# taz.de -- Wohnungsbau? Igitt! | |
> Stadtplanung Berlins Wohnungspolitik schützt vor allem die günstig | |
> Untergebrachten. Wer nicht dazu gehört, hat Pech.Ein Gastbeitrag von | |
> Roland Stimpel vom „Deutschen Architektenblatt“ zur Debatte um den | |
> Wohnungsbau in der Stadt | |
Bild: Platz da für die Gretchenfrage: Bauen oder nicht bauen? Eine Brache mit … | |
Von Roland Stimpel | |
Andrej Holm hat neulich im Freitag eine ganze Seite zur Berliner | |
Wohnungspolitik schreiben dürfen. Am bemerkenswertesten an dem langen Text | |
ist, was nicht drin steht: Holm hat kein einziges Wort darüber verloren, | |
dass am Ende dieses Jahrzehnts in Berlin eine halbe Million Menschen mehr | |
leben werden und wohnen wollen als am Anfang. Das sind so viele, als wenn | |
mal eben ganz Bremen, Leipzig oder Nürnberg herzöge. Und das hört im Jahr | |
2020 nach allen Prognosen noch lange nicht auf. | |
Die Wohnungsknappheit trifft auch viele Ansässige, die umziehen wollen oder | |
müssen. Sollen sie und die Zuzügler anständig unterkommen, dann hilft nur | |
Neubau. Und zwar viel mehr als die momentan etwa 10.000 Wohnungen, die pro | |
Jahr fertig werden. Wir brauchen Neubau in der Dimension eines dichten, | |
sehr urbanen Bremen oder Nürnberg. | |
Theoretisch gibt es zwei Alternativen: Entweder wir rücken enger zusammen. | |
Freiwillig tun wir das allerdings nicht, sonst hätten Syrer nie in die | |
Turnhallen gemusst. Unfreiwilliges Zusammenrücken mögen wir auch nicht so, | |
etwa die Zuweisung von Syrern oder Stuttgartern durchs Wohnungsamt. Die | |
zweite Alternative: Wir lassen die Leute nicht rein. Aber wer das ernsthaft | |
wollte, der müsste Michael Müller durch einen märkischen Donald Trump | |
ersetzen, der eine Mauer baut (diesmal um die ganze Stadt) und jeden | |
abweist, der zu bleiben droht. | |
Nicht nur Andrej Holm, sondern auch der weiterhin von ihm inspirierte Senat | |
und wohnungspolitisch Bewegte wie die Initiative Mietenvolksentscheid haben | |
aber eine andere Priorität als das Bauen von Wohnungen: Sie wollen vor | |
allem die Mieten derer dämpfen, die schon da sind und nicht umziehen. Die | |
aber wohnen nach wie vor oft nicht teuer: 2015 zahlten Berliner Haushalte | |
laut Mietspiegel im Mittel 5,84 Euro pro Quadratmeter. | |
Natürlich muss man dafür sorgen, dass das sozialverträgliche Niveau für die | |
Ärmeren erhalten bleibt. Aber in Berlin sollen und wollen es alle billig | |
haben, ob sie von Hartz IV leben oder vom Hochschulgehalt. Und sie wollen | |
vom Andrang der anderen verschont bleiben. Die in der Stadt vorherrschende | |
Haltung zum Neubau heißt: Ich wohne schon, und das muss reichen. Wichtig | |
ist, dass mir die 6-Euro-Miete bleibt. Was interessieren mich die, die eine | |
Wohnung suchen und sich um das spärliche Angebote schlagen müssen, für das | |
im Mittel mehr als 9 Euro verlangt wird? (Die Mietpreisbremse ist Theorie – | |
wirksam würde sie nur mit einer Wohnpolizei von stalinistischer Qualität.) | |
## Wehe, es wird konkret | |
Von Neubau insgesamt und allgemein reden zwar Koalitionsvertrag und | |
Bausenatorin Katrin Lompscher auch viel. Aber wehe, es wird konkret. Dann | |
stellen sich Vertreter der 6-Euro-Fraktion aufs Bauland und blockieren es. | |
Symbolischer Gründungsakt dieser Art Wohnungspolitik war der Volksentscheid | |
ums Tempelhofer Feld vor drei Jahren. Im Lichte jüngerer Ereignisse gibt es | |
ein passendes Wort dafür: Es war unser Texit. Geplant waren in Tempelhof | |
4.000 Wohnungen städtischer und genossenschaftlicher Unternehmen, aber wie | |
2016 in Großbritannien wirkte eine stark postfaktische Kampagne. Von | |
drohender Totalbebauung war die Rede, vom Raub des Areals durch | |
Spekulanten, von einem bald ruinierten Stadtklima und sogar davon, dass wir | |
doch eigentlich gar keine neuen Wohnungen bräuchten. | |
So etwas wirkt nur, wenn der mentale Boden schon bereitet ist. In England | |
wie in Berlin war und ist das der weit verbreitete Wunsch, auf der | |
