# taz.de -- zwischen den rillen: Musik wie gemalt | |
The Necks: „Unfold“ (Ideologic Organ/Editions Mego) | |
Eine Bergkette ziert das Cover des neuen Albums „Unfold“ der australischen | |
Band The Necks. Schemenhaft. Eigentlich sind es mehrere, in Perspektive | |
gerückte Bergketten, die sich letztlich irgendwo zwischen dem schmuddeligen | |
Weiß der Wolken und dem wässrigen Blau des Himmels verlieren. Der | |
Fotografie mangelt es an Tiefenschärfe, sie wirkt zweidimensional, wie | |
collagiert: ein der Realität entrissenes und zwischen zwei Buchdeckel | |
gepresstes Panorama. | |
Aller scheinbaren Harmonie zum Trotz versprüht dieses Coverbild eine | |
seltsam enervierende Unruhe, die wie Magma aus der unsichtbaren Tiefe | |
zwischen den Gipfeln quillt. „Fotos sind die tausend flachen Facetten einer | |
ungreifbaren Identität, die nur außerhalb ihrer selbst aufscheint“ – hall… | |
die Worte des französischen Philosophen François Laruelle zur Fotografie | |
wider. Irgendwo müssten dort, zwischen den einzelnen Silhouetten, Täler | |
sein, der Schattenriss eines Baumes vielleicht – doch: Fehlanzeige. Aus | |
diesem unentrinnbaren Gefühl des Mangels bezieht das Bild seine bedrückende | |
Kraft. Mit „the eerie“ – hier klingt das Schleifen von Fingernägeln auf | |
eingestaubten Dielen schon im Begriff mit – beschrieb der jüngst | |
verstorbene britische Kulturkritiker Mark Fisher dieses Phänomen einer | |
Präsenz, die auffindbar sein müsste, es aber nicht ist. Im Deutschen gibt | |
es kaum eine angemessene Übersetzung, am ehesten träfe es wohl „unheimlich�… | |
oder „beklemmend“. | |
Attribute wiederum, die man der Musik des Trios The Necks zweifelsohne | |
zuschreiben muss. Wenngleich man mit Musik im strengen Sinne schon falsch | |
läge. Denn was die Band um Chris Abrahams’ eremitisch durch die Düsternis | |
stolpernde Piano- und Orgelklänge herum konstruiert, lässt sich weder in | |
Genre-Zuschreibungen herunterbrechen – kein Jazz, kein Post-Rock, kein | |
Ambient (was auch immer der Begriff inzwischen bezeichnet) und zugleich all | |
das – noch in komplexen Harmoniestrukturen darstellen. Das Musizieren der | |
Necks ähnelt im Prozess eher der Malerei: mal plakativ verdichtet wie jene | |
Mark Rothkos, mal unsicher und scheinbar ziellos umherirrend wie die | |
Farbschlieren Jackson Pollocks. Der explorative Zugang zur Musik, ob als | |
zaghaftes Vorantasten oder raumgreifende Geste, durchzieht sämtliche | |
Studioalben wie ein roter Faden. | |
Schon auf ihrem Anfang der 1990er Jahre erschienen Debütalbum „Sex“ war er | |
unüberhörbar. Die Necks fabrizieren Klangsplitter, die sich sukzessive zur | |
Form verdichten. Dabei lassen sie sich Zeit: Üblicherweise bestehen die | |
Alben des australischen Trios aus einem einzigen Track, der nicht selten an | |
der Grenze zur Stunde kratzt. „Unfold“ ist mit seinen vier 20-Minütern nun | |
die Ausnahme dieser Regel. Die vom Medium – „Unfold“ erscheint in | |
physischer Form nur als Doppel-LP – auferlegte Beschränkung steht ihnen | |
allerdings gut. Denn sie zwingt zur Verdichtung. | |
Insbesondere diese eerieness, das Gefühl des Unheimlichen, das schon dem | |
Cover innewohnt, wechselt nahtlos in die Musik über. Mal äußert es sich | |
ganz konkret im Klang: diese Rassel auf „Overhear“, die wie eine Dose | |
voller Eisennägel klingt, oder die gedämpft und seltsam zusammenhanglos | |
ausgestreuten Klaviernoten auf „Timepiece“. Vor allem aber kann man sich | |
des Eindrucks nicht erwehren, dass die Musik hier eher das | |
Oberflächenphänomen ist: als unterläge ihr eine Art tektonische Kraft, die | |
sie von innen heraus formen würde. | |
Robert Henschel | |
31 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Robert Henschel | |
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