Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mut Homosexuelle werden in Syrien verfolgt. Unser Autor ist geflohe…
> Jahre Haft sieht Artikel 520 des syrischen Strafgesetzbuches bei
> homosexuellen Handlungen vor. 1949 trat er in Kraft
Bild: Beirut, Libanon, Februar 2015: Porträt von Sally. Ein Mitglied ihrer Fam…
Von Khaled Alesmael (Text) und Robin Hammond (Fotos)
Sie fesselten mich, meine Hände auf dem Rücken, das Seil schnitt in meine
Haut. Einer griff mich im Genick, da, wo der Knoten von dem Fetzen Stoff
war, mit dem sie mir die Augen verbunden hatten. Ich hörte sie flüstern.
„Er muss getötet werden, er ist verweiblicht, ein Sünder.“ Ich zitterte,
schwitzte, der Schweiß lief meine Stirn herunter.
Angst, ich war nur noch Angst. Windstöße schlugen gegen meinen Körper.
„Wirf ihn runter, los, so ein Sünder, Sodomist.“ Der, der mich am Nacken
hielt, ließ los, ein Stoß – ich spürte, wie mein Körper ins Nichts fiel.
In Panik schreckte ich hoch, riss meine Augen auf, sah nichts. Mein Atem
stockte, ich griff in mein Gesicht; da, die Schlafmaske – ich hatte
vergessen, dass ich sie aufhatte. Alles war feucht, mein Bett im engen
Zimmer im Asylbewerberheim in Åseda in Schweden – ein Meer.
Zigarettenrauch drang unter dem Türspalt durch. Ich hörte Männerstimmen aus
der Küche. Mir war schwindlig, ich griff nach meinem Handy. 10 Uhr. Sehr
langsam stand ich auf, wollte mir einen Kaffee kochen, ging zur Küche. Dort
saß mein Zimmergenosse mit Freunden. Sie rauchten, diskutierten auf
Arabisch. Ich versuchte, ihnen zuzulächeln. Sie sprachen darüber, dass der
„Islamische Staat“ Schulen übernommen habe und nun seine brutalen
Bildungsideen dort durchsetze.
„Kaffee ist schon gemacht“, sagte mein Zimmergenosse zu mir. „Assads Regi…
tötet unsere Kinder, und der IS macht Terroristen aus ihnen“, nahm ein
anderer das Gespräch wieder auf. Ich zitterte immer noch, sagte aber
trotzdem: „Wusstet ihr, dass der IS Homosexuelle tötet? Sie werfen sie von
Hochhäusern.“ Einer drehte sich zu mir. „Homosexuelle? Du meinst
Arschficker?“ Die anderen nickten. Der, der sich beklagt hatte, dass Kinder
zu Fanatikern gemacht werden, meinte: „Im Koran steht, diese Perversen sind
Sünder. Ich habe von dieser Krankheit erst gehört, als ich nach Schweden
kam. Es soll Flüchtlinge geben, die sich mit dieser Sünde in Europa
angesteckt haben.“
Ich kapierte: Der Albtraum ist real, ist da, an diesem Tisch in dieser
Küche im Asylbewerberheim. Ich schaute sie an und verstummte. Muss ich auch
in Schweden so tun, als sei ich ein anderer?
Niedergeschlagen ging ich ins Zimmer. In meiner winzigen Koje dort saß ich
auf dem Bett und fühlte mich abgrundtief leer. Und da, in diesem Moment,
entschied ich, dass ich gegen diese Traurigkeit, die mein täglicher
Begleiter geworden war, kämpfen will. Mehr instinkthaft als bewusst nahm
ich meinen Computer auf den Schoß und schrieb: „Ab jetzt, von diesem Moment
an, will ich nicht mehr stumm sein! Es kann keine Veränderungen geben,
bevor unser Körper nicht uns gehört. Dafür muss ich kämpfen. Ich muss den
Leuten von dieser unsichtbaren Parallelwelt im Untergrund, die es in Syrien
schon so lange Zeit gibt, erzählen, Ort für Ort, Schritt für Schritt.“
## Sibki Park
Der Sibki Park liegt in Shaalan – einem Kiez in Damaskus, der nicht nur
arabisch, sondern auch französisch, italienisch, griechisch, russisch,
armenisch geprägt ist. Der Park ist zwischen der Shaalan- und der
Hafiz-Ibrahim-Straße, unweit eines Marktes, wo es Obst und Gemüse, aber
auch Raubkopien von Popmusik und anderem gibt. An Wochenenden sind viele
Familien im Park, aber er ist auch Treffpunkt für Schwule. Vor allem
Homosexuelle von außerhalb der Stadt treffen sich da.