heimatlichen Insel den Lauf der Welt anzuhalten – ein Wunsch, der ja nicht | |
auf politisch rechts Stehende beschränkt ist. Berlin soll wenigstens auf | |
den vier Quadratkilometern bis auf Weiteres nicht zur normalen europäischen | |
Metropole werden mit viel Zuzug, neuen Jobs, Enge und neuen Häusern. All | |
das bleibt wenigstens dem Feld erspart, und Texit wie Brexit halten die | |
Illusion am Leben: Stillstand ist möglich, man muss ihn nur wollen. | |
Der Koalitionsvertrag von R2G weitet das Texit-Prinzip auf die Gesamtstadt | |
aus. In den Verhandlungen starb auf Drängen von Grünen und Linken wiederum | |
das aktuell größte Projekt für landeseigenen Sozial-Neubau, die | |
Elisabethaue in Pankow. Hier waren auf öffentlichem Land 5.000 Wohnungen | |
vorgesehen. Und während es in Tempelhof noch hieß, wir müssen gerade eine | |
so zentrale Fläche freihalten, begründet Lompscher den Stopp in Pankow mit | |
dem Gegenteil: Es gebe da keine U- oder S-Bahn; „die Elisabethaue läge | |
dazwischen in der Landschaft“. | |
Zwar stehen im Koalitionsvertrag elf größere Wohnbaugebiete. Aber vor allem | |
steht dort ganz viel, das dort und anderswo die Welt so starr halten soll | |
wie in Tempelhof. Erstens kann jetzt jedes Bezirks-Bürgerbegehren ein | |
Projekt stoppen, was bisher bei „gesamtstädtischem Interesse“ nicht ging. | |
Zweitens ist alles Mögliche separat geschützt. „Kleingärten werden | |
dauerhaft gesichert“, Luftschneisen, Pflanzen und Tiere natürlich auch. Der | |
Denkmalschutz ist vom Bau- zum Kultursenat gewandert, der bei Konflikten | |
mit Bauplänen nichts abwägen muss. Nicht nur östlich vom Alex droht | |
Komplett-Baustopp. | |
## In engen Fesseln | |
Die engsten Fesseln legt die Koalition ausgerechnet den sechs städtischen | |
Wohnungsbaugesellschaften an. Von ihnen verlangt der Koalitionsvertrag | |
„eine umfassende Beteiligung von Anwohner*innen bei Bauprojekten“. Im | |
Klartext: Wer bei der Stadt sicher und sozial untergebracht ist, der darf | |
seinen Blick auf Parkplatz und Wiese schützen. In diesem Sinn rüffelte | |
Katrin Lompscher in ihrer ersten öffentlichen Handlung als Senatorin das | |
städtische Unternehmen WBM. Denn das trieb sozial gedachte Neubauprojekte | |
in Friedrichshain gar zu stürmisch voran, was dort potenziellen | |
Lompscher-Wählern gar nicht passte. Demontiert ist auch das städtische | |
Projekt Fischerinsel. Parallel wird die Michelangelostraße kleingekocht: | |
2.700 Wohnungen waren dort mal geplant, momentan sind es noch 1.500, und | |
auch davon werden die beiden Bürgerinitiativen aus der Nachbarschaft noch | |
einiges tilgen. | |
Opfer sind, wie bei jedem Stillstand, vor allem die Ärmeren: Kommen sie neu | |
in die Stadt, finden sie vielleicht noch zu fünft eine Marzahner oder | |
Reinickendorfer Zweiraumwohnung, oder wir legen sie im Flüchtlingslager ab. | |
Ärmere, die schon hier leben, können den Umzug in eine passende Familien- | |
oder Rentnerwohnung vergessen. | |
Mehr Chancen haben die Neu-Berliner und Umzugswilligen mit mehr Geld. Sie | |
nehmen entweder bestehende Wohnungen, die dann für Ärmere noch knapper | |
sind. Aber auch der Mittelschicht-Markt in der inneren Stadt ist leer. | |
Viele andere gehen darum an den Rand oder darüber hinaus. | |
Es wird ja durchaus gebaut – im „Auenflügel“ oder in Potsdam-Golm „Am | |
großen Herzberg“ entstehen Reihenhäuser en masse. Da ziehen auch viele | |
Mittelschichtler hin, die eigentlich lieber weiter drinnen wohnen wollen. | |
Da draußen wird Landschaft zugebaut, es werden Jägerzäune gezogen, und um | |
in die Stadt zu kommen, steigt man in die volle Regionalbahn oder ins Auto | |
– obwohl man viel lieber in der Stadt radfahren würde. | |
Unstädtisch, unökologisch und sozial egal – so sieht der Wohnungsbau aus, | |
den wir mit unserer Texit-Blockade befördern. | |
24 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Roland Stimpel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |