rechteckiger Teich mit einer Fontäne war in der Mitte, Straßenverkäufer | |
priesen Popcorn und Zigaretten an. Allerdings funktionierten einige Lampen | |
nicht, nachts gab es dunkle Ecken. | |
Issam erzählte, dass Schwule gegen 8 Uhr abends aufkreuzten. Ältere würden | |
in der Nähe des Teichs bleiben, Jüngere säßen auf den Bänken am Hauptweg. | |
Gebe es Augenkontakt, solle ich lächeln. Lächle der andere auch, solle ich | |
zu den öffentlichen Toiletten gehen. Dort sei Geschlechtsverkehr möglich – | |
oder auch nur ein Kuss. Als wir in die Toiletten gingen, sagte Issam noch, | |
ich solle immer die Tür im Auge behalten. | |
Es roch widerlich auf der Toilette. Nicht einmal für einen Kuss wollte ich | |
hier sein. Zudem war meine Angst größer als mein Begehren, ich stürzte | |
raus. Issam kapierte: Sibki Park war nichts für mich. „Es gibt andere Orte, | |
wo sich Männer heimlich treffen können“, sagte er, „in den Hamams, den | |
versteckten Häfen von Damaskus.“ Ich schaute ihn an. „Alle Männer, die im | |
Dampf sitzen, wollen Sex mit Männern. Aber nur in wenigen Hamams ist es | |
sicher für Schwule.“ | |
## Hamam Ammouneh | |
In einer Straße in der Altstadt befindet sich das einfache Hamam Ammouneh. | |
Ammouneh ist ein Frauenname aus ottomanischer Zeit. Eine winzige Tür unter | |
einem Bogen nahe der Großen Moschee war der Eingang. Der Besitzer begrüßte | |
mich mit „Hallo Jüngelchen“ – ich war der jüngste Kunde. | |
Im Barrani, dem Umkleideraum, war ich allein. Mit wahnsinnigem Herzklopfen | |
zog ich mich aus, wickelte das Handtuch um mich. Ich war so aufgeregt, | |
endlich in den Hafen einzulaufen, wie Issam es nannte, mein Körper zitterte | |
vor Erregung. Ich nahm ein Stück Lorbeerseife und einen Schwamm und stieß | |
die Tür zum Wastani auf, einem kleinen Raum, erhellt von einer Glühbirne. | |
Links saß eine Gruppe bärtiger Männer, die mich anstarrten. Ich war so | |
verlegen, schaute nicht zurück, ging direkt in den Dampfraum, den Aljowani, | |
es duftete nach Lorbeer. Der Wasserdampf war nicht so dicht, ich konnte die | |
Männer erkennen. Ich war aber zu scheu, um Augenkontakt aufzunehmen, und | |
starrte nur an die Wand, von der die Farbe abblätterte. | |
Am hinteren Ende waren zwei Räume, vor deren Eingängen Handtücher hingen. | |
In der Nähe saßen zwei Männer, die verhinderten, dass jemand reinging. | |
Neben einem Wasserhahn, aus dem heißes Wasser lief, setzte ich mich auf den | |
Boden. Von da konnte ich durch die haarigen Beine zweier Männer sehen, die | |
sich bewegten. Einer kniete sich langsam auf den feuchten Boden. Mein | |
Körper fiel in eine Erregung: Ich kochte vor Begehren, das dieser Anblick | |
bei mir ausgelöst hatte, und genierte mich, weil andere das gleichzeitig | |
merken könnten. | |
Wie aus dem Nichts tauchte ein Mann mit Schnauzer auf. „Bist du zum ersten | |
Mal hier?“, fragte er. Ich nickte. Seine Haut war ungewöhnlich hell und | |
weich, sein Handtuch trug er als Minirock. „Ich heiße Sahar“, flüsterte er | |
und zeigte auf das Tattoo auf seiner Schulter. Dort stand jedoch Sahr – ein | |
Frauenname. Er fragte, ob ich auch weiblich angeredet werden wolle. „Lieber | |
nicht.“ Er lachte: „Das sagen alle beim ersten Besuch.“ | |
Er kam noch näher, sein Atem berührte meine Haut. „Abu Imad möchte Sex mit | |
dir. Sag ja, und du bereust es nicht.“ Ich spürte, wie mein Blut fror bei | |
dem Gedanken daran, meine Beine könnten sich dort hinter dem Vorhang ebenso | |
bewegen. Sahar sprühte mir Wasser ins Gesicht. „Hey, willst du zu Abu Imad | |
oder was?“ Ich war neugierig, wie Abu Imad aussah, und nickte. | |
Abu Imad war stattlich, bärtig, einige Haare schon grau. Er sah aus wie die | |
Leute vom Umland, und so war er auch. Er bot mir eine Zigarette an, | |
versuchte mir das Gefühl zu geben, alles sei okay, er sei Taxifahrer, hätte | |
einen fünfjährigen Sohn. Komisch fand ich, dass er das erwähnte, bevor wir | |
Sex hatten. Dann fragte er, ob er im Umkleideraum schnell seine Gebete | |
verrichten könne, entschuldigte sich und ließ mich verwirrt zurück. Warum | |
diese Details? Warum geht er plötzlich, betet, bereut er etwas? Oder ist er | |
Polizist? Plötzlich hatte ich das Gefühl, das Hamam sei eine Falle. Aber | |
Abu Imad kam zurück und fragte freundlich, ob ich ihm folge. Wir gingen in | |
den Raum, er nahm sein Handtuch ab, verdeckte damit den Eingang und lud | |
mich ein, auch mein Handtuch fallen zu lassen. | |
Ich ging noch oft ins Ammouneh. Viele Männer dort waren wie Abu Imad | |
verheiratet und kamen aus dem Umland. Auch Sahar hatte Frau und Kinder. Er | |
erzählte mir, dass Männer hierherkommen, um Sex vor der Ehe zu haben, weil | |
es mit Frauen nicht gehe. Einige kämen nach der Heirat weiterhin. Was mich | |
angeht, ich habe auch gern Sex mit verheirateten Männern, mit schwulen | |
Männern bin ich lieber zusammen zum Reden. | |
Wenn ich im Ammouneh war, fühlte ich mich zu Hause. Dass es dort nicht | |
sauber war, störte mich nicht. Mir ging es um die Leute, ich wollte sie | |
spüren. Hinterher fühlte ich mich frei. Mein älterer Bruder, mit dem ich | |
eine Wohnung teilte, sagte, ich würde ihm immer so sauber, so rein | |
erscheinen, wenn ich aus dem Ammouneh komme. | |
## Hamam Alemareye | |
2003 war ich im dritten Jahr an der Universität in Damaskus. Ich studierte | |
englische Literatur. Jeden Freitag ging ich ins Hamam. Mich nackt vor | |
Fremden zu zeigen hatte mich selbstbewusster gemacht, mich meinem Körper | |
näher gebracht – und dem der anderen. Ich erkannte sie. | |
Eines Abends ging ich unter den mit Jasmin überwucherten Bögen in der engen | |
Alemareye-Straße entlang, wo immer viel los ist, wo Cafés sind und Läden. | |
Als ich am Hamam Alemareye vorbeiging, kam eine Gruppe lachender Männer | |
heraus. Es war klar, sie waren schwul. | |
Das Alemareye, hell und marmorgefliest, ist etwas teurer als das Hamam | |
Ammouneh. Die Leute, die hier verkehrten, hatten meist eine bessere | |
Schulbildung und waren nicht so konservativ wie die im Ammouneh. Bei neuen | |
Gästen versuchten die Angestellten herauszufinden, ob sie okay waren oder | |
von der Geheimpolizei, die Schwule jagte. Morgens war das Bad nur für | |
Frauen geöffnet, abends fanden die Männer mitunter Kämme und Haarklammern, | |
die sie sich ins Haar steckten, oder Unterwäsche, die mit großem Hallo | |
vorgeführt wurde. Manchmal machten die Angestellten das Licht aus, und das | |
Hamam verwandelte sich in einen Darkroom, in dem Körper verschmolzen in | |
flüchtigem Sex. | |
## Al-Hamra Street | |
Im Sommer ging kaum jemand ins Hamam. Schwule hingen stattdessen in Parks | |
und Schwimmbädern herum. Und in warmen Nächten auf bestimmten Straßen wie | |
der Alhamra-Straße in Shaalan, diesem Bezirk, der noch Spuren vom | |
kolonialen Erbe zeigte, aber auch vom Widerstand dagegen. Hier verschmolz | |
der Orient mit dem Westen. Botschaften neben Werkstätten, Läden, in denen | |
westliche Mode verkauft wurde, neben Möbelmachern, Moscheen und Kirchen. | |
Tagsüber war viel los. Nachts auch. Autos fuhren auf und ab, während Männer | |
unter den Straßenlaternen entlangschlenderten und darauf warteten, dass | |
Zeichen gegeben wurden. Es war gefährlich, stehen zu bleiben. Daher waren | |
alle darauf bedacht, in der Dunkelheit schnell zu unterscheiden, wer echtes | |
Interesse hatte und wer eine Falle stellte. Orte für Sex indes gab es hier | |
nicht. War ein Kontakt hergestellt, fuhr man im Auto weg. | |
Meine Tante wohnte in Shaalan. Eines Nachts, nach einem Besuch bei ihr, | |
ging ich über die Alhamra-Straße zurück, durchaus hoffend, jemanden zu | |
treffen. Plötzlich hielt ein Taxi neben mir, zwei Männer stiegen aus, einer | |
hob seine Hand, als wolle er grüßen. Als ich den Gruß erwiderte, legte er | |
mir Handschellen an und stieß mich ins Auto. Sie nahmen mir den Ausweis ab, | |
beschimpften mich, ich sei ein perverser Schwanzlutscher, und | |
wahrscheinlich seien meine Mutter und meine Schwestern auch Huren. Erst | |
geschockt, brach es jetzt aus mir heraus: Ich schrie, dass niemand je so | |
mit mir geredet habe. Der Polizist schlug mir ins Genick. „Was hast du dort | |
gemacht?“ Ich war in Panik, sagte, ich hätte meine Tante besucht. Ob sie | |
eine Prostituierte wie ich sei? Sie ist Fernsehmoderatorin, sagte ich, | |
nannte den Namen, ruft sie an. | |
Sie verstummten, gaben mir den Ausweis zurück, lösten die Handschellen, | |
ließen mich gehen. Meine Handgelenke bluteten. Was, wenn meine Tante nicht | |
öffentlich bekannt wäre? Eine Woche ging ich nicht aus dem Haus. Ich hatte | |
Angst. | |
Im Dezember 2005 las ich in der Zeitung, das Hamam Ammouneh sei | |
geschlossen, weil es marode sei. Sahar, den ich bald darauf zufällig traf, | |
wusste mehr: Die Geheimpolizei hatte eine Razzia gemacht, den Besitzer und | |
die Besucher verhaftet. Er sah zerzaust aus, jetzt, wo das Ammouneh zu war. | |
„Aber es gibt einen Ort, wo es ähnlich ist. Das Cinema Byblos.“ | |
## Cinema Byblos | |
„Geh über den Almarja-Platz zur Alnaser-Straße“, hatte Sahar gesagt, „d… | |
siehst du das Siddiq-Restaurant. Geh links weiter bis zu einem | |
Ladenfenster, in dem ein Filmplakat hängt. Das ist das Cinema Byblos.“ Als | |
ich über den Platz ging, hatte ich das Gefühl, alle wüssten, wohin ich | |
wollte. | |
Auf dem Poster wurde für den Film „I’ll die twice and love you“ von 1976 | |
mit der Schauspielerin Ighraa geworben. Frivol schaute sie in die Kamera. | |
Ighraa war immer eine Ikone; sie hat die eng gesteckten | |
Schicklichkeitsgrenzen im arabischen Film niedergerissen. Ihr Blick auf dem | |
Plakat hat sich mir eingebrannt. | |
Ich bezahlte dem Alten an der Kasse die 25 syrischen Lire und ging hinein. | |
Die Eingangshalle war pink gestrichen. Überall hingen geschmacklose Plakate | |
von syrischen Filmen aus den siebziger Jahren: „Sommergirls“, | |
„Wintermädchen“, „Die Braut aus Damaskus“. Es gibt ein syrisches | |
Sprichwort: „In der Hölle braucht man Feuerholz.“ | |
Der Kinosaal war dunkel, Licht flackerte nur auf durch den Schwarzweißfilm. | |
Es war schmutziger hier als im Hamam Ammouneh. Zigarettenrauch hing in den | |
Sesseln, im Teppich, der Gestank war so stark, dass ich die Hand vor die | |
Nase hielt und wieder rausging. Draußen sah ich, dass links die Toiletten | |
waren, dorthin wollte ich. Es roch klebrig. Zwei Männer standen bei den | |
kaputten Urinalen und fassten sich an. Ein Dritter kam aus einer Kabine, | |
ging auf die Knie und begann, eifrig den Schwanz des einen zu lutschen, | |
während der andere zusah. Fluchtartig verließ ich den Ort. Furcht, dass die | |
Geheimpolizei hier jeden Augenblick aufkreuzen könnte, überkam mich. | |
Aber das war nicht das Ende. Ich bin noch oft ins Byblos gegangen. Dort | |
traf ich andere Schwule als in den Hamams – ältere, ärmere, bescheidene, | |
die dort sein wollten in der Gesellschaft Gleichgesinnter. Ich fragte mich, | |
wie ihr Leben in den 50er, 60er Jahren war. Mit der Zeit fühlte ich mich | |
sicherer in dieser unsichtbaren Welt. Ich verstand: Die Gemeinschaft macht | |
einen stark. | |
## Veränderungen | |
Mit dem Krieg im Irak kamen vermehrt Iraker nach Damaskus, die aus dem ins | |
Chaos gestürzten Land flohen. Zeitgleich breitete sich das Internet aus, | |
vor allem in größeren Städten wie Aleppo, Damaskus, Homs. Viele junge Syrer | |
verstanden, dass das Netz ein Tor in die Welt war, und hingen gern in den | |
überall entstehenden Internetcafés herum. Damit einher ging die immer öfter | |
zu hörende Forderung nach Presse- und Meinungsfreiheit. Die Geheimpolizei | |
hatte nicht nur damit zu tun, sondern auch mit den mehr als zwei Millionen | |
Flüchtlingen aus dem Irak sowie denen, die aus dem Libanon kamen, als dort | |
2006 ein neuer Krieg entfacht wurde. Die Schikanierung Homosexueller trat | |
in den Hintergrund. Die scheinbar neue Offenheit im Umgang mit Sex zeigte | |
sich auch daran, dass nach 2006 neue Clubs und Unterhaltungsetablissements | |
in Aleppo und Damaskus eröffnet wurden. | |
Jaramana, im Süden von Damaskus, war so ein Bezirk, wo nicht nur Syrer von | |
außerhalb gern hinzogen, sondern auch irakische Flüchtlinge. Schon vorher | |
ging es unter den 200.000 Menschen dort bunt zu, Nationalitäten und | |
Herkünfte, Aussehen und Religionen, alles war gemischt. Wollten Paare | |
unterschiedlicher Religionen heiraten, dort konnten sie es. | |
Auf der Hauptstraße von Jaramana verdichtete sich das Leben: Restaurants, | |
Cafés, hupende Autos, farbenfrohes Gewusel. Weil die Mieten bezahlbar | |
waren, hatten viele Iraker hier Läden eröffnet, darunter Nachtclubs, in | |
denen Sänger und Tänzerinnen auftraten. | |
