# taz.de -- nord.thema: Die Zukunft lernen | |
> Medienkompetenz Statt Technik zu verbannen, versuchen einige Hambuger | |
> Kitas, das Internet in die Erziehung der Ganz-Kleinen zu integrieren | |
Bild: Nicht ob, sondern was die Kleinen im Netz tun, ist die Frage, auf die es … | |
Ein Kind wischt mit dem Finger über ein Bilderbuch – nichts passiert. | |
Dieses komische Papier-Tablet scheint kaputt zu sein. „Unsere Kinder haben | |
heute eine ganz andere Lebenswirklichkeit als früher“, sagt Bea | |
Keller-Gunther, Leiterin der Paulus Kita in Hamm, „die sind überall von | |
Medien umgeben“. Kritiker meinen, digitale Medien in Kitas schadeten der | |
motorischen und kognitiven Entwicklung der Kinder. Die Jünglinge sollten | |
stattdessen lernen, sich in der „realen Welt“ zurechtzufinden, draußen zu | |
spielen und analog zu lernen. | |
In der Paulus Kita argumentiert man dagegen: Da Kinder außerhalb der Kitas | |
sowieso mit Medien konfrontiert werden – sei es durch die Bildschirme der | |
Eltern oder ihrer übrigen Außenwelt – müsse der verantwortliche Umgang | |
schon früh geschult werden. Für Keller-Gunther ist klar, dass die Kinder | |
nicht mit einem Smartphone oder Tablet in der Hand sich selbst überlassen | |
werden dürfen. Wichtig sei gerade, dass die Kinder lernen, Chancen und | |
Risiken der verschiedenen Technologien richtig einzuschätzen. „Die Kinder | |
müssen begreifen, was ein Medium ist: Ein Hilfsmittel und | |
Informationsträger – kein Dauerspielzeug“, sagt sie. | |
Die Ein- bis Dreijährigen machen in der Paulus Kita zuerst Erfahrungen mit | |
analogen Medien wie Bilderbüchern oder Schattenprojektoren: Wenn sie ihre | |
Hände im Licht bewegen, bewegt sich auch der bunte Schatten an der Wand. | |
Dass ihre eigenen Hände für das Schauspiel verantwortlich sind, ist für die | |
Kleinen manchmal nicht leicht zu verstehen. Dann weisen sie darauf hin, | |
dass ihre Hände doch im Licht sind, nicht an der Wand. So lernen die Kinder | |
spielerisch, wie Medieninhalte erschaffen werden. Dem gleichen Prinzip | |
folgen die Drei- bis Vierährigen am Overheadprojektor: Sie projizieren | |
Tiere an die Wand und denken sich Geschichten aus. | |
„Je jünger Kinder sind, um so mehr sind sie zur Entwicklung aller | |
kognitiven, psychischen, sozialen und motorischen Kompetenzen darauf | |
angewiesen, viele Bewegungs- und Sinneserfahrungen zu machen“, sagt | |
Franziska Larrá, pädagogische Geschäftsführerin der Elbkinder, einer | |
Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten. Die Hirnentwicklung sei nur | |
vollständig möglich, wenn direkte Erfahrungen mit allen Sinnen ermöglicht | |
würden. | |
Vier- bis Fünfjährige könnten durchaus schon sinnvoll mit digitalen Medien | |
arbeiten: Fotografieren, kleine Filme drehen und sich das Wissen und die | |
Bilder aus dem Internet als zusätzlichen Erfahrungsraum erschließen. Nach | |
Larrá ist es auch Aufgabe der Kitas, diese Erkenntnisse den Eltern | |
zugänglich zu machen. Ihre Erfahrung zeige, dass man auch Erwachsene eher | |
auf die Gefahren neuer Medien (Bewegungsmangel, Suchtpotenzial, gefährliche | |
Inhalte) hinweisen müsse, als auf die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten. | |
Häufig fehlen in den Kitas aber qualifizierte Pädagogen, die in ihrer | |
Ausbildung genug über Medienkompetenzförderung gelernt haben. Besonders | |
Erzieher, die schon lange in dem Beruf arbeiten, sind auf Fortbildungen | |
angewiesen. „ErzieherInnen müssen sowohl Kenntnisse über die Gefahren als | |
