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# taz.de -- Heuschrecken raus aus Afrika!
> ESSAY Statt den Finanzsektor zu schützen, muss die G 20
> Gemeinwohlinteressen stärken
Suleika Reiners
Ob spekulationsgetriebene Immobilienpreise im Norden oder
Nahrungsmittelpreise im Süden: Überall tragen Banken, Fonds und
Versicherungen mit ihrem Eigengeschäft zu Preisblasen bei. Steigende
Nahrungsmittelpreise von wichtigen Grundnahrungsmitteln wie Getreide
bewirken oft Hunger und Armut. Wirksame Obergrenzen für Finanzinvestoren,
die den Anteil, den diese an einem Wertpapiermarkt für Nahrungsmittel
halten können, beschränken, würden deren Marktmacht eindämmen. Eine
entsprechende Abstimmung ist im Februar im EU-Parlament knapp gescheitert.
Weiterhin können allein drei Händlerinnen und Händler einen gesamten Markt
dominieren. Es muss eine Topprioriät für die G 20 sein, diesen eklatanten
Missstand zu beenden.
Private-Equity-Fonds wie der weltweit agierende und billionenschwere Fonds
BlackRock verstärken wiederum die Ungleichheit zwischen Lohn- und
Kapitaleinkommen. Indem sich diese Fonds direkt an Unternehmen
unterschiedlichster Branchen beteiligen, nehmen sie unmittelbar Einfluss
auf Entscheidungen. Dividenden auf Kredit sind keine Seltenheit. Ziel der
Fonds ist es, in rund drei bis sieben Jahren einen höchstmöglichen
Investorengewinn zu erzielen. Längerfristige Investitionen werden dadurch
ausgebremst. Die Fonds waren einst als Heuschrecken, die alles abgrasen und
dann weiterziehen, bekannt geworden. Zunehmend sind sie auch in Afrika
aktiv. Hinzu kommt eine enorme Machtkonzentration. Ohne starke
Mitbestimmungsrechte für die Beschäftigten verursachen Private-Equity-Fonds
deutlich mehr Schaden als Nutzen. Auch das sollte ein zentrales Thema für
die G 20 sein.
Ebenso gang und gäbe ist Steuervermeidung durch komplexe
Finanzinstrumente: Unternehmen nutzen diese, um Bilanzen steuerminimierend
zu manipulieren. Zunehmende öffentliche Armut durch Einnahmeverluste ist
die Folge. Eine Zulassungsprüfung für komplexe Finanzinstrumente, die deren
Notwendigkeit prüft und ihren Einsatz an Bedingungen knüpft, würde Abhilfe
schaffen. Die USA haben 26 Jahre Erfahrung mit einem Zulassungsverfahren
für Finanzinstrumente, das es dort von 1974 bis 2000 gab. 2009 stand ein
solcher Vorschlag noch auf der Liste der G 20. Doch seitdem herrscht dazu
dort Schweigen.
Die Beispiele zeigen: Finanzmärkte fördern jeden Tag – nicht erst in Krisen
– Ungleichheit und Armut. Zudem drehen sie sich im Eigenhandel vor allem um
sich selbst, statt zu produktivem Wachstum beizutragen. Der Welthandel mit
Gütern und Dienstleistungen betrug 2016 rund 20 Billionen US-Dollar,
während sich der Devisenhandel pro Tag auf 5 Billionen US-Dollar beläuft.
Nur vier Tage dieses Devisenhandels würden reichen, um damit den Welthandel
eines Jahres zu finanzieren.
## Zu wenig Eigenkapital
Die Finanzmärkte sind weiterhin krisengefährdet. Die G 20 feiert die
internationale Verbreitung von Eigenkapitalstandards für Banken als Erfolg.
Dabei lassen sie außen vor, dass die Standards viel zu niedrig sind.
Demnach dürfen Banken ihr Geschäft zu 97 Prozent aus Schulden finanzieren.
Das macht sie fragil und widerspricht ihrer Kernaufgabe – nämlich
widerstandsfähig zu sein, um Risiken abfedern zu können. Studien wie von
der Bank of England empfehlen aufgrund bisheriger Erfahrungen 20 Prozent
Eigenkapital.
Finanzkrisen führen – unter anderem durch öffentliche Ausgabenkürzungen –
zu Zunahme von Ungleichheit und Armut. Wer arm ist, kann öffentliche
Einsparungen im Gesundheits- und Bildungswesen privat nicht oder nur
ungenügend auffangen. Entwicklungsfortschritte werden zunichtegemacht. All
das berührt Menschenrechte wie das Recht auf Gesundheitsversorgung, Bildung
und einen angemessenen Lebensstandard. Die Weltbank schätzt, dass die
Finanzkrise 2009 weltweit 47 bis 84 Millionen Menschen in extreme Armut
gestürzt hat.
Eine Hauptrisikoquelle und ein Entwicklungshemmnis sind Schwankungen im
internationalen Kapitalverkehr. Ob der grenzüberschreitende Kapitalverkehr
boomt oder einbricht, hängt stark von der Zinshöhe in den USA und der EU
ab. Sind die Zinsen dort niedrig, steigen Kapitalzuflüsse in
Schwellenländer, wo die Zinsen und Renditeerwartungen höher sind. Kündigen
die USA oder EU Zinserhöhungen an, fließt das Kapital massiv zurück – ohne
dass sich in den Schwellenländern selbst etwas geändert hätte. Das Ergebnis
sind unberechenbare Währungsturbulenzen. Sie erschweren den Export, wenn
der Währungskurs durch Kapitalzuflüsse steigt, und verteuern den
Schuldendienst, wenn der Kurs aufgrund von Kapitalabflüssen sinkt.
Eine international koordinierte Geldpolitik steht bislang aus. Umso
wichtiger ist es, dass sich Länder auf nationaler Ebene vor
Kapitalverkehrsstörungen schützen können. Besteuerungen und
Mengenregulierungen für Zu- und Abflüsse von Kapital bieten hierzu eine
Möglichkeit. Viele Staaten – darunter die G-20-Mitglieder Brasilien,
Indien, Indonesien und Südkorea – haben solche Maßnahmen seit der letzten
Finanzkrise ergriffen.
Deutschland will diese Möglichkeit beschränken und in den
G-20-Verhandlungen den OECD-Kodex zur Liberalisierung von Kapitalbewegungen
vorantreiben. Dieser rechtlich bindende Kodex schreibt die Marktfreiheit
des Kapitalverkehrs als höchstes Ziel fest. Das privilegiert
Investoreninteressen gegenüber Gemeinwohlinteressen. Umgekehrt ist es für
Banken selbstverständlich, sich vor Kapitalabflüssen durch ihre Kundschaft
zu schützen; so mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist für Sparkonten.
Kapitalverkehrsmanagement muss auch für Staaten problemlos und permanent
möglich sein. Dann kann es sich den Kapitalverkehrsschwankungen stets
anpassen.
Da internationale Vereinbarungen wie die der G 20 Kompromisse sind, fallen
sie oft schwach aus. Es muss daher selbstverständlich sein, dass Länder
zugunsten von Gemeinwohlinteressen darüber hinausgehen können. Da sich
die politischen Kräfteverhältnisse von Land zu Land unterscheiden, ist das
geradezu ein Kernbestandteil von Demokratie. Sondermaßnahmen für
ausländische Banken wie in Indonesien, Mexiko und Singapur können sinnvoll
sein, um dem Gewicht, das diesen Banken im Gastland zukommt, gerecht zu
werden. Was G-20-Mitglieder wie die EU in Handelsabkommen als
Diskriminierung von Auslandsunternehmen verunglimpfen, kann eine andere
Behandlung aufgrund anderer Bedingungen sein. Auch der wissenschaftliche
Beirat der niederländischen Regierung heißt es erfreulicherweise gut,
länderspezifischen Gemeinwohlinteressen Vorrang vor den Eigeninteressen
eines global agierenden Finanzsektors einzuräumen.
Extrem ungleich ist zudem die Finanzausstattung gemeinwohlorientierter
Interessenvertretung wie durch Nichtregierungsorganisationen und der
Interessenvertretung im Eigeninteresse von Finanzakteuren. Der von der
Finanzbranche geprägte Lobbyismus ist ein Haupthindernis für eine wirksame
Finanzmarktreform. Das Missverhältnis könnte beendet werden, indem
Unternehmen für jede Geldeinheit, die sie für ihre Interessenvertretung
ausgeben, eine Geldeinheit für die gemeinwohlorientierte
Interessenvertretung zahlen. Die G 20 hat die Chance, sich hier innovativ
auf den Weg zu machen.
## G 20 bei der UNO
Aufgrund des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs stellen die Finanzmärkte
der G 20 ein Risiko auch für jene Länder dar, die nicht dazugehören – wie
viele Staaten in Afrika, Asien und Südamerika. Um deren Interessen
gleichwertig zu berücksichtigen, ist eine, bisher nicht vorhandene,
Kooperation mit der UNO nötig. Vorteile der Arbeitsweise vergleichsweise
kleinerer Foren wie der G 20 blieben dabei erhalten. Statt wie dieses Jahr
in Hamburg könnte der jährliche G-20-Gipfel, bei weiterhin rotierendem
Ländervorsitz, künftig in New York bei der UNO stattfinden.
Exakt unter der Überschrift „Ungleichheit in und zwischen Ländern
verringern“ nennt die UNO in ihren global vereinbarten
Nachhaltigkeitszielen das Ziel, die Regulierung und die Aufsicht über die
Finanzmärkte zu verbessern. Die Nachhaltigkeitsziele der UNO stehen auch
auf dem Tagungsprogramm der G 20. Soll dies mehr als Rhetorik sein, muss
die G 20 den Zusammenhang von Finanzmärkten mit Ungleichheit und Armut
durchgängig ernst nehmen.
Auch wenn die G 20 nach wie vor vom Gegenteil geprägt ist: Gemeinwohl- und
Entwicklungsinteressen sind vor Finanzsektorinteressen zu stellen.
18 Mar 2017
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Suleika Reiners
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