An einem Herbstabend im Jahr 2000 war ich zum ersten Mal im Sibki Park. Ich
war 21 und hatte gehört, wie Teenager darüber Witze machten, dass sich
Perverse dort treffen. Kaum durchs Tor getreten, sprach mich ein Mann,
Issam, an. Ich hatte ihn zuvor in seinem Laden in Shaalan kennengelernt.
Ich wollte ein Hemd kaufen. Er brachte mir immer neue zum Anprobieren und
berührte mich dabei sanft am Rücken. Während wir jetzt im Park miteinander
sprachen, kam es mir vor, als meinten wir das Gleiche, ohne es zu sagen.
Beim Abschied fragte er, ob wir uns wieder treffen können, und gab mir
seine Nummer. Das kam mir wie ein Kode vor, ich sagte ja.
Als ich ein paar Tage später die Shaalan-Straße überquerte, stand er schon
rauchend am Tor. „Die Geheimpolizei beobachtet den Park“, warnte er beim
Spazierengehen, „die meisten Besucher wissen, dass sich Schwule hier
treffen, es ist ihnen egal.“ Ich war nervös, hörte zu, wurde immer
aufgeregter. Endlich sagte er: „Die Geheimpolizei mag uns nicht, weil wir
Rebellen sind und etwas tun, für das es kein Gesetz gibt. Unser Begehren
passt nicht in die Norm, wir leben es trotzdem aus.“ Er hatte „wir“ gesag…
„uns“, „unser Begehren“ – das war, was ich so dringend zu hören geho…
hatte.
Wie können sie uns verhaften, wenn es kein Gesetz für das gibt, was wir
tun?, fragte ich. „Sie werfen uns andere Delikte vor. Wir sind dann noch
froh, weil sie uns so nicht outen. Allerdings, pass auf, wird die Polizei
dich von da an damit erpressen, dass sie unseren Familien erzählen, wir
seien schwul.“ Plötzlich befielen mich Unruhe und Angst. Ich kann sie heute
noch spüren. Wortlos ließ ich ihn stehen. Ich hatte Angst, dass Issam
selbst von der Geheimpolizei war und mich erpressen wollte.
Es gibt ein syrisches Sprichwort: „Das Verbotene zieht an“, und das Wort
„Rebell“, das Issam benutzt hatte, gefiel mir. Noch in der selben Woche
ging ich wieder in den Park und traf dort zufällig erneut auf ihn. Er
wirkte gelöster, das half mir. Der Park war grün und sauber. Ein
rechteckiger Teich mit einer Fontäne war in der Mitte, Straßenverkäufer
priesen Popcorn und Zigaretten an. Allerdings funktionierten einige Lampen
nicht, nachts gab es dunkle Ecken.
Issam erzählte, dass Schwule gegen 8 Uhr abends aufkreuzten. Ältere würden
in der Nähe des Teichs bleiben, Jüngere säßen auf den Bänken am Hauptweg.
Gebe es Augenkontakt, solle ich lächeln. Lächle der andere auch, solle ich
zu den öffentlichen Toiletten gehen. Dort sei Geschlechtsverkehr möglich –
oder auch nur ein Kuss. Als wir in die Toiletten gingen, sagte Issam noch,
ich solle immer die Tür im Auge behalten.
Es roch widerlich auf der Toilette. Nicht einmal für einen Kuss wollte ich
hier sein. Zudem war meine Angst größer als mein Begehren, ich stürzte
raus. Issam kapierte: Sibki Park war nichts für mich. „Es gibt andere Orte,
wo sich Männer heimlich treffen können“, sagte er, „in den Hamams, den
versteckten Häfen von Damaskus.“ Ich schaute ihn an. „Alle Männer, die im
Dampf sitzen, wollen Sex mit Männern. Aber nur in wenigen Hamams ist es
sicher für Schwule.“
## Hamam Ammouneh
In einer Straße in der Altstadt befindet sich das einfache Hamam Ammouneh.
