# taz.de -- 43 Jahre Knast gefordert | |
> Justiz Die türkische Staatsanwaltschaft fordert lange Haftstrafen für die | |
> elfinhaftierten Journalisten der Tageszeitung „Cumhuriyet“. Ihre | |
> Begründung ist dünn | |
Bild: Inhaftierter Reporter Ahmet Şık | |
von Canan Coşkun | |
Vergangene Woche entließ ein Istanbuler Gericht den Journalist Murat Aksoy | |
und den Musiker und Kolumnisten Atilla Taş. Für elf Journalisten der | |
Tageszeitung Cumhuriyet fordert die Staatsanwaltschaft nun zwischen 15 und | |
43 Jahre Haft – fünf Monate nach ihrer Inhaftierung. Als Beweise werden | |
Tweets und Berichte der Journalisten angeführt, dass sie der | |
„Fethullahistischen Gülen-Terror-Organisation“ (FETÖ) und der PKK/KCK (Ko… | |
Civakên Kurdistan, Dachorganisation der PKK) nahestehen und in ihrem Namen | |
agieren. | |
Ein Vorwurf ist, über Umweltschutz Sympathie und Anerkennung für die PKK zu | |
erzeugen: Cumhuriyet-Mitarbeiterin Ayşe Yıldırım veröffentlichte am2. Juni | |
2015 ihre Notizen zum Interview mit dem Kovorsitzenden der PKK/KCK, Cemil | |
Bayık aus Kandil im Irak. Yıldırım schrieb, dass es in Kandil wichtig sei, | |
„sich respektvoll in der Natur zu bewegen. In der freien Natur werden nicht | |
einmal Zigarettenkippen auf den Boden geworfen. Den Dorfbewohnern im Tal | |
ist es untersagt, Bäume nach Lust und Laune zu fällen.“ Für die beiden | |
Staatsanwält*innen Mehmet Akif Ekinci und Yasemin Baba ist das eine | |
Sympathiebekundung für die Terrororganisation. | |
Als Beweismittel für die Mitgliedschaft in der FETÖ werden verschlüsselte | |
Messengerdienste wie ByLock und Eagle angeführt. Wenn einer der | |
Angeklagten diese Apps nicht nutzte, wird ihnen vorgeworfen, sich mit | |
Personen unterhalten zu haben, die ByLock benutzt haben. Offen gesagt: Wenn | |
Sie jemanden anrufen würden, wüssten Sie, welche Apps er nutzt? Natürlich | |
nicht. | |
In der Anklageschrift steht, dass sich mit der Übernahme des | |
Cumhuriyet-Chefredakteurspostens durch Can Dündar am8. Februar 2015 die | |
Redaktionslinie radikal geändert habe. Zudem wird angeführt, dass Dündars | |
Berufung auf den Posten als Chefredakteur von „unparteiischen“ Beobachtern | |
als „interessant“ angesehen werde. Dass die Staatsanwält_innen in diesem | |
Falle den Journalisten und AKP-Aktivisten Cem Küçük als Zeugen anführen, | |
zeugt ebenfalls von der alles andere als unparteiischen Ausrichtung der | |
Gerichte: Cem Küçük war es, der am Tag der Entlassung von Murat Aksoy und | |
Atilla Taş das entlassende Gericht via Twitter beschimpfte und bedrohte. | |
İn der Anklageschrift befinden sich ebenfalls Anschuldigungen gegen den | |
seit knapp 100 Tagen inhaftierten Cumhuriyet-Reporter Ahmet Şık. Dieser war | |
2011 zusammen mit dem ehemaligen Generalstabschef İlker Başbuğ und weiteren | |
Militäroberen, Journalist_innen und Akademiker_innen im Rahmen der | |
„Ergenekon“-Ermittlungen über ein Jahr lang in Haft. Die Begründung laute… | |
damals, er wolle die Regierung stürzen. | |
Im Dezember 2016 wurde Şık mit dem Vorwurf inhaftiert, Propaganda für die | |
Gülen-Bewegung betrieben zu haben, von der es heißt, dass sie damals | |
mittels der Ergenekon-Ermittlungen eine Verschwörung gegen die Regierung | |
plante. Trotzdem erwähnen die Staatsanwält_innen in der Anklage den Vorwurf | |
von damals nicht. Stattdessen ist nun von „Propaganda für die DHKP-C“ | |
(marxistisch-leninistische Untergrundorganisation in der Türkei) die Rede, | |
ein Vorwurf, der in der Anklage bis dahin mit keinem Satz erwähnt wurde. | |
Nun liegt es am Gericht, ob es der Anklageschrift stattgibt. Dann kann es | |
darüber entscheiden, ob die elf Cumhuriyet-Journalisten entlassen werden | |
oder weiter in Haft bleiben müssen. Die Chancen für eine Entlassung stehen | |
nicht gut: Die Richter, die vergangene Woche Murat Aksoy und Atilla Taş aus | |
der Haft entließen, sind mittlerweile aus dem Amt entfernt worden. | |
6 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Canan Coşkun | |
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