# taz.de -- Verschnupfte Foto-Forscher in Köln | |
> Nachlass Wer verwaltet nun den Nachlass von August Sander? Die Kölner | |
> SK-Stiftung oder die global agierende Zürcher Galerie Hauser & Wirth? | |
Bild: August Sander, Kunsthändler (Sam Salz), 1927 | |
von Markus Weckesser | |
Ein Raunen ging durch die Fotowelt, als die Galerie Hauser & Wirth unlängst | |
vermeldete, dass sie in Kooperation mit der Kölner Galerie Julian Sander | |
den Nachlass des Fotografen August Sander vertreten werde. | |
Die Zürcher Galerie mit Ablegern in London, Somerset, New York und Los | |
Angeles zählt international zu den mächtigsten und einflussreichsten | |
Kunsthändlern. Da Hauser & Wirth vor allem auf konzeptuell und seriell | |
arbeitende Künstler spezialisiert ist, passt das Werk des Kölner Fotografen | |
hervorragend zum Portfolio. | |
August Sander (1876 bis 1964) wurde durch seine typologischen Porträts von | |
Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen zum | |
Vorbild für zahlreiche Generationen von Fotografen. Nur wenige Tage nach | |
der Ankündigung, die Repräsentanz Sanders zu übernehmen, eröffnete in der | |
New Yorker Dependance der Galerie eine Gruppenausstellung mit seriellen | |
Arbeiten von Künstlern wie Sophie Calle, Isa Genzken, Sol LeWitt und Paul | |
McCarthy, in deren Zentrum ein Portfolio von August Sander steht. Bereits | |
beim Nachlass von Lee Lozano bewies Hauser & Wirth, dass sie nicht nur | |
lebende Künstler auf den Kunstmarkt zu platzieren vermag, sondern auch | |
posthum. | |
## Die Bekanntheit des Künstlers wird steigen | |
Die Preise für Bilder von August Sander werden nun wohl enorm steigen, aber | |
eben auch seine Bekanntheit wird durch die Arbeit der exzellenten Galerie | |
gewiss nachhaltig befördert. Etwa Besseres ist einem Künstler eigentlich | |
nicht zu wünschen. | |
Der Meinung ist auch Gabriele Conrath-Scholl, die Leiterin der | |
Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur in Köln. Dennoch äußerte | |
das Haus sein „Unverständnis“ über die Pressemitteilung von Hauser & Wirt… | |
Schließlich erwarb die Stiftung 1992 „sämtliche am Werk von August Sander | |
bestehenden Nutzungsrechte und zwar örtlich, inhaltlich und zeitlich | |
unbeschränkt“. Zum als Nachlass bezeichneten Konvolut, das Sanders Enkel | |
Gerd veräußerte, gehören 10.700 originale Negative, circa 3.500 | |
Vintage-Prints, die originale Korrespondenz, die Privatbibliothek sowie | |
Mobiliar und Teile der fotografischen Ausrüstung. Der Nachlass liege somit | |
weiterhin in Köln, erklärte die Stiftung. | |
Daraufhin stellte Hauser & Wirth dem Begriff „Estate“ (Nachlass) das Präfix | |
„Family“ voran. Denn die zum Verkauf bestimmten Bilder stammen aus dem | |
Besitz von Julian Sander, dem Urenkel des Künstlers. Wenngleich Gabriele | |
Conrath-Scholl versichert, dass es keinen Streit gäbe, sondern jetzt nur | |
zwei Ansprechpartner, ist ein Zerwürfnis nicht zu leugnen. | |
## Vereinbarung über die Produktion von Neuabzügen | |
Während Hauser & Wirth jegliche Stellungnahme verweigert, leistet Julian | |
Sander der Konfusion weiter Vorschub, indem er auf Facebook behauptet, dass | |
es einen Nachlass im juristischen Sinne überhaupt nicht gibt. | |
Auf eine Anfrage dieser Zeitung zum Nachlass von August Sander wollte der | |
Galerist nicht antworten, weil Journalisten seine Worte falsch | |
wiedergegeben hätten. Man arbeite an einer gemeinsamen Presseerklärung, auf | |
welche anfragende Pressevertreter nun bitte warten sollen. | |
Wenn es aber gar keinen Nachlass gibt oder der Nachlass in Köln liegt, was | |
wird dann überhaupt zum Verkauf angeboten? Gabriele Conrath-Scholl sagt, | |
dass im Kaufvertrag über den Nachlass die Produktion von Neuabzügen | |
vereinbart worden sei. | |
Zwischen 1992 und 1999 entstanden in der SK Stiftung Modern Prints, an | |
denen neben Susanne Lange und Gabriele Conrath-Scholl vom Haus auch Gerd | |
Sander mitwirkte. Genau genommen ist von einer Neuinterpretation zu | |
sprechen, da der Künstler selber nicht an der Herstellung beteiligt war. | |
Über den Umfang der Abzüge ist jedenfalls auch von der Stiftung nichts zu | |
erfahren. | |
Sicher ist jedoch, dass aus diesem Bestand jene 619 Bilder des berühmten | |
und vielfach publizierten Mappenwerks „Menschen des 20. Jahrhunderts“ | |
stammen, die das New Yorker Museum of Modern Art 2015 kaufte. Um die | |
Neuerwerbung gebührend zu würdigen und dem Forschungsauftrag des Hauses | |
nachzukommen, startete das MoMA das auf fünf Jahre angelegte „The August | |
Sander Project“. Führende Kunsthistoriker, Kuratoren, Künstler und | |
Wissenschaftler nähern sich dem Werk, indem sie sich jeweils einer anderen | |
der sieben Mappen widmen. | |
Darunter war 2016 auch die Bildgruppe „Menschen, die an meine Tür kamen“, | |
deren Existenz erst durch die Forschung der SK Stiftung bekannt wurde. | |
Eingeladen wurden die Kölner Wissenschaftlerinnen übrigens nicht. Hingegen | |
wird die zuvor vom MoMA quasi geadelte Mappe nun in der aktuellen | |
Ausstellung „Serialities“ bei Hauser & Wirth zum Verkauf angeboten. Auf die | |
Frage, ob die Galerie am Museumsprojekt beteiligt sei, erhielt unsere | |
Zeitung ebenfalls keine Antwort. | |
## Die Stiftung in Köln erfuhr nur aus zweiter Hand davon | |
Von all den Ereignissen erfuhr die SK Stiftung nur aus zweiter Hand. Weder | |
wurde vorab das Gespräch mit den Kölnern gesucht, noch fand deren | |
wissenschaftliche Vorarbeit Erwähnung. Seit 1992 organisierte die Stiftung | |
an die 100 Ausstellungen zum Werk von August Sander und veröffentlichte | |
zahlreiche Publikationen. | |
Es ist unbestritten, dass eine Galerie wie Hauser & Wirth finanziell andere | |
Möglichkeiten besitzt als die kleine Kölner Stiftung. Der SK Stiftung | |
jedoch vorzuwerfen, sie habe das Œuvre August Sanders nicht angemessen | |
vertreten, entbehrt jeder Grundlage. Es ist einfach unfair. Bereits 2015 | |
gründeten Gerd und Julian Sander die August Sander Stiftung, die nahezu die | |
gleichen Ziele wie das von der SK Stiftung betreute August Sander Archiv | |
verfolgt. Verständlich, dass die Kölner Mitarbeiter verschnupft sind. Nun | |
liegt die Nachlassgeschichte bei den Anwälten. | |
28 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Markus Weckesser | |
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