Ammouneh ist ein Frauenname aus ottomanischer Zeit. Eine winzige Tür unter
einem Bogen nahe der Großen Moschee war der Eingang. Der Besitzer begrüßte
mich mit „Hallo Jüngelchen“ – ich war der jüngste Kunde.
Im Barrani, dem Umkleideraum, war ich allein. Mit wahnsinnigem Herzklopfen
zog ich mich aus, wickelte das Handtuch um mich. Ich war so aufgeregt,
endlich in den Hafen einzulaufen, wie Issam es nannte, mein Körper zitterte
vor Erregung. Ich nahm ein Stück Lorbeerseife und einen Schwamm und stieß
die Tür zum Wastani auf, einem kleinen Raum, erhellt von einer Glühbirne.
Links saß eine Gruppe bärtiger Männer, die mich anstarrten. Ich war so
verlegen, schaute nicht zurück, ging direkt in den Dampfraum, den Aljowani,
es duftete nach Lorbeer. Der Wasserdampf war nicht so dicht, ich konnte die
Männer erkennen. Ich war aber zu scheu, um Augenkontakt aufzunehmen, und
starrte nur an die Wand, von der die Farbe abblätterte.
Am hinteren Ende waren zwei Räume, vor deren Eingängen Handtücher hingen.
In der Nähe saßen zwei Männer, die verhinderten, dass jemand reinging.
Neben einem Wasserhahn, aus dem heißes Wasser lief, setzte ich mich auf den
Boden. Von da konnte ich durch die haarigen Beine zweier Männer sehen, die
sich bewegten. Einer kniete sich langsam auf den feuchten Boden. Mein
Körper fiel in eine Erregung: Ich kochte vor Begehren, das dieser Anblick
bei mir ausgelöst hatte, und genierte mich, weil andere das gleichzeitig
merken könnten.
Wie aus dem Nichts tauchte ein Mann mit Schnauzer auf. „Bist du zum ersten
Mal hier?“, fragte er. Ich nickte. Seine Haut war ungewöhnlich hell und
weich, sein Handtuch trug er als Minirock. „Ich heiße Sahar“, flüsterte er
und zeigte auf das Tattoo auf seiner Schulter. Dort stand jedoch Sahr – ein
Frauenname. Er fragte, ob ich auch weiblich angeredet werden wolle. „Lieber
nicht.“ Er lachte: „Das sagen alle beim ersten Besuch.“
Er kam noch näher, sein Atem berührte meine Haut. „Abu Imad möchte Sex mit
dir. Sag ja, und du bereust es nicht.“ Ich spürte, wie mein Blut fror bei
dem Gedanken daran, meine Beine könnten sich dort hinter dem Vorhang ebenso
bewegen. Sahar sprühte mir Wasser ins Gesicht. „Hey, willst du zu Abu Imad
oder was?“ Ich war neugierig, wie Abu Imad aussah, und nickte.
Abu Imad war stattlich, bärtig, einige Haare schon grau. Er sah aus wie die
Leute vom Umland, und so war er auch. Er bot mir eine Zigarette an,
versuchte mir das Gefühl zu geben, alles sei okay, er sei Taxifahrer, hätte
einen fünfjährigen Sohn. Komisch fand ich, dass er das erwähnte, bevor wir
Sex hatten. Dann fragte er, ob er im Umkleideraum schnell seine Gebete
verrichten könne, entschuldigte sich und ließ mich verwirrt zurück. Warum
diese Details? Warum geht er plötzlich, betet, bereut er etwas? Oder ist er
Polizist? Plötzlich hatte ich das Gefühl, das Hamam sei eine Falle. Aber
Abu Imad kam zurück und fragte freundlich, ob ich ihm folge. Wir gingen in
den Raum, er nahm sein Handtuch ab, verdeckte damit den Eingang und lud
mich ein, auch mein Handtuch fallen zu lassen.
