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# taz.de -- Berliner Szenen: Alle Schüler fotografiert
> Im Zirkus
Ich bin kein Fan vom Zirkus. Aber weil unsere Kinder ihre Schulprojektwoche
in einem verbracht haben, sitze ich nun schon den zweiten Tag in Folge auf
einer harten Holzbank und schaue mir die kleinen Stars in der Manege an.
Immerhin: Da ich gestern, als Hannah ihre Vorführung hatte, bereits
fotografierte und somit längst genug Material für spätere
Familiendokumentationen vorliegt, kann ich mich heute etwas entspannen. Ich
muss nur noch knipsen, wenn die Fakire das Zelt betreten, unter denen sich
Max, Hannahs kleiner Bruder, befindet.
Die Zeit bis dahin vertreibe ich mir damit, die anderen Eltern zu
beobachten. Die meisten klatschen eifrig bei jedem Programmpunkt, aber ich
merke schnell, dass ich nicht der Einzige bin, der nur begrenzte
Begeisterung aufbringt. Mehrere Besucher sehen wiederholt auf die Uhr. Der
Mann neben mir hat die Augen geschlossen. Ich würde es ihm gerne nachtun,
aber leider schaut Melanie immer wieder zu mir, um zu prüfen, ob ich meiner
väterlichen Pflicht, am Wachsen und Gedeihen meiner Kinder Anteil zu
nehmen, auch leidenschaftlich nachkomme.
So lasse ich meinen Blick weiter schweifen. Der Herr schräg vor mir hat
ebenfalls Fotodienst. Statt die Nachwuchsartisten abzulichten, macht er
lieber Aufnahmen von der attraktiven Zirkusassistentin. Wie erklärt er das
später seiner Frau? Lange kann ich nicht nachsinnen, denn schon betreten
die Nagelbrettschläfer die Arena. Verdammt! Der Speicher der Kamera ist
voll. Ich muss ein paar Fotos löschen. Hoffentlich sind es nicht die
falschen. Da ich mir nicht gemerkt hatte, zu welcher Gruppe Hannah gehörte
– Taubendressur, Akrobatik oder Jonglage –, ich nicht zum fünften Mal
Melanie fragen wollte und sich aus der Ferne die meisten Kinder im Rund
ähneln, habe ich gestern zur Sicherheit alle Schüler fotografiert. Stephan
Serin
16 Mar 2017
## AUTOREN
Stephan Serin
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