# taz.de -- Mit Pepp und Poesie | |
> FADOESQUE Sich weigern, traurig zu sein? Die portugiesische Sängerin | |
> Cristina Branco stellt am Sonnabendin Berlin ihr neues Album „Menina“ | |
> vor. Es ist ein Streifzug durch die Innenwelt der Frauen geworden | |
Bild: Keine puristische Fadista: die Sängerin Cristina Branco | |
Interview Gaby Sohl | |
taz: Frau Branco, ursprünglich wollten Sie Journalistin werden … | |
Cristina Branco: Ich habe Medienkommunikation und Journalismus studiert, | |
aber dann bin ich über das „story telling“ zur Musik, vor allem zur Lyrik | |
des Fado gekommen. Wir Portugiesen lieben die Poesie. Auch deshalb ist die | |
Fado-Sängerin Amália Rodrigues für uns zu einer Ikone geworden: Sie hat die | |
moderne Lyrik des 20. Jahrhunderts in den Fado gebracht. Wobei sie selbst | |
aus dem einfachen Volk kam, aus absoluter Armut. | |
Ihre neue CD heißt „Menina“ – kleines Mädchen. Warum? | |
Als ich anfing, an diesem Projekt zu arbeiten, habe ich von einem berühmten | |
spanischen Gemälde aus dem 17. Jahrhundert geträumt: „Las niñas“ von Die… | |
Velasquez. Das Bild ist ein Porträt der zukünftigen Königin. Velasquez hat | |
sie als kleines Kind vor einem riesigen Spiegel gemalt. Es ist ein | |
mysteriöses Bild, das viel von den gesellschaftlichen Veränderungen für die | |
Frauen in dieser Zeit erzählt. Als ich wach wurde, habe ich gedacht: Ich | |
nenne mein Album „Menina“! Alle Texte befassen sich mit Frauen, und in | |
Portugal haben wir die eigenartige Angewohnheit, jede Frau, egal ob sie nun | |
achtzig oder acht Jahre alt ist, eine „Menina“ zu nennen. „Menina“ ist … | |
ganz kleine Mädchen, aber auch die alleinstehende Tante und die alt | |
gewordene Witwe. Die Prostituierte, auch sie ist eine „Menina“. | |
Gibt es so ein „all inclusive“-Wort auch für den portugiesischen Mann? | |
Nein. | |
Der bekannte portugiesische Schriftsteller António Lobo Antunes hat für Ihr | |
Album eigens ein Gedicht geschrieben. Antunes hat allerdings einen | |
ambivalenten Ruf im Hinblick auf seinen persönlichen Umgang mit Frauen … | |
Ja, er ist sehr misogyn, leider. Ich wollte ihn trotzdem dabeihaben – er | |
ist ein fantastischer Schriftsteller! Da ich aber keine Lust hatte, mich | |
seinen persönlichen Seltsamkeiten auszusetzen, hat ein Freund, der auch | |
sehr gut mit Antunes befreundet ist, ihn in meinem Namen gefragt, ob er | |
einen Text für mein Album schreiben würde. Es hat funktioniert! (lacht) | |
Das Lied heißt: „Quando julgas que me amas“ (Wann denkst du, dass du mich | |
liebst) … | |
Es erzählt von einer Trennung, aber in einer wunderbar einfachen Sprache. | |
Mir gefällt es, dieser Einfachheit eine Stimme zu geben. Die Frau fühlt | |
sich einsam, obwohl sie noch mit dem Mann zusammen ist. Es ist ein Gedicht | |
über Liebe und Hass. | |
Antunes schreibt das Gedicht aus der Position der Frau? | |
Ja. Er ist die Frau. | |
Musikalisch fällt ein Lied auf „Menina“ völlig aus dem Rahmen: „Deus À… | |
Das Lied ist das glatte Gegenteil von Fado – ein Song des jungen | |
kapverdischen Komponisten und Sängers Luís Gomes. Er ist erst 20 Jahre alt. | |
Seine Band heißt Cachupa Psichadélica. Cachupa ist ein afrikanisches | |