Auch Schwule spürten die neue Laxheit. Die Besitzer des Hamam Alemareye | |
verkauften es und eröffneten stattdessen das Hamam Jaramana. Schwule waren | |
willkommen. Allerdings war Vorsicht geboten, auch Geheimpolizisten gingen | |
dorthin, insbesondere, wenn in den Wohnhäusern wieder das Wasser abgestellt | |
war. Man kannte sie aber, da sie das Bad gewöhnlich verließen, ohne zu | |
bezahlen. Das Hamam war populär, heterosexuelle Iraker genossen es, sich zu | |
baden und nebenbei mit einem passiven Schwulen Sex zu haben. Mir gefiel es | |
wiederum, mit ihnen zu verkehren, weil klar war, dass sie nicht von der | |
Geheimpolizei waren. | |
Im Juli 2008 traf ich Abu Ali. Er war aus Bagdad. Obwohl hetero, kapierte | |
er, dass ich als Schwuler mit ihm spielen wollte. Er war nicht | |
interessiert, brachte mich aber in Kontakt mit einem Freund, von dem er | |
wusste, dass er Sex mit Schwulen mochte. Auf dem Weg dorthin erzählte er, | |
dass sie beide als Fahrer für General Motors arbeiteten. Ihre Route: | |
Bagdad–Damaskus. Ihre Wohnung lag unweit des berühmten Bogens von Jaramana. | |
Abu Ali bat mich hinein. Die Wohnung war sauber und leer, nur ein Sofa | |
stand im Zimmer. „Die Fahrer der Bagdad-Route können hier übernachten“, | |
sagte er. | |
Plötzlich kam aus der Dusche ein bärtiger Mann mit nassen Haaren, der eine | |
beige Galabeye trug, das arabische Männergewand. Er hieß Allawi. Wir | |
setzten uns aufs Sofa. Allawi fragte, wie ich heiße, wie alt ich sei, was | |
ich arbeitete. Abu Ali kam mit einem Tablett mit Wasser, Raki und Joghurt, | |
setzte sich auf den Boden und bat uns dazu. | |
Der Raki war zu stark für mich. Erst redeten wir nur über Jaramana, aber | |
mit jedem Schluck Schnaps wurden die Themen ernster: Krieg, Migration, die | |
schlimme Route Damaskus–Bagdad. „Die Straße ist die Linie zwischen Leben | |
und Tod“, sagte Abu Ali. Und Allawi weinte fast, als er erzählte, dass er | |
mit wahnsinniger Angst nach Bagdad fahre und erst aufatme, wenn er auf dem | |
Rückweg die Grenze zu Syrien überquere. | |
Es war schwer für mich, den Ernst ihrer Worte zu verstehen, da mein Leben | |
damals noch ohne Krieg war. Wir sprachen über alles, nur nicht über Sex, | |
also erwähnte ich das Thema. Allawi war schon betrunken und sagte, dass er | |
feminine Männer vorziehe, ich sei nicht sein Typ. Trotzdem war ich gern | |
dort. Ich verstand, wie Krieg die Werte und Lebenspläne verändert. Erst um | |
3 Uhr morgens ging ich nach Hause und dachte auf dem Weg, dass man, wenn | |
man irgendwo ein Fremder ist, offener sein kann, dass man aber auch | |
empfindsamer und müder ist. Und ich dachte, dass ich in einem Land wie | |
Syrien nur offen mit Leuten wie ihnen über Politik, Sex und Religion reden | |
kann. Bei meinen Landsleuten sind diese Themen tabu. | |
## Gays online | |
Obwohl sie teuer sind, verbreiteten sich Smartphones und Laptops rasant in | |
Syrien. Im Jahr 2007 versuchte das Assad-Regime mehrmals, soziale Netzwerke | |
wie Facebook zu blockieren, aber Sex-Websites und schwule Netzwerke wie | |
Manjam blieben offen. | |
Manjam war das virtuelle Fenster, mit dem Schwule in den arabischen Ländern | |
miteinander in Kontakt kommen konnten. Auch mit Schwulen in Europa begann | |
ich zu chatten, ich wollte wissen, wie sie leben, wo sie sich treffen, wie | |
es um die gleichgeschlechtliche Ehe steht. Umgekehrt merkte ich: Schwule | |
aus Europa kontaktierten mich nur, wenn sie Sex wollten. Sie fantasierten | |
sich diesen hypersexualisierten Körper mit dunkler Haut und schwarzem Bart | |
herbei. Einmal erzählte mir ein Österreicher im Chat, er suche einen | |
arabischen Mann, der ihn wie seine Frau behandle. | |
Dieser Österreicher brachte mich in Kontakt mit einem Libanesen, der für | |
Schwule Reisen nach Syrien organisierte. Er sagte, nicht mehr Beirut, | |
sondern Damaskus sei nun Traumziel vieler schwuler Europäer und | |
US-Amerikaner. Die Syrer kämen ihnen authentischer vor und weniger | |
verwestlicht. | |
Ein paar Monate später kam er mit einer Gruppe Finnen nach Damaskus. Die | |
fünf blonden Männer wohnten im Oriental Hotel; ich zeigte ihnen die Stadt. | |
Sie hatten schon ein Hamam besucht und waren beeindruckt, dass so viele | |
Schwule dort waren. Dass es der einzige Ort in Syrien war, wo Schwule sich | |
einigermaßen sicher fühlen konnten, war ihnen nicht klar. Auch nicht, dass | |
es keine schwulen Bars gab, höchstens schwulenfreundliche Locations – | |
einige in der Nähe des Hotels, in dem sie wohnten. In einer Nacht gingen | |
wir ins Murmur, einen dieser inoffiziellen Schwulenclubs, und tanzten bis | |
morgens um 3 Uhr. Als wir auf dem Weg zurück die alten Mauern | |
entlangschlenderten, sagte ich ihnen, dass ich gern in Damaskus lebe, trotz | |
der Schwierigkeiten und Gefahren. | |
## Untergrund-Revolution | |
Diese Geschichte hat kein Ende. Es sieht so aus, dass du als Homosexueller | |
aus Syrien immer weiter für deine Rechte kämpfen musst – auch in Schweden | |
und anderswo in Europa. Ich habe meine sexuelle Orientierung vor meiner | |
Familie und vor Freunden in Syrien verheimlicht. Ich hatte Angst, | |
eingesperrt zu werden, meinen Job und meine Freunde zu verlieren oder ihren | |
Respekt. Doch ich erinnerte mich, dass mich jede Sekunde, in der ich mich | |
nicht selbst verraten hatte, stärker gemacht hat. Und ich erinnerte mich, | |
dass die Kinder von Daraa, die im März 2011 Freiheitsparolen an die Wand | |
der Schule schrieben, gefangen und gefoltert wurden – es war der Beginn der | |
syrischen Revolution. | |
Ich nahm einen Stift, ging in den Waschraum im Keller des Asylbewerberheims | |
und schrieb an die Wand: „Schwule haben Rechte hier. Schwule sind Menschen. | |
Homosexualität ist Sexualität, keine Krankheit. Greift Schwule nicht an, | |
wenn ihr sie schon nicht unterstützt. Wenn du Opfer mangelnder Bildung | |
bist, lies. Liebe deinen Sohn, auch wenn er schwul ist. Schwule kämpfen | |
gegen Ignoranz, nicht gegen Gott.“ | |
Übersetzung: Waltraud Schwab | |
Khaled Alesmael, Journalist aus Syrien, kam 2015 als Asylbewerber nach | |
Schweden. Er arbeitet im Rahmen eines Journalistenaustauschs bei der taz | |
Robin Hammond widmet sich als Fotograf häufig Menschenrechtsthemen | |
15 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Khaled Alesmael | |
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