# taz.de -- Das sozialistische Narrativ | |
> Porträt Zu Besuch bei Siegfried Kaden in Havanna, wo dieses Jahr gleich | |
> vier Einzel- und Gemeinschafts-ausstellungen von ihm zu sehen sind | |
Bild: Siegfried Kaden | |
VON Gisela Stamer | |
„Kuba nimmt jeden gefangen. Auf den ersten Blick“, sagt Siegfried Kaden. Er | |
hat seit inzwischen 20 Jahren im vormals eleganten Stadtteil Vedado Wohnung | |
und Atelier. Hier lebt und arbeitet er. Hier netzwerkt und organisiert er | |
sich sein Leben; arrangiert sich mit der Mangelhaftigkeit der öffentlichen | |
Verkehrsmittel und beklagt sich nicht, wenn die „guaguas“(Busse) entweder | |
gar nicht kommen oder hoffnungslos überfüllt sind. Er wartet mit stoischer | |
Ruhe, bis er in einem der wenigen Internetcafés der Stadt für anderthalb | |
CUC an einen der Rechner kann, um seine Korrespondenz mit der Alten Welt zu | |
erledigen. | |
Weil er resistenter und unnachgiebiger ist als so mancher Kubaner selbst, | |
nennen ihn seine Nachbarn auch den „loco alemán“, den verrückten Deutsche… | |
Verrückt, weil Kaden, der mit seinen Werken in öffentlichen Sammlungen wie | |
der Münchner Pinakothek der Moderne, der Städtischen Galerie im Lenbachhaus | |
oder der Albertina in Wien vertreten ist, 1996 bewusst die Komfortzone des | |
bundesdeutschen Alltags verlassen hat, um sie gegen die | |
tropensozialistische Wirklichkeit einzutauschen. „Ich hatte einfach keine | |
Lust mehr auf die aufgeblasene und völlig überteuerte Kunstszene Münchens.“ | |
Den Kunsthype, bei dem er in den Neunzigern noch selbst mit im Mittelpunkt | |
stand, tauschte er gegen eine Szene ein, in der Kreativität ganz | |
existenziell gefragt ist und bis heute gelebt wird. Umtriebigkeit, | |
Engagement und Produktivität, diese für Kaden typischen Eigenschaften, | |
fördert der komplizierte Lebensalltag in Havanna ungemein. | |
Jahrelang organisierte und kuratierte er von Kuba aus in ganz Deutschland | |
Ausstellungen für die junge kubanische Kunstszene und ermöglichte jungen | |
Bildenden Künstlern aus Havanna Stipendien im Münchner Raum, beispielsweise | |
im Münchner Künstlerhaus Villa Waldberta. Auch heute noch, mit 72 Jahren, | |
ist er ruhelos und fühlt sich, ganz Altachtundsechziger, der | |
sozialistischen Leitidee von Solidarität und Gleichheit der Menschen und | |
Völker verpflichtet. 2017 sind in der kubanischen Hauptstadt vier Einzel- | |
und Gemeinschaftsausstellungen von Kaden zu sehen. Allein die auch in die | |
Bereiche Kunst und Kultur hineinreichende sozialistische Bürokratie und der | |
damit verbundene Nepotismus würden andere Künstler vor einem solchen | |
Kraftakt zurückschrecken lassen. „Sozialismus erhält jung“, verkündet Ka… | |
dagegen mit gewinnendem Augenzwinkern, gerade so, als lächle er gegen den | |
Verrat an, den das Regime seit vielen Dekaden an der sozialistischen | |
Gründungsidee begeht. Auch Kaden spürt die durch die Misswirtschaft | |
verursachte und durch die Tourismusindustrie befeuerte Teuerungsrate. Es | |
erschreckt ihn zu beobachten, wie die Kubaner kaum noch Artikel erwerben | |
können, die über die Bezugsberechtigung durch ihre staatlichen | |
Lebensmittelkarten hinausgehen. Das muss dann mit teuren CUC (Pesos Cubanos | |
Convertibles) bezahlt werden und macht in Plastikflaschen abgefülltes | |
sauberes Trinkwasser für die Einwohner Kubas genauso unerschwinglich wie | |
Seife, Shampoo oder Schokolade. | |
Siegfried Kaden bewahrt sich seine politischen Illusionen. Er, der von | |
seinen kubanischen Freunden liebevoll „el Siggi“ genannt wird, glaubt | |
weiterhin an die Errungenschaften der Revolution von 1959. Dazu gehört | |
Kadens Ansicht nach, neben dem mittlerweile allerdings drastisch | |
verschlechterten Gesundheitswesen, vor allem die weiterhin gute Bildung, | |
die allen Kubanern zuteil wird. Im Vergleich zu anderen mittel- und | |
lateinamerikanischen Ländern ist dies zweifellos richtig. Man wird in Kuba | |
selten eine Empfangsdame im Hotel oder einen Tanzlehrer im Salsakurs | |
treffen, die nicht auch die großen Werke der kubanischen Literatur gelesen | |
haben. Entsprechend zeigt Siegfried Kaden jetzt in der Nationalbibliothek | |