Ich ging noch oft ins Ammouneh. Viele Männer dort waren wie Abu Imad
verheiratet und kamen aus dem Umland. Auch Sahar hatte Frau und Kinder. Er
erzählte mir, dass Männer hierherkommen, um Sex vor der Ehe zu haben, weil
es mit Frauen nicht gehe. Einige kämen nach der Heirat weiterhin. Was mich
angeht, ich habe auch gern Sex mit verheirateten Männern, mit schwulen
Männern bin ich lieber zusammen zum Reden.
Wenn ich im Ammouneh war, fühlte ich mich zu Hause. Dass es dort nicht
sauber war, störte mich nicht. Mir ging es um die Leute, ich wollte sie
spüren. Hinterher fühlte ich mich frei. Mein älterer Bruder, mit dem ich
eine Wohnung teilte, sagte, ich würde ihm immer so sauber, so rein
erscheinen, wenn ich aus dem Ammouneh komme.
## Hamam Alemareye
2003 war ich im dritten Jahr an der Universität in Damaskus. Ich studierte
englische Literatur. Jeden Freitag ging ich ins Hamam. Mich nackt vor
Fremden zu zeigen hatte mich selbstbewusster gemacht, mich meinem Körper
näher gebracht – und dem der anderen. Ich erkannte sie.
Eines Abends ging ich unter den mit Jasmin überwucherten Bögen in der engen
Alemareye-Straße entlang, wo immer viel los ist, wo Cafés sind und Läden.
Als ich am Hamam Alemareye vorbeiging, kam eine Gruppe lachender Männer
heraus. Es war klar, sie waren schwul.
Das Alemareye, hell und marmorgefliest, ist etwas teurer als das Hamam
Ammouneh. Die Leute, die hier verkehrten, hatten meist eine bessere
Schulbildung und waren nicht so konservativ wie die im Ammouneh. Bei neuen
Gästen versuchten die Angestellten herauszufinden, ob sie okay waren oder
von der Geheimpolizei, die Schwule jagte. Morgens war das Bad nur für
Frauen geöffnet, abends fanden die Männer mitunter Kämme und Haarklammern,
die sie sich ins Haar steckten, oder Unterwäsche, die mit großem Hallo
vorgeführt wurde. Manchmal machten die Angestellten das Licht aus, und das
Hamam verwandelte sich in einen Darkroom, in dem Körper verschmolzen in
flüchtigem Sex.
## Al-Hamra Street
Im Sommer ging kaum jemand ins Hamam. Schwule hingen stattdessen in Parks
und Schwimmbädern herum. Und in warmen Nächten auf bestimmten Straßen wie
der Alhamra-Straße in Shaalan, diesem Bezirk, der noch Spuren vom
kolonialen Erbe zeigte, aber auch vom Widerstand dagegen. Hier verschmolz
der Orient mit dem Westen. Botschaften neben Werkstätten, Läden, in denen
westliche Mode verkauft wurde, neben Möbelmachern, Moscheen und Kirchen.
Tagsüber war viel los. Nachts auch. Autos fuhren auf und ab, während Männer
unter den Straßenlaternen entlangschlenderten und darauf warteten, dass
Zeichen gegeben wurden. Es war gefährlich, stehen zu bleiben. Daher waren
alle darauf bedacht, in der Dunkelheit schnell zu unterscheiden, wer echtes
Interesse hatte und wer eine Falle stellte. Orte für Sex indes gab es hier
nicht. War ein Kontakt hergestellt, fuhr man im Auto weg.
Meine Tante wohnte in Shaalan. Eines Nachts, nach einem Besuch bei ihr,
ging ich über die Alhamra-Straße zurück, durchaus hoffend, jemanden zu
treffen. Plötzlich hielt ein Taxi neben mir, zwei Männer stiegen aus, einer
hob seine Hand, als wolle er grüßen. Als ich den Gruß erwiderte, legte er
mir Handschellen an und stieß mich ins Auto. Sie nahmen mir den Ausweis ab,
beschimpften mich, ich sei ein perverser Schwanzlutscher, und
wahrscheinlich seien meine Mutter und meine Schwestern auch Huren. Erst
geschockt, brach es jetzt aus mir heraus: Ich schrie, dass niemand je so
mit mir geredet habe. Der Polizist schlug mir ins Genick. „Was hast du dort
gemacht?“ Ich war in Panik, sagte, ich hätte meine Tante besucht. Ob sie
eine Prostituierte wie ich sei? Sie ist Fernsehmoderatorin, sagte ich,
nannte den Namen, ruft sie an.
Sie verstummten, gaben mir den Ausweis zurück, lösten die Handschellen,
ließen mich gehen. Meine Handgelenke bluteten. Was, wenn meine Tante nicht
öffentlich bekannt wäre? Eine Woche ging ich nicht aus dem Haus. Ich hatte
Angst.
Im Dezember 2005 las ich in der Zeitung, das Hamam Ammouneh sei
geschlossen, weil es marode sei. Sahar, den ich bald darauf zufällig traf,
wusste mehr: Die Geheimpolizei hatte eine Razzia gemacht, den Besitzer und
die Besucher verhaftet. Er sah zerzaust aus, jetzt, wo das Ammouneh zu war.
„Aber es gibt einen Ort, wo es ähnlich ist. Das Cinema Byblos.“
## Cinema Byblos
„Geh über den Almarja-Platz zur Alnaser-Straße“, hatte Sahar gesagt, „d…
siehst du das Siddiq-Restaurant. Geh links weiter bis zu einem
Ladenfenster, in dem ein Filmplakat hängt. Das ist das Cinema Byblos.“ Als
ich über den Platz ging, hatte ich das Gefühl, alle wüssten, wohin ich
wollte.
Auf dem Poster wurde für den Film „I’ll die twice and love you“ von 1976
mit der Schauspielerin Ighraa geworben. Frivol schaute sie in die Kamera.
Ighraa war immer eine Ikone; sie hat die eng gesteckten
Schicklichkeitsgrenzen im arabischen Film niedergerissen. Ihr Blick auf dem
Plakat hat sich mir eingebrannt.
Ich bezahlte dem Alten an der Kasse die 25 syrischen Lire und ging hinein.
Die Eingangshalle war pink gestrichen. Überall hingen geschmacklose Plakate
von syrischen Filmen aus den siebziger Jahren: „Sommergirls“,
„Wintermädchen“, „Die Braut aus Damaskus“. Es gibt ein syrisches
Sprichwort: „In der Hölle braucht man Feuerholz.“
Der Kinosaal war dunkel, Licht flackerte nur auf durch den Schwarzweißfilm.
Es war schmutziger hier als im Hamam Ammouneh. Zigarettenrauch hing in den
Sesseln, im Teppich, der Gestank war so stark, dass ich die Hand vor die
Nase hielt und wieder rausging. Draußen sah ich, dass links die Toiletten
waren, dorthin wollte ich. Es roch klebrig. Zwei Männer standen bei den
kaputten Urinalen und fassten sich an. Ein Dritter kam aus einer Kabine,
ging auf die Knie und begann, eifrig den Schwanz des einen zu lutschen,
während der andere zusah. Fluchtartig verließ ich den Ort. Furcht, dass die
Geheimpolizei hier jeden Augenblick aufkreuzen könnte, überkam mich.
Aber das war nicht das Ende. Ich bin noch oft ins Byblos gegangen. Dort
traf ich andere Schwule als in den Hamams – ältere, ärmere, bescheidene,
die dort sein wollten in der Gesellschaft Gleichgesinnter. Ich fragte mich,
wie ihr Leben in den 50er, 60er Jahren war. Mit der Zeit fühlte ich mich
sicherer in dieser unsichtbaren Welt. Ich verstand: Die Gemeinschaft macht
einen stark.
## Veränderungen
Mit dem Krieg im Irak kamen vermehrt Iraker nach Damaskus, die aus dem ins
Chaos gestürzten Land flohen. Zeitgleich breitete sich das Internet aus,
vor allem in größeren Städten wie Aleppo, Damaskus, Homs. Viele junge Syrer
verstanden, dass das Netz ein Tor in die Welt war, und hingen gern in den
überall entstehenden Internetcafés herum. Damit einher ging die immer öfter
zu hörende Forderung nach Presse- und Meinungsfreiheit. Die Geheimpolizei
hatte nicht nur damit zu tun, sondern auch mit den mehr als zwei Millionen
Flüchtlingen aus dem Irak sowie denen, die aus dem Libanon kamen, als dort
2006 ein neuer Krieg entfacht wurde. Die Schikanierung Homosexueller trat
in den Hintergrund. Die scheinbar neue Offenheit im Umgang mit Sex zeigte
sich auch daran, dass nach 2006 neue Clubs und Unterhaltungsetablissements
in Aleppo und Damaskus eröffnet wurden.
Jaramana, im Süden von Damaskus, war so ein Bezirk, wo nicht nur Syrer von
außerhalb gern hinzogen, sondern auch irakische Flüchtlinge. Schon vorher
ging es unter den 200.000 Menschen dort bunt zu, Nationalitäten und
Herkünfte, Aussehen und Religionen, alles war gemischt. Wollten Paare
unterschiedlicher Religionen heiraten, dort konnten sie es.
Auf der Hauptstraße von Jaramana verdichtete sich das Leben: Restaurants,
Cafés, hupende Autos, farbenfrohes Gewusel. Weil die Mieten bezahlbar
waren, hatten viele Iraker hier Läden eröffnet, darunter Nachtclubs, in
denen Sänger und Tänzerinnen auftraten.
Auch Schwule spürten die neue Laxheit. Die Besitzer des Hamam Alemareye
verkauften es und eröffneten stattdessen das Hamam Jaramana. Schwule waren
willkommen. Allerdings war Vorsicht geboten, auch Geheimpolizisten gingen
dorthin, insbesondere, wenn in den Wohnhäusern wieder das Wasser abgestellt
war. Man kannte sie aber, da sie das Bad gewöhnlich verließen, ohne zu
bezahlen. Das Hamam war populär, heterosexuelle Iraker genossen es, sich zu
baden und nebenbei mit einem passiven Schwulen Sex zu haben. Mir gefiel es
wiederum, mit ihnen zu verkehren, weil klar war, dass sie nicht von der
Geheimpolizei waren.
Im Juli 2008 traf ich Abu Ali. Er war aus Bagdad. Obwohl hetero, kapierte
er, dass ich als Schwuler mit ihm spielen wollte. Er war nicht
interessiert, brachte mich aber in Kontakt mit einem Freund, von dem er
wusste, dass er Sex mit Schwulen mochte. Auf dem Weg dorthin erzählte er,
dass sie beide als Fahrer für General Motors arbeiteten. Ihre Route:
Bagdad–Damaskus. Ihre Wohnung lag unweit des berühmten Bogens von Jaramana.
Abu Ali bat mich hinein. Die Wohnung war sauber und leer, nur ein Sofa
stand im Zimmer. „Die Fahrer der Bagdad-Route können hier übernachten“,
sagte er.
Plötzlich kam aus der Dusche ein bärtiger Mann mit nassen Haaren, der eine
beige Galabeye trug, das arabische Männergewand. Er hieß Allawi. Wir
setzten uns aufs Sofa. Allawi fragte, wie ich heiße, wie alt ich sei, was
ich arbeitete. Abu Ali kam mit einem Tablett mit Wasser, Raki und Joghurt,
setzte sich auf den Boden und bat uns dazu.
Der Raki war zu stark für mich. Erst redeten wir nur über Jaramana, aber
mit jedem Schluck Schnaps wurden die Themen ernster: Krieg, Migration, die
schlimme Route Damaskus–Bagdad. „Die Straße ist die Linie zwischen Leben
und Tod“, sagte Abu Ali. Und Allawi weinte fast, als er erzählte, dass er
mit wahnsinniger Angst nach Bagdad fahre und erst aufatme, wenn er auf dem
Rückweg die Grenze zu Syrien überquere.
Es war schwer für mich, den Ernst ihrer Worte zu verstehen, da mein Leben
damals noch ohne Krieg war. Wir sprachen über alles, nur nicht über Sex,
also erwähnte ich das Thema. Allawi war schon betrunken und sagte, dass er
feminine Männer vorziehe, ich sei nicht sein Typ. Trotzdem war ich gern
dort. Ich verstand, wie Krieg die Werte und Lebenspläne verändert. Erst um
3 Uhr morgens ging ich nach Hause und dachte auf dem Weg, dass man, wenn
man irgendwo ein Fremder ist, offener sein kann, dass man aber auch
empfindsamer und müder ist. Und ich dachte, dass ich in einem Land wie
Syrien nur offen mit Leuten wie ihnen über Politik, Sex und Religion reden
kann. Bei meinen Landsleuten sind diese Themen tabu.
