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# taz.de -- Leben In Bremen treffen sich KurdInnen im Verein Birati, um Tee zu …
Bild: Familientreffen in Hannover: Kurden beim traditionellen kurdischen Neujah…
AUS BREMEN UND OSTERHOLZ-SCHARMEBEK Vanessa Reiber
An den großen Fenstern hängen Sichtschutzfolien, sodass niemand von außen
hineinsehen kann. Streifen in der Farben Rot, Gelb und Grün verraten
dennoch, wer sich in der Bremer Neustadt trifft: Der Verein Birati e. V.
ist die zentrale Anlaufstelle für KurdInnen in Bremen und Umgebung. Trotz
des Namens, der aus dem Kurdischen übersetzt „Bruderschaft“ bedeutet, gehen
hier auch Frauen und Kinder ein und aus.
Am Donnerstagnachmittag ist wenig los. Eine Gruppe von Männern sitzt bei
Tee aus kleinen Gläsern in einer Runde zusammen an einem Holztisch neben
der Tür. Im Fernsehen läuft eine kurdische Musiksendung, der wenig
Beachtung geschenkt wird. Wer zur Runde dazukommt, begrüßt alle Anwesenden
mit Handschlag, ein Mann weiter hinten in dem großen Raum bringt noch mehr
Tee für Neuankommende.
Kenan, der 1998 aus der Türkei nach Deutschland flüchtete, kommt drei bis
viermal die Woche hierher. Gerade sei es sehr ruhig, die meisten KurdInnen
kämen am Wochenende, wenn sie nicht arbeiten müssten. 460 Mitglieder hat
der „Verein zur Förderung demokratischer Gesellschaft Kurdistans“, so der
offizielle Beiname, derzeit. „Das hier ist ein offener Ort, es können auch
Nichtmitglieder vorbeikommen“, sagt Kenan und deutet auf die vielen Tische
und Stühle, die an Schulmobiliar erinnern.
Eine Person im Raum scheint doch auf das Fernsehprogramm zu achten. „Der
da, der mit der Geige, das ist mein Cousin“, ruft der Mann. Sein Name ist
Mohsen, er ist ebenfalls Musiker und stammt aus dem Iran. Donnerstagabends
gibt er hier Kurse für das Spiel der Daf, einer kreisrunden Rahmentrommel.
In seinem Kurs würden kurdische Folklorelieder gesungen, sagt Mohsen, es
kämen überwiegend Frauen.
Musikgruppen und Chöre gibt es einige hier. Der 80-köpfige Kinderchor des
Vereins trat am Dienstag vergangener Woche beim traditionellen kurdischen
Neujahrsfest Newroz auf, dass die KurdInnen in Deutschland in diesem Jahr
in Frankfurt feierten. Fünf Busse aus Bremen fuhren zu dem Fest. „Dass
allgemein mehr Menschen zur Kundgebung kamen, zeigt, dass das kurdische
Volk sich nicht unterdrücken lässt“, sagt Fatma, eine junge Frau, die sich
in der Hochschulgruppe YXK dafür einsetzt, „die kurdische Frage an die Unis
zu bringen“.
Fatma gehört zur zweiten Generation der KurdInnen in Deutschland. Die
meisten KurdInnen kamen Anfang der Sechzigerjahre als türkische
Gastarbeiter nach Deutschland. Wie viele KurdInnen es in Deutschland gibt,
lässt sich nur schätzen, da Kurdistan nicht als Staat gilt und die
ankommenden Menschen somit als TürkInnen IranerInnen, SyrerInnen oder
IrakerInnen erfasst werden.
Die Studentin nennt Deutschland ihre Heimat, fühlt sich dennoch auch als
Kurdin. Seit eineinhalb Jahren ist sie Vereinsmitglied bei Birati. Der
Grund für ihren Eintritt? „Erdoğans Unterdrückungspolitk des kurdischen
Volkes.“ Es sei wichtiger denn je, dass die KurdInnen zusammenhielten, sagt
Fatma.
Die anwesenden Männer stimmen ihr da zu. Politik sei für den Verein immer
ein großes Thema gewesen, erzählt einer der Ko-Vorsitzenden. „Wir
diskutieren jeden Tag darüber, wie Erdoğan gestoppt werden kann“, sagt
Kenan. Jahrelang sei die Unterdrückung des kurdischen Volkes nicht
wahrgenommen worden. „Stattdessen werden wir Terroristen genannt“, so
Kenan.
Der Grund dafür lässt sich auch in den Vereinsräumen schnell
identifizieren. „PKK? Na klar!“ heißt es auf zwei Stickern, die dort
kleben. Die kurdische Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, gilt in Deutschland
als Terrororganisation und ist verboten. An den Wänden hängen Bilder von
PKK-Idolen: Der seit 1999 inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan hängt in
einer Reihe mit der ermordeten Mitgründerin Sakine Cansız. Darunter hängen
an einer großen Fotowand Bilder von getöteten Familienmitgliedern der
Vereinsmitglieder.
In den einfach eingerichteten Vereinsräumen sind PPK-Symbole erlaubt, im
öffentlichen Raum sind sie jedoch verboten. „Wir dürfen nicht einmal Bilder
von Öcalan zeigen“, sagt ein junger Mann, der an der Hochschule Bremen
studiert. Das sei ein Einschnitt in die Meinungsfreiheit. „Das Ziel aller
KurdInnen ist eine demokratische Gesellschaft“, sagt er.
Der Verein unterstützt ehrenamtlich auch Flüchtlinge, die aus dem
kurdisch-syrischen Gebiet Rojava nach Deutschland kommen. „Wir arbeiten
nicht nur politisch, sondern auch kulturell und integrativ“, sagt Kenan,
der seit seiner Flucht nicht mehr in der Türkei war. Er und die anderen,
sagt er, hätten Angst um ihre Familienmitglieder.
Der Verein halte regelmäßig Seminare ab, erzählt Kenan: gegen Gewalt, gegen
Drogen, für den Dialog zwischen den Religionen. „Wir leben in Deutschland,
nicht wie im Nahen Osten“, sagt er. Die Referenten seien kurdisch und
deutsch, die Seminarsprache sei überwiegend Deutsch. Ansonsten wird im
Verein überwiegend Kurdisch gesprochen, nur die Kinder sprechen meistens
Deutsch.
## Kicken, um zu vergessen
Ein Sprachmischmasch wird auch beim Fußballverein SV Barispor Osterholz in
der Nachbarschaft von Bremen gesprochen. Überwiegend Kurden, aber auch
Libanesen, Albaner und Deutsche spielen für den Verein. Das Vereinslogo ist
eine weiße Taube auf schwarzen Grund, der Name bedeutet frei aus dem
türkischen übersetzt „Sport für den Frieden“.
Seit 1998 gibt es den Verein, bei dem laut dem Vereinsvorsitzenden Halil
Ölge „nicht der Pass, sondern gute Pässe wichtig“ sind. Wer woher komme,
sei egal, es ginge darum, Sport zu treiben und einander kennenzulernen.
Der dreißigjährige Azez, ist seit September bei Barispor. „Ich habe in der
Mannschaft Freunde gefunden und mein Deutsch verbessert“, erzählt der
Jeside. Fußball helfe ihm beim Abschalten. Wenn er kicke, könne er seine
Flucht aus dem syrischen Rojava für den Moment vergessen.
Der Verein hat für Azez und die anderen fünf Geflüchteten im Kader
Fußballschuhe und Schienbeinschoner gekauft. Das Geld dafür kam vom
Deutschen Fußballbund (DFB): Mit jeweils 500 Euro unterstützt der DFB
Vereine, die Geflüchtete bei ihrer Integration unterstützen.
Haiki Berisha, Trainer der 2. Herren von Barispor Osterholz, klagt über
mangelnde Unterstützung. Der Verein müsse auf einem Rasenplatz spielen, der
etwa ein halbes Jahr gesperrt sei, ein Vereinsheim gebe es auch nicht.
„Unter diesem Bedingungen können sich die Spieler nicht entwickeln und sie
wechseln die Vereine“, sagt Berisha. Spenden erhalte der Verein nur vom
Linken-Kreisverband Osterholz, der 240 Euro an Barispor spendete.
„Der Verein erreicht besser als andere Vereine auch sozial Benachteiligte“,
sagt Mizgin Ciftci, Vorsitzender der Linken-Fraktion im Kreistag
Osterholz.Ciftci war der erste Kurde, dem es gelang, in den Kreistag in
Osterholz einzuziehen.
Während bei Birati in Bremen am Donnerstagabend musiziert wird, schaut in
Osterholz der Vereinsvorsitzender Ölge seinen Spielern zu – beim ersten
Training des Jahres auf dem wieder freigegebenen Platz. Trotz der
schlechten Bedingungen wolle er nicht aufgeben, sagt er, schließlich seien
„das alles gute Jungs“.
25 Mar 2017
## AUTOREN
Vanessa Reiber
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