# taz.de -- Zur Zustimmung verführen | |
> PorträtKommunist, Nationalist, Antisemit: Stets haftete ihm ein | |
> schädliches Etikett an. Dabei wollte er die Welt stets verschönern und in | |
> Liebe erkunden. Heute wird Martin Walser 90 Jahre alt | |
Bild: Ein ganzes Menschenleben lang missverstanden: Martin Walser, 90, wollte n… | |
von Jörg Magenau | |
Ein Missverständnis, das Martin Walser seit Jahrzehnten begleitet, besteht | |
darin, ihn für „gesellschaftskritisch“ zu halten. Daran ist er selbst nicht | |
ganz unschuldig, weil er sich fortwährend eingemischt und lautstark seine | |
Meinung gesagt hat. | |
Ob er Angela Merkels Schönheit entdeckte, Gerhard Schröder dafür lobte, | |
dass er Deutschland aus dem Irakkrieg herausgehalten hat, oder aber den | |
Jakobsweg-Pilger Hape Kerkeling für unseren „Größten überhaupt“ erklär… | |
Vom Vietnamkrieg über die deutsche Einheit bis zur Paulskirchenrede und der | |
fortgesetzten Auseinandersetzung um Auschwitz und die deutschen Schuld hat | |
er sich immer wieder ohne zu zögern ins Getümmel geworfen – und zwar am | |
liebsten da, wo es so richtig kracht und knallt. | |
Dabei hat er sich von Anfang an dagegen gewehrt, als kritischer | |
Intellektueller zwangsverpflichtet zu werden. Er tummelte sich in der | |
Öffentlichkeit nicht wie der Fisch im Wasser, sondern eher so wie der Vogel | |
Strauß mit dem Kopf im Sand. Er wollte sich zeigen und verbergen zugleich, | |
sich in der Öffentlichkeit bewegen und sie zugleich überwinden und zu einer | |
anderen, persönlichen Art des Sprechens finden. Je länger er im von ihm so | |
getauften „Meinungsgewerbe“ tätig war, umso mehr wurde ihm das Prinzip der | |
Kritik und das fortgesetzte Kritisch-sein-Müssen verdächtig. | |
Sein Schreibansatz lautet: Die Dinge schöner machen, als sie wirklich sind. | |
Das bedeutet, ihnen mit Empathie zu Leibe zu rücken, anstatt sie gleich mit | |
Kritik zu traktieren. Sein in diesem Januar erschienenes Sprachfest „Statt | |
etwas oder Der letzte Rank“ ist der vorläufige Höhepunkt dieser | |
Entwicklung. Das Buch lässt alles Romanhafte und alle Konventionen hinter | |
sich und lässt sich als Versuch lesen, alles abzuschütteln, was die eigene | |
Zustimmungsfähigkeit behindert. Es ist eine literarische Weltumarmung im | |
Abschiednehmen, die nicht zufällig in einem an Hölderlin angelehnten Hymnus | |
gipfelt und in der Zeile: „Wie jeder werd ich durch Zustimmung schön“. | |
Walsers „Zustimmung“ hat eine aktive und eine passive Seite. Er will der | |
Welt zustimmen, um sie so zu verschönern, und er will, dass ihm zugestimmt | |
werde. Aktivisch liegt Zustimmung jeder Wahrnehmung und jeder Annäherung | |
zugrunde. Am deutlichsten wird das in seinen Aufsätzen über Literatur, die | |
nicht zufällig als „Liebeserklärungen“ gesammelt vorliegen. Er schreibt | |
nicht „kritisch“, jedenfalls nicht urteilend und nicht „über“ bestimmte | |
Bücher und Autoren, sondern mit ihnen und an ihnen entlang hin zu neuen | |
Einsichten und Erfahrungen. | |
## Geliebt zu werden | |
Zustimmung setzt Offenheit voraus und die Kraft, auch andere Positionen | |
gelten lassen zu können. Ob Hölderlin, Strindberg, Nietzsche oder Robert | |
Walser oder einer seiner jüngeren Kollegen, die er immer wieder | |
protegierte: Er nähert sich ihnen neugierig, bewundernd und einvernehmlich. | |
Das schließt Widerspruch und Weiterdenken keineswegs aus. Der „liebende | |
Mann“, als den er im gleichnamigen Roman Goethe porträtierte, ist ja vor | |
allem er selbst. Zustimmung ist nichts anderes als eine Form des liebenden | |
Einflussnehmens. | |
Vermutlich ist jedes Schreiben und alles öffentliche Sprechen und überhaupt | |
jede Lebensäußerung immer auch ein Werben um Zustimmung oder, intensiver | |
noch, der Wunsch, geliebt zu werden. Es muss Walser deshalb schmerzlich | |
getroffen haben, dass ihm in jeder Phase der bundesdeutschen Geschichte das | |
jeweils schädlichste Etikett der Epoche angeheftet wurde. Ob als | |
Gesellschaftskritiker in der Adenauer-Ära, als Kommunist in den frühen | |
70ern, als Nationalist und Wiedervereinigungsphantast in den 80ern oder | |
schließlich gar als Antisemit in der Debatte um den Roman „Tod eines | |
Kritikers“, 2002: Schlimmer konnte es nicht kommen. | |
All diese negativen Zuschreibungen waren falsch. Sie verkannten, dass er | |
nicht darauf abzielt, andere zu einer bestimmten Meinung aufzufordern, | |
sondern erkunden möchte, wie es ihm mit einer Sache geht. Er spricht nicht | |
normativ, sondern über sich, exemplarisch, und zwar, indem er von seinen | |
Empfindungen ausgeht. | |
Die heftigen politischen, aber auch moralischen und ästhetischen | |
Aversionen, die ihm immer wieder entgegenschlagen, haben mit seiner | |
Fähigkeit zu tun, Stimmungen sehr genau zu registrieren und seiner Zeit | |
deshalb häufig ein paar Schritte voraus zu sein. Als Stimmungsavantgardist | |
hat er oft nur das gesagt, was einige Jahre später Konsens werden würde, im | |
Augenblick, als er es sagte, aber noch als skandalös aufgenommen wurde. | |
Das gilt sogar für die skandalisierte Friedenspreisrede als lautstarkes | |
Leiden an einer zum Ritual oder gar zur Religion gewordenen historischen | |
Schuld, die eben nicht mehr empfunden, sondern bloß noch zelebriert werde. | |
Es gilt mit Sicherheit für sein Leiden an der deutschen Teilung und die | |
Wiedervereinigungssehnsucht in den 80ern. Und es gilt für sein immer | |
deutlicher werdendes Unwohlsein gegenüber dem Prinzip der Kritik, das er | |
durch die liebende Kunst der Zustimmung ersetzt. | |
## Weiße Schatten werfen | |
Walser möchte zur Zustimmung verführen. Es wäre ihm sehr recht, das | |
Rechthabenmüssen ein für alle Mal hinter sich zu lassen, in der Liebe | |
genauso wie in der Politik. Er weiß, dass sein Innenleben so wie jedes | |
Innenleben „unvorzeigbar“ ist, doch er spricht darüber öffentlich. | |
Es ist, als bringe er das Verdrängte, das Wilde, Ungezügelte zum Ausdruck, | |
das in der öffentlichen Rede normalerweise nicht vorkommen darf. Er wird | |
zum Sprecher des kollektiven Unbewussten, indem er den eigenen Empfindungen | |
und Träumen lauscht. Ungeschönt, ohne moralischen Zwischenfilter. Er ist | |
ein Differenzierungskünstler der Innenwelten. Auch deshalb ist er so leicht | |
angreifbar. Doch auch dabei wirbt er um Zustimmung. Er will ja die Welt | |
schöner machen. | |
Dafür aber braucht es die Literatur. Er sucht nicht nur nach dem guten Ende | |
jeder Geschichte, sondern auch nach einer Sprache, in der die Dinge einen | |
„weißen Schatten“ werfen. Und wenn er in „Statt etwas oder Der letzte Ra… | |
zuletzt zum Schweigen vordrang, dann spricht er auch darüber wortreich: | |
„Nichts mehr wissen müssen, nur noch sein.“ Vielleicht endet die Sprache | |
genau da, falls sie überhaupt irgendwo endet. Weil ja, wer schreibt, | |
unsterblich ist. | |
24 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Jörg Magenau | |
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