Gericht und Psichadélica, na ja, zumindest eine Menge „weed“ muss er wohl | |
geraucht haben, als er „Deus À“ geschrieben hat. Ich habe für dieses | |
Projekt zum ersten Mal mit sehr jungen Indie-Musikern und Lyrikern | |
zusammengearbeitet. Ihre Texte sind oft fadoesque, ja, aber es ist trotzdem | |
kein Fado-Album. Allerdings sind die Lieder alle in Moll komponiert, das | |
ist sehr portugiesisch! Musikalisch sind wir also ähnlich gestimmt, obwohl | |
ich aus einer anderen Generation komme. Gomes spielt mit dem Klang von | |
„Deus À“, was zweierlei bedeuten kann: „Gott gibt“ oder aber „die G�… | |
Er spricht von der Feminität, mit der Gott das Universum beherrscht. | |
Die Komposition hat etwas Archaisches, Sakrales … | |
Sie klingt mystisch, fast wie ein indisches Mantra. Bei den Proben war es | |
das schwierigste Stück für mich. Irgendwann haben wir gesagt: So, jetzt | |
reicht’s, diese Musik ist komplett spacy. Wir gehen erst mal was Gutes | |
essen und trinken reichlich Wein. Danach, um zwei Uhr morgens, haben wir | |
den Song dann endlich aufgenommen, wir waren total müde und das war genau | |
die richtige Stimmung für dieses Lied. Es kommt aus einer sehr alten Welt … | |
Wir erleben gerade einen großen Backlash in Europa und in den USA. Einige | |
mächtige Nicht-„Meninas“ versuchen eine sehr krude und brutale Form des | |
Patriarchats zu re-etablieren. | |
Am meisten schockiert mich, dass sich auch so viele Frauen auf die Seite | |
dieser Männer schlagen. Sie beschützen immer noch deren reaktionäre | |
Gedankenwelt! Diese Frauenverachtung ironisiere ich in „Boatos“. Ich singe | |
über eine schöne Frau in einer kleinen Stadt – und wie die „Boatos“, al… | |
die Gerüchte, sie ruinieren. Alle Frauen zeigen mit dem Finger auf sie, | |
weil sie denken, sie sei die Geliebte des Priesters, des Richters, des | |
Doktors … | |
Sie haben auch einen der berühmtesten Fados von Amália für Ihre Platte | |
ausgewählt: „Ai, esta pena de mim“(… Leid, meine Feder, meine Strafe). W… | |
bedeutet Ihnen dieses Lied? | |
Sehr, sehr viel! Amálias Text fasst zusammen, was „Menina“, was Frausein | |
bedeutet. Sie beschreibt die weibliche Psyche, dieses ewige „ich will“ und | |
„nein, ich will das nicht“, „ich bin das“ und „nein, das bin ich nich… | |
diese duale Geschichte, die Ambivalenz, die wir alle haben. Eine gewisse | |
Traurigkeit und zugleich eine Weigerung, immer wieder traurig zu sein, mehr | |
sein zu wollen als jetzt erreichbar ist – oder vielleicht sind wir doch | |
schon da und angekommen? | |
Glauben Sie, dass diese Ambivalenz unser ewiger „Fado“ ist, also unser | |
„Schicksal“? | |
Ich hoffe nicht! Deshalb ist es ja ein feministisches Album geworden. | |
Manche fragen mich: Ist das immer noch nötig, so mit dem Finger auf die | |
Situation der Frauen zu zeigen? Ja, unbedingt! Ich bin keine Feministin mit | |
strikten ideologischen Auffassungen, ich trage keine Fahne vor mir her, | |
aber natürlich bin ich eine Feministin – es geht gar nicht anders in dieser | |
Welt! Leider. | |
16 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Gaby Sohl | |
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