Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner Szenen: Österreichisch-Koreanisch
> Konspirative Ecken
Zwei Tage hatte ich im Bett gelegen. Ich hatte PMS und Depression, und
Trump und Yücel hatte ich auch. Ich hatte geschlafen und den
„Radetzkymarsch“ gelesen, von Joseph Roth. Wenn alles sich aufzulösen
scheint, kann es ratsam sein, von anderen, noch älteren Auflösungen zu
lesen. So wie der der Österreichisch-Ungarischen Monarchie.
Danach schleppte ich mich durch den Wedding in die Tegeler Straße, zum
österreichischen Koreaner. Die haben ein zweites Lokal eröffnet, vor
Monaten schon, nur wenige Schritte neben dem ersten. Der Wirt, ein
Schreiner aus Wien, und die Köchin aus Korea.
Das Lokal zu betreten war, wie die Tür zu einem Roman zu öffnen:
Komplizierte Holzbauten verwandelten das Erdgeschoss vollkommen. Eine
zierliche Holzbrücke führt über ein Bassin, in dem bunte Seidenschwänze
treiben. Weiter oben ein Sitzpodest mit Kissenbergen. Hinten links
konspirative Ecken mit Lampenschirmen, darüber thront eine Art Hochsitz.
„Mein Büro“, erklärt der Wirt, und ich mache ein merkwürdiges Geräusch.…
erste seit Tagen.
Die Musik ist klassisch-melancholisch und einer der Fische verdächtig
still.
„Tot?“, frage ich.
„Das ist Glupschi“, sagt der Wirt zärtlich. „Er schläft viel.“
Ich nicke.
„Er ist nicht gerade der Intelligenteste.“
Ich erwäge, mir einen Cocktail mit „Gangnam“ im Namen zu bestellen, wähle
dann aber doch das Mittagsmenü mit Grüntee. Der Wirt erzählt vom alten Wien
und dem sauer-muffigen Geruch, der ihm aus den Wohnungen im 4. Bezirk
entgegenkam, als er dort als Telegrammbote arbeitete. Und von der
Schießerei vor dem Moulin Rouge in der Walfischgasse, in die er in der 80er
Jahren einmal geraten war – damals, als „Wien noch dunkel war“.
Als ich mich verabschiede, schläft Glupschi noch immer.
Kirsten Reinhardt
25 Mar 2017
## AUTOREN
Kirsten Reinhardt
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.