## Gays online
Obwohl sie teuer sind, verbreiteten sich Smartphones und Laptops rasant in
Syrien. Im Jahr 2007 versuchte das Assad-Regime mehrmals, soziale Netzwerke
wie Facebook zu blockieren, aber Sex-Websites und schwule Netzwerke wie
Manjam blieben offen.
Manjam war das virtuelle Fenster, mit dem Schwule in den arabischen Ländern
miteinander in Kontakt kommen konnten. Auch mit Schwulen in Europa begann
ich zu chatten, ich wollte wissen, wie sie leben, wo sie sich treffen, wie
es um die gleichgeschlechtliche Ehe steht. Umgekehrt merkte ich: Schwule
aus Europa kontaktierten mich nur, wenn sie Sex wollten. Sie fantasierten
sich diesen hypersexualisierten Körper mit dunkler Haut und schwarzem Bart
herbei. Einmal erzählte mir ein Österreicher im Chat, er suche einen
arabischen Mann, der ihn wie seine Frau behandle.
Dieser Österreicher brachte mich in Kontakt mit einem Libanesen, der für
Schwule Reisen nach Syrien organisierte. Er sagte, nicht mehr Beirut,
sondern Damaskus sei nun Traumziel vieler schwuler Europäer und
US-Amerikaner. Die Syrer kämen ihnen authentischer vor und weniger
verwestlicht.
Ein paar Monate später kam er mit einer Gruppe Finnen nach Damaskus. Die
fünf blonden Männer wohnten im Oriental Hotel; ich zeigte ihnen die Stadt.
Sie hatten schon ein Hamam besucht und waren beeindruckt, dass so viele
Schwule dort waren. Dass es der einzige Ort in Syrien war, wo Schwule sich
einigermaßen sicher fühlen konnten, war ihnen nicht klar. Auch nicht, dass
es keine schwulen Bars gab, höchstens schwulenfreundliche Locations –
einige in der Nähe des Hotels, in dem sie wohnten. In einer Nacht gingen
wir ins Murmur, einen dieser inoffiziellen Schwulenclubs, und tanzten bis
morgens um 3 Uhr. Als wir auf dem Weg zurück die alten Mauern
entlangschlenderten, sagte ich ihnen, dass ich gern in Damaskus lebe, trotz
der Schwierigkeiten und Gefahren.
## Untergrund-Revolution
Diese Geschichte hat kein Ende. Es sieht so aus, dass du als Homosexueller
aus Syrien immer weiter für deine Rechte kämpfen musst – auch in Schweden
und anderswo in Europa. Ich habe meine sexuelle Orientierung vor meiner
Familie und vor Freunden in Syrien verheimlicht. Ich hatte Angst,
eingesperrt zu werden, meinen Job und meine Freunde zu verlieren oder ihren
Respekt. Doch ich erinnerte mich, dass mich jede Sekunde, in der ich mich
nicht selbst verraten hatte, stärker gemacht hat. Und ich erinnerte mich,
dass die Kinder von Daraa, die im März 2011 Freiheitsparolen an die Wand
der Schule schrieben, gefangen und gefoltert wurden – es war der Beginn der
syrischen Revolution.
Ich nahm einen Stift, ging in den Waschraum im Keller des Asylbewerberheims
und schrieb an die Wand: „Schwule haben Rechte hier. Schwule sind Menschen.
Homosexualität ist Sexualität, keine Krankheit. Greift Schwule nicht an,
wenn ihr sie schon nicht unterstützt. Wenn du Opfer mangelnder Bildung
bist, lies. Liebe deinen Sohn, auch wenn er schwul ist. Schwule kämpfen
gegen Ignoranz, nicht gegen Gott.“
Übersetzung: Waltraud Schwab
Khaled Alesmael, Journalist aus Syrien, kam 2015 als Asylbewerber nach
Schweden. Er arbeitet im Rahmen eines Journalistenaustauschs bei der taz
Robin Hammond widmet sich als Fotograf häufig Menschenrechtsthemen
15 Apr 2017
## AUTOREN
Khaled Alesmael
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.