# taz.de -- Wandel Vom Sudan aus kam Salah Yousif über Griechenland nach Berli… | |
Bild: Salah Yousif: Das Tuch, das er um den Hals trägt, ist auch ein Statement | |
von Hans Korfmann | |
Herr Yousif ist ein glücklicher Mann. Zwischen halb fertigen alten Möbeln | |
sitzt er in seinem Laden in Berlin, der Tee dampft, es ist kühl, „aber ich | |
heize nie. Ich weiß, das ist komisch für einen Afrikaner“, sagt der | |
Antiquitätenhändler, „aber ich lebe eben in zwei Kulturen.“ In Berlin | |
erträgt er die Kühle, im Sudan die Hitze. „Erst gestern bin ich aus Khartum | |
gekommen und heute wieder hier. Als wäre ich nie weg gewesen.“ Wenn er nach | |
Khartum, der Hauptstadt des Sudans, fährt, sei es genauso: „Ich fühle mich | |
dort sofort wieder zu Hause.“ | |
Nur, in Khartum kann er nicht bleiben. „Man spürt, dass man da nicht leben | |
kann.“ Nicht für längere Zeit. Nicht für immer. | |
Deshalb verließ er 1969 das Land, um zu studieren. „Das war damals | |
einfacher als heute. Und ungefährlich. Ich flog nach Athen. Und später mit | |
dem Zug über Jugoslawien, zweiter Klasse“, wie ein Mensch. Nicht wie ein | |
Flüchtling. Salah Yousif kann sich kaum vorstellen, was aus ihm geworden | |
wäre, wenn er nur wenige Jahre später auf die Welt gekommen wäre. | |
Er hat schöne Kindheitserinnerungen, an den Blauen Nil, an den Weißen Nil, | |
die in seiner Stadt zusammenfließen, „da gab es noch kein einziges Café am | |
Ufer und nur ein Hotel, das alte Grand Hotel der Engländer“. | |
Khartum war eine andere Welt, „wir spielten auf der Straße von morgens um | |
sieben bis abends um sieben und liefen hinter jedem Auto her, das | |
vorbeikam“. Abends spielten sie das Knochenspiel und suchten in der | |
Dunkelheit in den unbeleuchteten Straßen nach dem weißen Knochen, erzählt | |
er, und dass die Großmutter ihre Ziegenherde zwischen den Häusern der | |
Hauptstadt weidete. „Ich rieche sie heute noch, die stinkenden, neugierigen | |
Tiere, die schauen immer nach vorne.“ | |
Viel habe er von seiner Großmutter gelernt, und von seinem Onkel, dem | |
Schriftsteller. „Mit dreizehn zeigte ich ihm mein erstes Gedicht, es war | |
bestimmt ein Liebesgedicht.“ Salah Yousif lacht. „Mein Onkel sagte: Das ist | |
gut. Mach weiter.“ | |
## Denken | |
Er machte weiter, aber in Khartum konnte er nicht bleiben. Dort folgte eine | |
Diktatur der anderen, da war „viel zu viel Druck in der Atmosphäre, man | |
musste aufpassen, was man sagt“. Er war einer, der sagen wollte, was er | |
dachte, er ging auf die Straße, wo demonstrieren möglich war, in Athen | |
gegen die Junta, in Berlin gegen Nixon. | |
Aber „immer gab es irgendeinen Haken“, nirgendwo konnte er das Studium, | |
Pharmazie, abschließen. Als er 1973 nach Berlin kam, fehlten noch immer | |
drei Semester. Er hat sie nie gemacht, „Gott sei Dank. Wenn ich fertig | |
studiert hätte, wäre ich vielleicht zurückgegangen und hätte geheiratet, | |
Kinder bekommen und ein Leben lang in einer Apotheke gestanden.“ | |
Aber kaum war er in Berlin, verlor er seinen Pass. Einen von diesen alten | |
sudanesischen Pässen, in denen das Geburtsdatum immer auf den 1. Januar | |
fiel. Weil niemand aufgeschrieben hatte, an welchem Tag ein Kind geboren | |
wurde, nicht einmal das Jahr schien von Bedeutung. „Wenn ich meine Mutter | |
nach meinem Geburtstag fragte, wusste sie es nicht.“ Salah Yousif schätzt, | |
dass er zwischen 1946 und 1949 geboren wurde. Eines dieser Jahre stand auch | |
in dem Pass, den ihm die sudanesischen Behörden nach Berlin schickten, ein | |
Jahr nachdem er ihn verloren hatte, „und mich hat in diesem Jahr nie jemand | |
nach dem Pass gefragt“. Nur studieren durfte er während dieses ausweislosen | |
Jahres in Berlin nicht. Er verkaufte Schmuck auf dem Kurfürstendamm, | |
zusammen mit Kadakaa, seinem Freund. „Wir haben viel Geld verdient und den | |
ganzen Tag nur noch gelacht.“ | |
Die Siebziger „waren wunderbar. Alle waren gegen den Kapitalismus, und man | |
teilte alles. Die ersten drei Wochen hatte ich nicht mal eine Wohnung, ich | |
wurde überall eingeladen.“ Sogar ins Quasimodo, diesen legendären | |
Jazzkeller, weil Kadakaa ein Freund war von Giorgio, dem Chef des | |
Etablissements. Sie hatten immer freien Eintritt, egal, wer spielte, selbst | |
bei Dizzy Gillespie, Don Cherry oder Les McCann. Er hat Ray Charles in | |
Berlin gehört, gut, dafür musste er Eintritt zahlen, 15 Mark, sagt er. „Und | |
auch die Stones.“ | |
Zwischen den Schränken, Tischen und Stühlen seines Trödelladens liegen | |
kleine Stapel alter Schallplatten in zerschlissenen Hüllen, Miles Davis, | |
John Coltrane, Eric Burdon. Salah Yousif heizt nie, aber immer bläst aus | |
irgendeinem Gettoblaster zwischen den Schränken ein Saxofon. Musik, die er | |
in Khartum nicht hören konnte. „Da gab es nur zwei Radios: eines in einem | |
Café in der Stadt und eines bei meinem Onkel. Aber das war nur zwei Stunden | |
am Tag auf Sendung, abends zwischen sieben und neun.“ | |
In Berlin dagegen spielte die Musik den ganzen Tag. Und in den Diskotheken | |
die ganze Nacht. Er lernte einen der Berliner Discokönige kennen, den vom | |
Linientreu in der Budapester Straße. Irgendwann stand Salah dann hinter | |
der Theke, von „zehn am Abend bis morgens um acht“. Das Geld, das er | |
verdiente, schickte er der Familie, „das ist afrikanisches Schicksal, das | |
machen alle so. Wenn einer von uns irgendwo in der Welt Geld verdient, | |
schickt er es nach Hause.“ | |
Dreizehn Geschwister hat Salah Yousif, alle haben vom großen Bruder in | |
Berlin gelebt. Und von seinen deutschen Freunden und Freundinnen. | |
## Tun | |
Auch Salah Yousif hat zwei Töchter. Beide haben studiert, „die eine | |
Medizin, die andere Pharmazie, so wie ich. Und dann, als die eine so | |
sechzehn ist, sagt sie, sie will in Khartum zur Schule.“ Heute lacht er, | |
Salah Yousif hat schon immer viel gelacht, aber damals sei ihm das Lachen | |
fast vergangen: „Da komme ich hierher, um in Berlin zu studieren, und meine | |
Tochter will zurück in den Sudan.“ Sie ging wirklich, studierte Medizin in | |
Khartum und kam nur noch zu Besuch nach Deutschland. | |
Aber irgendwann spürte auch sie, dass man da nicht leben kann. Kürzlich ist | |
sie zurückgekommen, um zu bleiben, „für immer“. | |
Schon 1988 war ihm klar: Er wird nicht in den Sudan zurückgehen. Er mietete | |
einen Laden in der schmucklosen Urbanstraße in Kreuzberg, verkaufte zuerst | |
Lebensmittel, dann Antiquitäten. Heute ist er der älteste Trödler der | |
Straße, viele kennen ihn, wissen, dass er Tische nach Maß baut, alte | |
Schränke und alte Schallplatten hat. Manchmal kauft auch jemand eins der | |
Bücher, die im Schaufenster liegen. | |
Salah Yousif hat viel von der Großmutter – das Lachen, die Bescheidenheit. | |
Nur die Neugierde habe er von den Ziegen. Auch die Worte des Onkels vergaß | |
er nie: „Mach weiter.“ Er hat „viele Bücher gelesen“, und welche | |
geschrieben, auf Arabisch, in seiner Großmuttersprache, meistens Gedichte | |
über Berlin. Sie tragen Titel wie „Urbanstraße“ oder „Landwehrkanal“.… | |
steh in der Mitte zwischen Khartum und Berlin / pendle zwischen Kulturen / | |
Ich bin hier / und dort / Und dazwischen.“ | |
Berlin sei nicht Exil für ihn. Berlin sei die Stadt, die er liebe. „Aber | |
ich sehe sie mit den Augen eines Menschen aus Afrika.“ | |
25 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Hans Korfmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |