# taz.de -- Trendsetting im Rentenalter | |
> ETHIOJAZZ Mulatu Astatkes Sound aus Jazz, Latin Soul und heimischen | |
> Traditionen begeistert weltweit. Die späte Anerkennung genießt der | |
> 73-jährige Altmeister beim Konzertieren mit zumeist jungen Musikern | |
Bild: Von zierlicher Statur und stets verschmitzt dreinschauend: Mulatu Astatke | |
von Katrin Wilke | |
Als so wundersam wie wunderbar gelungener Aprilscherz ist mir Mulatu | |
Astatkes Auftritt von 2009 in Erinnerung geblieben. Die Vorstellung, an | |
jenem verregneten Montagabend des ersten Aprils im Lido höchstens ein paar | |
handverlesene Musikspezies vorzufinden, erwies sich als Trugschluss. Der | |
Berliner Club platzte aus allen Nähten vor Menschen, mehrheitlich Männern, | |
die dem „Godfather of Ethiojazz“ und seiner Londoner Begleitband The | |
Heliocentrics hingebungsvoll lauschten. | |
Viele der Jüngeren im Publikum hatte wohl Jarmuschs Soundtrack geködert mit | |
all diesen sphärisch-suggestiven, für unsere Ohren irgendwie geheimnisvoll | |
und psychedelisch anmutenden Instrumentals. Die Melodien, die das westliche | |
Tonsystem mit der pentatonischen Skala äthiopischer Musik auf trickreiche | |
Art zusammenbringen, modern instrumentiert durch Saxofon oder Keyboards, | |
lassen trotz Retrocharme ein Gefühl von Zeitlosigkeit und Fernweh | |
aufkommen. Also ideal für einen Film wie „Broken Flowers“ – jenes | |
Roadmovie, in dem Don Johnston alias Bill Murray auf der Suche nach seinem | |
unbekannten Sohn einige seiner Verflossenen abklappert. Für die langen | |
Autofahrten durch die USA hat ihm sein rühriger äthiopisch-stämmiger | |
Nachbar ein Mixtape zusammengestellt. | |
Jim Jarmusch war der Musik des Multiinstrumentalisten und Bandleaders | |
Mulatu Astatke durch eine CD aus der „Éthiopiques“-Serie auf die Spur | |
gekommen. Mit dieser mittlerweile dreißig, überwiegend | |
Wiederveröffentlichungen umfassenden Sammlung legte der Franzose Francis | |
Falceto vor nunmehr zwanzig Jahren den eigentlichen Grundstein für das | |
weltweite Revival moderner äthiopischer Musik. Deren goldene Ära dauerte | |
von 1969 bis 1975, also bis kurz nach Haile Selassis Sturz und der | |
Machtübernahme durch die Militärjunta Derg. | |
In jener so kurzen wie intensiven Zeit des „Swinging Addis“ steppte in der | |
Hauptstadt der Bär. Das Musikleben florierte, war – wie zeitgleich auch in | |
anderen Metropolen Afrikas – infiziert von Soul und Funk, von Jimi Hendrix | |
und jedweder elektrifizierter Rock- und Popmusik. Noch heute als Superstars | |
geltende Sänger wie Mahmoud Ahmed, der „äthiopische James Brown“, oder | |
Aster Aweke, „Afrikas Aretha Franklin“, sowie der Saxofonist und | |
Klarinettist Getatchew Mekuria machten von sich reden. | |
Und eben auch der mit Vorliebe Vibrafon, Congas oder Keyboards spielende | |
Mulatu Astatke, der zu jener Zeit aus den USA heimgekehrt war, im Gepäck | |
seine Eigenkreation namens „Ethiojazz“. Diese Genre-Bezeichnung vereint die | |
zwei Welten, in denen sich der zierliche, stets leicht verschmitzt | |
dreinschauende Mann in seinem musikalischen Tun stets recht paritätisch | |
bewegt hat. Einerseits blieb er stets der Musik und den Musikern Äthiopiens | |
verbunden, wie zum Beispiel die gerade beim Berliner Label Piranha | |
wiederveröffentlichte Aufnahme „Addis 1988“ verdeutlicht. | |
Zum anderen machte Astatke gerne gemeinsame Sache mit den Jazzern. Als etwa | |
Duke Ellington mit seiner Band Anfang der 1970er durch Äthiopien tourte, | |
bat er seinen afrikanischen Kollegen als Special Guest auf die Bühne. | |
Dieser war schließlich gut vertraut mit der improvisierten Musik, hatte er | |
sich doch während des Studiums am renommierten Bostoner Berklee College of | |
Music ab 1958 – als übrigens allererster Afrikaner – schon intensiv damit | |
befasst. | |
Der in den USA ein für alle Mal dem Jazz verfallene Astatke war 1943 in der | |
äthiopischen Stadt Jimma in eine recht wohlhabende Familie hineingeboren | |
worden. Durch sie kam er in den luxuriösen Genuss einer Auslandsausbildung. | |
Mit 16 ging es nach Wales ins Internat, kurz darauf nach London, wo er | |
zunächst Klarinette und Musiktheorie studierte, um dann von der Klassik zum | |
Jazz und also nach Boston zu wechseln. | |
Dort sei, wie Astatke in der New York Times rekapitulierte, die Idee für | |
dieses „Ethiojazz-Business“ gereift, das sich während seines folgenden | |
New-York-Aufenthalts noch deutlicher gen Latin ausweitete. Mit seiner dort | |
vor allem aus Puertorikanern formierten Band The Ethiopian Quintet konnte | |
er genau die kosmopolitische Klangmixtur austüfteln, die ihm vorschwebte. | |
Und die im Folgenden auch solch große Bewunderer fand wie John Coltrane, | |
der ihm geraten haben soll: „Keep that sound man …“ | |
Und damit hat der Mann über die Jahre beachtliche Erfolge gefeiert. | |
Abgesehen von der großen Fanschar, die Musikliebhaber verschiedenster Lager | |
versammelt, sind es die vielen, gerade auch jüngeren Musiker überall auf | |
der Welt, die auf ihre jeweilige Art die Geschichte des Ethiojazz mit | |
fortschreiben. Black Jesus Experience aus Australien, Astatkes Backing-Band | |
seit 2009, nahm mit dem Altmeister letztes Jahr ein Album auf, so wie auch | |
schon zuvor The Heliocentrics. Und artfremdere Künstler wie das | |
tschechische Experimental-Duo DVA oder der brasilianische Rapper und Sänger | |
Criolo widmeten dem Äthiopier eigene Songs. | |
6 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Katrin Wilke | |
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