# taz.de -- heute in Bremen: „Ohne jeden Zwang“ | |
> Literatur Thomas Böhm stellt den britischen Trend „Shared Reading“ vor | |
taz: Herr Böhm, Lesekreise gibt es schon lange, was ist das Neue am „Shared | |
Reading“? | |
Thomas Böhm: Bei Lesekreisen lesen die Teilnehmenden die Bücher vor den | |
Treffen, dann findet ein Meinungsaustausch statt. Beim Shared Reading | |
dagegen werden die Texte gemeinsam und unmittelbar entdeckt. Da sie niemand | |
vorher kennt, werden Texte laut gelesen und spontan Gedanken dazu | |
ausgetauscht. Alles, was passiert, entsteht vollkommen frei und aus dem | |
Moment heraus. | |
Muss denn jeder vorlesen? | |
Nein. Die Treffen sind offen und gänzlich ohne jeden Zwang. Wer nicht lesen | |
mag, muss das auch nicht tun. Nur zuzuhören, ist auch bereichernd. | |
Das klingt ein wenig wie, wenn Eltern ihren Kindern vorlesen. | |
Shared Reading kann tatsächlich an Erfahrungen aus der Kindheit erinnern. | |
Literatur teilt uns etwas über das Leben mit. Etwas Schönes oder Spannendes | |
über Literatur zu erleben, funktioniert aber in jedem Alter. | |
Was wird beim Shared Reading gelesen? | |
In England, wo die Idee herkommt, spricht man von great literature. Ich | |
würde das als bedeutungsvolle Literatur übersetzen. Die gelesenen Autoren | |
können, aber müssen nicht bekannt sein. Ein sogenannter Facilitator wählt | |
Texte aus, die etwas über das Leben und das menschliche Miteinander | |
aussagen. In einer klassischen Session lesen und besprechen wir eine | |
Kurzgeschichte und ein Gedicht. | |
Die Teilnehmer diskutieren also über die Fragen des Lebens? | |
Genau. Niemand muss etwas von sich preisgeben, aber der Gedankenaustausch | |
kann unglaublich wohltuend sein. Ich nenne das gerne nicht-therapeutische | |
Therapie. Häufig kommen Menschen zu den Sitzungen, die zwar Probleme haben, | |
diese aber nicht mit einem Therapeuten besprechen wollen. Beim Lesen der | |
Texte merken sie dann häufig, dass das Thema eines Textes sie betrifft. Das | |
Reden darüber tut ihnen sehr gut. Beim Shared Reading wird ihnen zugehört | |
und vielleicht stellen sie sogar fest, dass es anderen Teilnehmenden | |
ähnlich geht. Plötzlich sind sie nicht mehr allein mit ihren Problemen. | |
Interview Vanessa Reiber | |
Was ist Shared Reading – Ein Gesprächsabend rund um das neue Leseformat: 20 | |
Uhr, Zentralbibliothek, Am Wall 201 | |
28 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Vanessa Reiber | |
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