# taz.de -- Wertlose Vögel | |
Schützenwert | |
> jahrzehntelanger Baggerungen. Jetzt soll auf Druck der EU ein neues | |
> Großschutzgebiet zwischen Emden und Leer ausgewiesen werden. Für | |
> Naturschützer Eilert Voß ist das keine gute Nachricht | |
Bild: Zur Vogelzugzeit rasten bis zu 40.000 Weißwangengänse im Petkumer Deich… | |
Aus Petkum Thomas Schumacher | |
Fast jeden Tag liegt Eilert Voß im Petkumer Deichvorland auf der Lauer. | |
Fast schnurgerade zieht sich der von Schafen abgenagte Deich zwischen Emden | |
und dem Gandersumer Sperrwerk hin. Die Maulwurfshügel zeugen davon, das | |
sich die kleinen Wühltiere im direkten Wortsinn einen Dreck um die | |
Küstenschutzvorschriften scheren. Ab September gesellen sich Zigtausende | |
Wildgänse zu den tippelnden Alpenstrandläufern vor dem Schilfgürtel an der | |
Ems, watscheln unbeholfen neben den staksenden Säbelschnäblern im | |
Deichvorland und schlagen sich den Bauch im Deichhinterland mit fettem | |
grünen Gras voll. Das hier ist das Revier von Eilert Voß. | |
Mit seinem Teleobjekt sucht er das ultimative Tierfoto. Goldregenpfeifer, | |
Brachvogel und Uferschnepfe begeistern ihn. „Es ist faszinierend, hier an | |
der Mündung der Ems in die Nordsee solch gigantische Naturschauspiele | |
beobachten zu können“, sagt der Fotograf. Heute wird es allerdings nichts | |
mit Fotos. „Der Naturschutz geht bei uns den Bach runter. Der ist genauso | |
scheiße wie das Wetter“, sagt Voß, seine Wangen schimmern bläulich in der | |
Kälte, er lacht und schlägt sich im strömenden Regen die Arme um den Leib. | |
Es ist kalt am Petkumer Hafen. Ein Grauschleier hängt über dem Fährhafen an | |
der Ems. Sie verbindet Emden mit dem Rheiderland, ist bei RadfahrerInnen | |
sehr beliebt und kann sogar bis zu vier Autos gleichzeitig transportieren. | |
Die schunkelnde Nussschale war sogar schon Location für einen Kinofilm. | |
Hier treffen sich alle wichtigen regionalen, nationalen und internationalen | |
Radwege. Doch heute: Null RadfahrerInnen, die zwei Fischerboote sind | |
angekettet und Limikolen, also Zug- und Rastvögel, lassen sich auch nicht | |
blicken. | |
Als hier 1994 eines der ersten Naturschutzgebiete an der Ems ausgewiesen | |
wurde, habe man ihm in die Hand versprochen, dass zum Beispiel die | |
Gänsejagd im Naturschutzgebiet unterbunden werde. Mittlerweile weiß Voß: | |
„Die haben uns Naturfreunde und Umweltschützer an der Ems verarscht.“ Bis | |
heute wird im Schutzgebiet gejagt. | |
Das Petkumer Deichvorland zwischen dem ostfriesischen Emden und Leer an der | |
Ems ist so was wie das Wohnzimmer von Voß. Mit dem Boot fährt er regelmäßig | |
die Ufer ab. Zu Fuß durchquert er die Flussniederung. Zum Schrecken der | |
Behörden zählt er regelmäßig Vögel in seinem Revier. | |
Diese Zahlen sind wichtig, um die Schutzwürdigkeit der Emsregion zu | |
bewerten. „Die offiziellen Zahlen werden in der Regel immer an die | |
jeweiligen Interessen angepasst. Über die Ursachen, warum es mehr oder | |
weniger Vögel gibt, sagen sie nichts aus. „Wenn zum Beispiel die | |
Uferschnepfe oder Kiebitze weniger werden, sagen die Behörden, das Gebiet | |
ist nicht mehr schutzwürdig. Dass die Tiere wegen der vielen Störungen | |
durch Hunde, Spaziergänger und Radfahrer flüchten, verschweigen die | |
offiziellen Zahlen“, erregt sich Voß. | |
## Gänse verscheucht | |
Zum Ärger der Jäger dokumentiert er deren Jagdfrevel. Bundesweit bekannt | |
wurde Voß, als er 2011 wegen Behinderung der Jagdausübung zu einer | |