auch über die Möglichkeiten digitaler Medien erwerben. In beiden Bereichen | |
gibt es einen Qualifizierungsbedarf“, sagt Larrá. | |
Die Elbkinder-Vereinigung geht bereits mit entsprechenden Angeboten auf | |
diesen Bedarf ein. Auch die Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie | |
und Integration (BASFI) bietet über das Sozialpädagogische | |
Fortbildungszentrum Kurse an, die helfen können. Weiterhin gibt es | |
dezentrale Fortbildungsmöglichkeiten, die von Kitas, je nach Ausrichtung | |
und Bedarf, organisiert werden. Grundlegende medienpädagogische | |
Ausbildungsangebote sind an den Hochschulen und Ausbildungsstätten aber | |
noch selten – das Angebot muss ausgebaut werden. | |
Der Erziehungswissenschaftler Norbert Neuss weiß von dem Mangel an | |
medienaffinen ErzieherInnen: „Medienbildung sollte heute ein eigenständiger | |
Bildungsbereich sein“, sagt er. Gerade die gestalterischen Zugänge zur | |
Medienkompetenz seien zentral für die Arbeit in Kindertagesstätten. Aber | |
genau auf diesem Gebiet fehlt es angehenden PädagogInnen oftmals an | |
Erfahrung. „Um mit Kindern einen Trickfilm zu gestalten oder ein | |
Fotoprojekt zu initiieren, bedarf es Überwindung.“ Hinzu komme oft eine | |
generell medienskeptische Haltung von Seiten der Erzieher. | |
Die älteren Kinder der Paulus Kita, die bald zur Schule gehen, dürfen schon | |
mit bildschirmgestützten Medien lernen: eine Kamera steht zur Verfügung, | |
ein paarmal im Monat ein Computer zur Bild- und Tonbearbeitung. Jeden Tag | |
ist eines der Kinder „Kita-Reporter“, macht Fotos vom Geschehen und stellt | |
den anderen Kindern Fragen. Das kann problemlos mit dem Draußenspielen | |
kombiniert werden. Durch die Tätigkeit als Kita-Reporter lernen die Kinder | |
auch, dass sie ein Recht am eigenen Bild haben und was Datenschutz | |
bedeutet. Sie müssen fragen: „Emma, darf ich dich heute knipsen?“, wenn sie | |
Emma fotografieren möchten. Abends können die Eltern im digitalen | |
Bilderrahmen sehen, was die Kleinen tagsüber erlebt haben. | |
Der gelegentliche Einsatz von Tablets, um Sprachkenntnis, Sozialkompetenz | |
und Empathie mit Hilfe entsprechender Apps spielerisch zu schulen, steht | |
zur Debatte – in vielen Kitas fehlt dafür allerdings das Geld. Die | |
Anspruchshaltung, alle Kitas bräuchten Tablets, teilt die BASFI nicht. „Wie | |
viel Medienkompetenzförderung in den Kitas stattfindet ist sehr | |
unterschiedlich“, sagt Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD): | |
„Mit den Bildungsempfehlungen geben wir einen Orientierungsrahmen und | |
lassen den Kitas Freiheiten bei der konkreten Umsetzung“. Da das | |
Kita-System nicht staatlich gelenkt wird, liegt es schließlich in der Hand | |
der Kitas, wo sie Schwerpunkte setzen. Das kommt den hohen Ansprüchen | |
vieler Eltern entgegen. Sie können selbst entscheiden, mit welchen Medien | |
ihr Kind lernen darf. Bücher, Projektoren, Instrumente, Computer, Kameras | |
oder Tablets sind nur ein Bruchteil der Optionen. | |
Spätestens in der Schule, wo die didaktischen Möglichkeiten durch Videos, | |
Präsentationen, Computerprogramme und Online-Medien beträchtlich gesteigert | |
werden, ist Medienkompetenz gefragt. Kita-Leiterin Keller-Gunther plädiert | |
darum für eine praktische Einführung in die Vielfalt des richtigen Lebens: | |
„Wir möchten die Kinder auf ihre Zukunft vorbereiten, nicht auf unsere | |
Vergangenheit.“ Hannes Vater | |
15 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Hannes Vater | |
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