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# taz.de -- Denn sie wussten wohl, was sie tun
> Prozess Das überraschend harte Urteil gegen die beiden Raser in Berlin
> lautet: Mord
Bild: Die Mordwaffe: der Audi A6 von Hamdi H. kurz nach dem tödlichen Unfall v…
von Uta Eisenhardt
BERLIN taz | Sekunden vor der Urteilsverkündung erheben sich alle von ihrem
Platz. Der schmächtige 27-Jährige Hamdi H. strafft die Schultern. Er federt
kurz in den Knien, atmet tief durch. Dann ergreift Richter Ralph Ehestädt
das Wort. Es fallen nicht die von Hamdi H. und seinem Mitangeklagten, dem
25-jährigen Marvin N., erhofften Worte von der „fahrlässigen Tötung“. Ne…
die 35. Strafkammer des Berliner Landgerichts schreibt Rechtsgeschichte:
Das erste Mal in Deutschland wurden Raser, die sich zu einem illegalen
Autorennen verabredet haben und dabei einen Menschen tödlich verletzten,
wegen Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln zu lebenslangen Haftstrafen
verurteilt.
Hamdi H. erstarrt, seine Verlobte im Publikum schluchzt laut. Der Richter
will nun das Urteil begründen. Alle Anwesenden setzen sich wieder – bis auf
Hamdi H. Lange steht er starr vor seinem Stuhl, mahlt beständig mit seinen
Kiefern und wirkt so gar nicht mehr wie die Person, die am ersten
Prozesstag weinend zugehört hatte, als Staatsanwalt Christian Fröhlich die
Mordanklage verlesen hatte.
Auch am vorletzten Verhandlungstag hatte er sich noch mit tränenerstickter
Stimme an Maximilian W., den Sohn des 69-jährigen Opfers, einem
pensionierten Arzt, gewandt: „Am liebsten würde ich es rückgängig machen,
aber ich kann es nicht!“ Die Reue klang glaubhaft. Doch jetzt, als er die
Entscheidung des Gerichts hört, da wird die andere, die harte Seite des
Hamdi H. sichtbar. Rüde unterbricht er den Richter „Was reden Sie überhaupt
weiter?“
Der 1. Februar 2016 ist noch keine Stunde alt, als die beiden nun
Verurteilten auf dem Kurfürstendamm zufällig nebeneinander an einer roten
Ampel hielten: Marvin N. im Mercedes CLA 45 AMG und Hamdi H. im Audi A6 3.0
TDI quattro. Die beiden kannten sich flüchtig aus einer Shisha-Bar, in der
sie sich eine Woche zuvor unterhalten hatten. Durch die geöffneten Fenster
sprachen sie miteinander. Dann raste H. los und hängte seinen Kontrahenten
ab, der an zwei roten Ampeln hielt.
Dann überfuhr auch N. rote Ampeln, lag leicht in Führung. „Am Rande des
technisch Machbaren“, so ein Gutachter, durchfuhren beide die Kurve vor der
Gedächtniskirche. Sie beschleunigten, fünf Sekunden lang gab H. Vollgas und
wäre wohl an seinem PS-stärkeren Gegner vorbeigezogen, wäre nicht ein
pinkfarbener Jeep von rechts gekommen. Nach zweieinhalb Kilometern und elf
Ampeln endet das Rennen mit einem Toten.
Die Verteidiger argumentierten, dass die Raser glaubten, es könne nichts
schiefgehen. H. hatte sich nicht angeschnallt und nach dem Unfall auf dem
Bürgersteig gesessen und sinniert: „Wie konnte das passieren?“ Auch das
Gutachten der Verkehrspsychologin Jacqueline Bächli-Biétry (siehe
Interview) schien dies zu bestätigen. Sie sprach von einer „Blase“, in der
Hamdi H. lebte und an sein fahrerisches Können glaubte.
Über diese Einschätzung hatten sich die Verteidiger gefreut, denn wenn die
Raser die Gefahr nicht wahrnehmen, können sie auch nicht den Tod in Kauf
genommen, also keinen Mord begangen haben. Das Gericht indes folgte ihnen
nicht: „Da ließen sich dann auch für viele andere Bevölkerungsgruppen
Straflosigkeitsbereiche finden“, so Ralph Ehestädt. „Auch der Raser hat
einen Kopf.“ In dem von Hamdi H. gab es sogar Überlegungen zu roten Ampeln:
Tagsüber würde er sie durchaus beachten, hatte er der Psychologin gesagt.
Aber nachts habe er nicht damit gerechnet, dass noch jemand unterwegs sei.
Genau dies werten die Richter nun als einen Beweis dafür, dass sich H.
durchaus des Risikos bewusst gewesen ist, genauso wie Marvin N., der erst
zögerte und dann doch die Gefahr in Kauf nahm, die für unberechenbar viele
von seinem Auto ausging.
28 Feb 2017
## AUTOREN
Uta Eisenhardt
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