Geldstrafe verurteilt wurde. Er soll mit einem roten Regenschirm und einem | |
lauten Blasinstrument die Gänse während der Jagd verscheucht haben. | |
Jetzt soll das alte knapp 200 Hektar große Naturschutzgebiet Petkumer | |
Deichvorland aufgelöst und in ein Großschutzgebiet mit dem Namen „Unterems�… | |
eingegliedert werden. Dieses geplante Schutzgebiet soll sich dann über eine | |
Fläche von mehr als 2.000 Hektar erstrecken und die Ems mit ihren | |
Wattflächen und von Brackwasser geprägten Uferstreifen mit Schilf, Wiesen | |
und Weiden umfassen. Mit diesem neuen Schutzgebiet käme das Land | |
Niedersachsen einer Forderung der Europäischen Union nach. Lange schon will | |
die EU nämlich, dass wichtige Nahrungs-, Brut- und Rastgebiete der Küsten-, | |
Watt- und Entenvogelarten entlang der Ems vernetzt werden. | |
Eigentlich eine gute Idee, meint auch Voß. „Aber schon 1994 bei der | |
Ausweisung des regionalen Naturschutzgebietes in Petkum hat man uns | |
Naturschützer vertröstet und belogen“, sagt er. „Mit der neuen | |
Naturschutzverordnung und dem Großschutzgebiet werden viele Schutzkriterien | |
noch einmal zurückgefahren.“ Völlig ausrasten könnte Voß aber, wenn er | |
daran denkt, dass es ausgerechnet Abgeordnete der Grünen im Leerer Kreistag | |
waren, die dem zugestimmt haben. | |
Im Wesentlichen geht es um drei Punkte: Das neue Schutzgebiet Unterems | |
wertet Grau- und Weißwangengänse nicht mehr als „Wert bestimmende“ Arten. | |
Dadurch verliert das Gebiet seine Qualität als Naturschutzgebiet und | |
ermöglicht Nutzungen, die in einem höherwertigen Schutzgebiet verboten | |
sind. Obwohl im Hatzumer Sand, einer Insel in der Ems, die wichtigsten | |
Brutgebiete dieser Arten liegen. | |
Außerdem werden die Radwege zwischen Emden und Petkum und Petkum und dem | |
Emssperrwerk künftig auch während der Brutzeit der Wiesen- und Wasservögel | |
geöffnet und es war der Landkreis selbst, der darauf pochte, konkrete Werte | |
für die Schwebstoffbelastung der Ems aus dem neuen Verordnungsvorschlag zu | |
streichen. | |
## Zerstörter Fluss | |
Für Voß sind das große Fehler.Hier in Petkum zeige sich ganz exemplarisch, | |
wie ein Fluss im Interesse der vielen verschiedenen Nutzer zerstört werde. | |
Der Landkreis Leer, auf dessen Gebiet ein Teil des Petkumer Deichvorlandes | |
liegt, habe die neue Schutzverordnung „rund gelutscht“, sagt Voß. Im | |
Interesse der Meyer Werft in Papenburg, die ihre Kreuzfahrtschiffe durch | |
die dafür immer wieder ausgebaggerte und aufgestaute Ems in die Nordsee | |
quetscht, im Interesse des Tourismus, im Interesse von Sportlern und | |
Anglerfreunden und im Interesse der Landwirtschaft. | |
„Das stimmt nicht“, sagt Helmut Dieckschäfer vom Niedersächsischen | |
Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten-und Naturschutz. Es war seine | |
Behörde, die den Vorschlag für die neue Schutzverordnung ausgearbeitet hat. | |
Der Stadtrat Emden hat dem zugestimmt und zuletzt sagte auch der Leeraner | |
Kreisrat ja – mit den besagten Änderungen in Sachen Schwebstoffbelastung | |
der Ems. „Das waren nur redaktionelle Änderungen, nichts qualitatives“, | |
beschwichtigt Dieckschäfer. Die neue Verordnung habe mit der Meyer Werft | |
nicht zu tun. | |
Das will Eilert Voß so nicht stehenlassen und kramt in seiner Tasche wütend | |
nach den entsprechenden Unterlagen. Akribisch hat er alle Schriftsätze und | |
Protokolle aus Kreistags- und Stadtratssitzungen über Jahre gesammelt. | |
„Natürlich geht es um die Meyer Werft und darum, in der Folge alle | |
Maßnahmen den verschiedenen Nutzern der Ems auf den Leib zu schneidern, | |
hier steht doch alles drin“, schimpft Voß und klopft auf die Unterlagen. | |
„Die Gänse werden als nicht Wert bestimmend eingestuft, weil dann die Meyer | |
Werft die Ems für die Kreuzfahrtschiffe stauen kann.“ Zuletzt geschehen im | |
März für die „Norwegian Joy“. „Außerdem lässt die neue Verordnung zu,… | |
der Hatzumer Sand überspült werden darf und die Gänseküken ersaufen.“ Das | |
leugnet auch Helmut Dieckschäfer nicht. „Der Meyer Werft wurde das erlaubt, | |
für Ausgleichsmaßnahmen ist gesorgt“. | |
Besonders nervt Voß, dass die Radwege bald während der Brutzeiten offen | |
bleiben werden. „Hier rasten zu Stoßzeiten bis zu 40.000 Weißwangengänse, | |
hier leben Brachvogel und Goldregenpfeiffer und schon ein Radfahrer | |
scheucht die ganze Populationen auf und schürt Panik“, erklärt er. Aber | |
viele Gemeinden im ostfriesischen Binnenland setzen auf den sogenannten | |
sanften Tourismus – also auf RadfahrerInnen. Auch Petkum, wo wichtige | |
Radwege kreuzen und eine Fähre die Radfahrer von einem Emsufer zum anderen | |
bringt. | |
## Störende Radfahrer | |
Zwar hat das Oberlandesgericht in Lüneburg nach einer Klage des | |
Naturschutzbundes Nabu entschieden, den Weg Emden – Petkum erst ab dem 15. | |
Juli für RadfahrerInnen zu öffnen, aber das wird jetzt auch gekippt. Ab dem | |
1. Juli ist der Radweg frei. „Da brüten die Vögel noch und werden gestört. | |
Wir reden über ein europäisches Vogelschutzgebiet“, sagt Voß. Der | |
weiterführende Weg von Petkum zum Sperrwerk in Gandersum nach Leer ist | |
eigentlich ganzjährig geschlossen. Auch dieser Weg soll jetzt geöffnet | |
werden. Es gibt einen alternativen Radweg hinter dem Deich, aber da können | |
die RadfahrerInnen die Ems nicht sehen – schlecht für die sanften | |
RadtouristInnen. | |
Die Faktenlage entlang der toten Ems ist kompliziert. Die Ausweisung des | |
neuen Naturschutzgebietes ist eine Sache. Eine andere ist der „Masterplan | |
Ems 2050“. Der soll grundsätzlich regeln, wie der marode Fluss saniert | |
werden kann, ohne die Interessen von Tourismus, Meyer Werft und | |
Landwirtschaft zu beeinträchtigen. In Gänze steht der Masterplan mit seinen | |
über 30 geplanten Einzelmaßnahmen zur Flussrettung nicht – und die | |
Ausweisung des Großschutzgebietes Unterems könnte den ganzen Masterplan | |
noch torpedieren. Denn gegen die umfassenden, von der EU geforderten | |
Maßnahmen, laufen schon jetzt Bauern, Angler Jäger, Schiffer Sturm. | |
## Natur oder Nutzen | |
Auf die Naturschutzverbände BUND, WWF und Nabu kann Voß auch nicht zählen. | |
Denn die haben sich im Masterplan verpflichtet, Kompromisse zwischen | |
Naturschutz und Nutzerinteressen zu finden und darauf zu verzichten, gegen | |
Verstöße gegen den Naturschutz zu klagen. Die halten also erst einmal die | |
Füße still und wollen „genau prüfen und abwägen“, wie Niedersachsens | |
Nabu-Chef Holger Buschmann es formuliert. „Wir können nicht gegen eine | |
Verordnung klagen. Wir können erst klagen, wenn wirklich erst ein Schaden | |
eingetreten ist.“ | |
„Das ist doch zynisch. Da verliert man doch die Lust, sich weiter zu | |
engagieren“, sagt Voß. Der aufkommende Sturm wirft schäumende Wellen in den | |
Petkumer Hafen. Aktivist Voß stellt sich gegen eine Boe. „So kalt, was? | |
Aber wat mut, dat mut. Wir hier noch eine Menge Arbeit.“ | |
10 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schumacher | |
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