José Martí an der Plaza de la Revolución in seiner neuen Ausstellung „Leer… | |
(Lesen) zehn großformatige, eher nüchtern wirkende Acrylporträts, die | |
allesamt kubanische Nationalpreisträger für Literatur darstellen. | |
Von Nicolás Guillén über Miguel Barnet bis Leonardo Padura, alles | |
Schriftsteller, die sich um die Lesekultur der Kubaner verdient und auch | |
der Kulturrevolution Rechnung getragen haben. Sie sind schon lange im | |
Pantheon der Uneac (Unión de Escritores y Artistas de Cuba, vergleichbar | |
mit der Berliner Akademie der Künste) angekommen. Nicht immer war der Weg | |
der gemalten Autoren zu ihrer Etablierung leicht. Für den Vater der „Novela | |
Testimonial“, Miguel Barnet, der 1966 mit seinem wegweisenden Roman „El | |
Cimarrón“ die Geschichte des entlaufenden Sklaven Esteban Montejo erzählte | |
und damit einen für die narrativen Strategien des Sozialismus grundlegenden | |
Meilenstein legte, war der Weg einfacher als für Leonardo Padura. Der kann | |
zwar mittlerweile mit seinen Kriminalromanen und seinem unbequemen Helden | |
Mario Code im europäischen Raum auf ein breites Lesepublikum zählen, in | |
Kuba aber war er jahrelang marginalisiert worden. | |
Aufgrund der Tatsache, dass Padura Themen wie Homosexualität sowie | |
Korruption und Verlogenheit in kubanischen Wirtschafts- und | |
Regierungskreisen thematisiert, wurde ihm in seiner Heimat bislang kein | |
offizieller Publikumserfolg beschert. Nicolás Guilléns Beitrag zur | |
Kulturgeschichte steht in diesem Zusammenhang außer Frage. 1989 verstorben, | |
ist er der einzige nationale Preisträger für kubanische Literatur, der von | |
Kaden nur noch von Fotos und nicht live abgezeichnet werden konnte. Mit | |
fast sardonisch aufgerissenem Mund scheint Guillén in Kadens Darstellung | |
die leidvollen Erfahrungen der kubanischen Sklaven, die Geschichte von | |
Rassismus sowie die weiter andauernde Diskriminierung der Schwarzen Kubas | |
zu denunzieren. | |
Padura hingegen wird von dem deutschen Maler auf einen ausgetrockneten Baum | |
mit dürren Ästen gesetzt. So weist Kaden sinnbildlich auf jene | |
Beschränkungen hin, die der Autor und viele seiner kubanischen | |
Schriftstellerkollegen bislang erleiden mussten. Dass es sich dabei nicht | |
nur um Einschränkungen von politischer Seite handelt, wird für den | |
interessierten Betrachter erst dann ersichtlich, wenn er erfährt, dass neu | |
aufgelegte Romane in Kuba wegen Rohstoffmangels in der Regel nur eine | |
Editionsgröße zwischen 1.500 und 2.000 Büchern erfahren. Und das bei einer | |
Einwohnerzahl von etwas mehr als 11 Millionen Bürgern. Zum Glück sind die | |
Kubaner Meister im gegenseitigen Verleihen von allem, was knapp ist, auch | |
von Büchern. Ein weiteres Zeichen ihrer Bereitschaft, solidarisch zu | |
handeln. Dies erklärt auch die Tatsache, dass Padura, obwohl er den | |
offiziellen Positionen alles andere als nahesteht, trotzdem gelesen wird. | |
So kritisch wie Padura outet sich Kaden nicht. Mit seiner Hommage an die | |
großen Literaten Kubas verweist er stattdessen – und dies in Übereinkunft | |
mit der staatlichen Parteidoktrin – auf all jene, die in seinen Augen, | |
genau wie in der Wahrnehmung der Funktionäre, große Anerkennung verdienen. | |
Nicht zuletzt wegen solch idealistischer Statements hat Klaus Staeck, | |
jüngst auf seinen Freund in Kuba angesprochen, Siegfried Kaden einen | |
„großen Suchenden“ genannt. | |
So schlägt das sozialistische Narrativ neben Siegfried Kaden nur noch die | |
Generation Fidel in ihren Bann. Das sind die mittlerweile über | |
Achtzigjährigen, die, wie die Laureaten der kubanischen Literatur, | |
gealtert, in Vergessenheit zu geraten drohen. Den Jüngeren fällt es schwer, | |
der Erzählung vom ewig währenden Kampf für Freiheit und Gleichheit noch | |
Glauben zu schenken. Daran ändern auch die Parolen nichts, die weiterhin | |
zum Stadtbild von Havanna gehören. Sie stoßen allenthalben noch bei den | |
Touristen auf folkloristisches Wohlgefallen. Sofern diese denn ihre | |
geschützten Ressorts für einen durchorganisierten Tagesausflug verlassen. | |
4 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Gisela Stamer | |
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