# taz.de -- Augsburger Parteigericht | |
> Theater Das Brecht-Festival in Augsburg gibt sich einen sehr | |
> zeitgenössischen Anstrich. Am Wochenende zeigte Selcuk Cara seine | |
> Adaption des Stücks „Die Maßnahme“ | |
Bild: Ins Licht gesetzt wie in einer klassischen griechischen Tragödie: Szene … | |
von Annette Walter | |
Die Zeichen stehen auf Umbruch, und das ist schon mal eine gute Nachricht | |
vom Brecht-Festival in Augsburg. Der Grund: Der Berliner Regisseur und | |
Schauspieler Patrick Wengenroth hat nun die Verantwortung darüber, wie der | |
berühmteste Sohn der beschaulichen Stadt auf der Bühne in Erinnerung | |
gebracht wird. | |
Wengenroths Auftakt weckt Interesse: etwa mit einer Diskussion mit der | |
britischen Feministin Laurie Penny oder dem Gastspiel von Simone Dede | |
Ayivis „First Black Woman in Space“, aber auch mit ungewöhnlichen | |
Spielorten. Die spektakulärste Wahl ist ein mittlerweile stillgelegtes | |
Gaswerk in einem Industriegebiet im Augsburger Stadtteil Oberhausen. Dort | |
inszeniert Opernsänger Selcuk Cara Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“, das | |
Stück über den Mord einer Gruppe russischer sogenannter Agitatoren an einem | |
Genossen, der die kommunistische Idee durch sein Handeln gefährdet haben | |
soll. Für diese „Maßnahme“ müssen sie sich vor einem Parteigericht | |
verantworten. | |
Den Ort der Aufführung erreicht der Theaterbesucher nach dem Durchschreiten | |
eines imposanten Torgebäudes, das den Blick auf den prachtvollen Mittelbau | |
der historischen Fabrikanlage öffnet. Eine Frauenstimme tönt aus | |
Lautsprechern und dirigiert einen zu einem schmalen Zelt aus weißen | |
Plastikplanen. Dort drängeln sich die Besucher und werden in die Rolle des | |
geduldig um Zutritt Bittenden versetzt. Ein Ritual, das mit einem an die | |
Wartenden verteilten Foto illustriert wird: Es zeigt die Rettung von in | |
Seenot geratenen Flüchtlingen durch die Organisation SOS Méditerranée. | |
Nun steht man in einer von Kunstnebelschwaden durchzogenen Halle, in der | |
sich die Zuschauer, von Absperrbändern gegängelt, an einem Gitterzaun | |
entlang bewegen. An den Zaun klammern sich auf der anderen Seite etwa | |
zwanzig junge Frauen in schlichten weißen Gewändern. Zuerst richten die | |
Eingeschlossenen zögernd flüsternde Fragen, dann immer lautere Zurufe an | |
die Vorbeidriftenden. Sie skandieren „Was ist ein Mensch?“ oder „Bist du | |
ein Mensch?“, bis sich schließlich alle in dem Schrei „Unser Ansatz ist | |
richtig“ vereinen. | |
Zum Hauptteil des Stückes wechselt man in das Halbdunkel einer mit | |
historischen, messingfarben schimmernden Maschinen bestückten Fabrikhalle. | |
Die Zuschauer verfolgen stehend oder von schmalen Sitzbänken aus das | |
Geschehen. Seine Akteure inszeniert Selcuk Cara wie in einer klassischen | |
griechischen Tragödie: zwei Frauen (Katharina Rivilis und Luise Wolfram) in | |
langen, fließenden weißen Gewändern, die Männer (Volker Zack Michalowski, | |
Florian Mania) in schlichten Hemden und Kniehosen. Die vier Protagonisten | |
bewegen sich auf der erhöhten Bühne meist in geometrisch anmutenden Bahnen | |
und wechseln ihre Positionen wie in einem Schachspiel. Es gibt weder | |
Bühnenbild noch Requisiten. Allein die gelungene Lichtregie rückt den | |
Sprechenden je nach Einsatz ins Scheinwerferlicht. | |
## Kann uns dieses Lehrstück heute noch packen? | |
Es ist ein Verdienst von Caras Inszenierung, dass er es schafft, den | |
Zuschauer mit seinem düsteren und strengen Kammerspiel in eine ähnlich | |
beklommene und ausweglose Stimmungslage wie den jungen Genossen zu | |
versetzen. Ohne Aussicht auf Rettung beteuert er seine Linientreue: „Mein | |
Herz schlägt für die Revolution. Der Anblick des Unrechts trieb mich in die | |
Reihen der Kämpfer. Der Mensch muss dem Menschen helfen. Ich bin für die | |
Freiheit. Ich glaube an die Menschheit. Und ich bin für die Maßnahmen der | |
kommunistischen Partei, welche gegen Ausbeutung und Unkenntnis für die | |
klassenlose Gesellschaft kämpft.“ | |
Doch was fehlt, ist der aktuelle Bezug. Kann uns dieses Lehrstück heute | |
noch packen? An diesem Abend gelingt das nicht. Wie stehen wir zu den | |
Personen, die von der Ideologie einer Partei vereinnahmt werden und für sie | |
in den Tod gehen? Sie lassen uns in diesem Stück kalt. Es bedürfte einer | |
größeren Transferanstrengung, von Brechts Handlung auf unsere Zeit zu | |
schließen. Das ist die Crux dieses Theaterabends, der viel will, aber nicht | |
unter die Haut geht. Wir sehen Menschen, die deklamieren statt zu | |
interagieren, die den Brecht-Text originalgetreu wiedergeben, aber nicht | |
interpretieren. Auch der Bezug der anklingenden Flüchtlingsproblematik zu | |
Brechts Stück bleibt unklar. | |
So bemüht etwa die Darstellung von Katharina Rivilis als der „junge | |
Genosse“ ist, so sehr wünscht man sich eine Schonung ihrer Stimmbänder. | |
Zumindest verleiht die wuchtige Begleitmusik von Hanns Eisler dem Stück | |
zusammen mit dem Chor Oratoriencharakter, verhinderte aber auch über lange | |
Strecken das Textverstehen. | |
Eines der wenigen Stilmittel, die sich Cara erlaubt, quasi als | |
eingestreutes „Comic Relief“, ist die plötzliche Ankündigung einer | |
Diskussion, wenn die vier Hauptpersonen in empathischer Zuwendung von den | |
Zuschauern einfordern, vorzuschlagen, „was der junge Genosse tun solle“. Es | |
versteht sich, dass auch gut gemeinte Zurufe aus dem Publikum das Schicksal | |
des Verlorenen nicht aufhalten können. Leider wirkt Brechts Idee der | |
Verfremdung an diesem Abend lediglich noch als klamaukiges Zitat. | |
Brecht-Festival Augsburg, noch bis 12. März, Infos: www.brechtfestival.de | |
8 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Annette Walter | |
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