# taz.de -- Fixer in der Südosttürkei: Die Frau hinter den Nachrichten | |
> Ohne sie käme die Presse nicht weit. Fixer vermitteln, vernetzen und | |
> übersetzen in Krisengebieten, oft auch unter Lebensgefahr. | |
Bild: Proteste in Diyarbakır, Ende 2015 | |
Es ist ein klarer Wintersonntag, als ich mich im Dezember 2015 aufmache, um | |
Seray in ihrer Wohnung in Diyarbakır zu treffen. Die Stadt im Südosten der | |
Türkei gilt als inoffizielle Hauptstadt der KurdInnen. Während wir | |
miteinander sprechen, beginnt es zu dämmern. Mit der Dunkelheit verändert | |
sich auch die Geräuschkulisse: Es wird wieder geschossen. | |
Wir hören Bombenexplosionen und Kämpfe, die innerhalb Surs, der | |
historischen Altstadt von Diyarbakır, ausgetragen werden. Kämpfe zwischen | |
der YDG-H (später umbenannt in YPS-Sur, Anm.d.Red.), einer Gruppe junger | |
KämpferInnen, die der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei | |
PKK nahestehen, und dem türkischen Militär. Seit Juli 2015 ist der | |
Friedensprozess zwischen ihnen beendet. | |
Seray wirkt angespannt und zugleich erschöpft. Ihr Telefon vibriert ohne | |
Unterlass, Nachrichten gehen ein, aus Paris ruft ein Journalist an, um zu | |
fragen, ob es ihr gut gehe und sie sicher sei. | |
## Jeder ist traumatisiert | |
Die Wohnung der 30-Jährigen ist nur einen Steinwurf von der alten | |
Stadtmauer entfernt, die Sur vom restlichen Teil Diyarbakırs abgrenzt. „Die | |
YDG-H sind die wütenden Kinder dieser Gesellschaft. Diese Generation ist | |
sehr radikal, jeder ist traumatisiert,“ sagt Seray. | |
Spricht man mit den Menschen in Diyarbakır, so beklagt jeder den Verlust | |
von Familienangehörigen durch den andauernden Konflikt. „Diese jungen | |
Menschen haben nichts mehr zu verlieren. Wenn die Politik nicht endlich | |
eine friedliche Lösung mit den Kurden findet, dann wird das schlimme Folgen | |
für das ganze Land haben.“ | |
Wieder hört man eine Explosion verhallen. | |
„Wir sind zu Experten für diese Geräusche geworden“, berichtet sie, währ… | |
wir weiter den Tönen lauschen, die durch das Fenster eindringen. Und | |
wieder, ein Knallen. „Das ist ein Geschoss“, erklärt Seray. Wenig später | |
unterbricht sie nach einem knatternden Geräusch unser Gespräch mit der | |
Bemerkung: „So hört sich ein Maschinengewehr an.“ | |
## Tränengaswolken, Panzer, rennende Menschen | |
Seray arbeitet als Fixerin für die ausländische Presse. Fixer sind | |
Menschen, die sich in einer Region hervorragend auskennen, gut vernetzt | |
sind und englisch sprechen. JournalistInnen kontaktieren Seray, damit sie | |
mit ihrer Hilfe passende GesprächspartnerInnen für ihre Geschichten finden. | |
Sie übersetzt, stellt Kontakte her und verhandelt. | |
Eigentlich heißt Seray anders. Ihr Name ist geändert, denn obwohl sie in | |
ihrer Arbeit noch nie etwas getan hat, für das sie in der Türkei nach | |
geltendem Recht bestraft werden könnte, ist sie gefährdet. Sie arbeitet | |
freiberuflich und hat weder eine Medienagentur noch eine Redaktion im | |
Rücken. Große Agenturen, Magazine und Zeitungen aus aller Welt wenden sich | |
an sie, seit mittlerweile 17 Jahren ist dies ihr Beruf. | |
Wir schauen uns ihre Fotos an, die sie in den letzten Jahren während ihrer | |
Arbeit gemacht hat. „Eigentlich könnte ich schon für den Besitz dieser | |
Fotos verhaftet werden“ sagt sie. Dabei zeigen die Bilder nichts | |
Verbotenes. Sie zeigen den Alltag ihrer Arbeit: Tränengaswolken, Panzer und | |
rennende Menschen, die mit ihrem Hab und Gut aus Sur fliehen. | |
Kurdische JournalistInnen, die über die Geschehnisse in Sur berichten | |
wollen, werden verjagt oder verhaftet. Es ist kaum möglich, sich ein Bild | |
der Lage vor Ort zu machen. So kommt es vor, dass die Leichname | |
erschossener Menschen tagelang auf der Straße liegen. Familien, die | |
versuchen, die Körper ihrer Angehörigen fortzubringen, droht beim Verlassen | |
des Hauses der Tod durch eine Kugel. | |
## Diyarbakır ist nicht Paris | |
Auf die Frage, wie sie unter diesen Umständen überhaupt arbeiten könne, | |
antwortet Seray trocken: „Wenigstens habe ich bisher keine Erkältung gehabt | |
– dem Tränengas sei dank“. Oftmals schätzen die JournalistInnen, die aus | |
dem Ausland kommen, die Lage vor Ort nicht richtig ein. „Sie kommen mit | |
einer Einstellung hierher, als seien sie in Paris und fotografierten dort | |
Polizisten.“ Schon oft hätte dieses Thema zur Debatte gestanden. | |
Manche JournalistInnen sagten ihr, dass sie so arbeiten, wie sie es für | |
richtig hielten, schließlich gäbe es Pressefreiheit. „Wirklich?“, fragt | |
Seray zurück, „das funktioniert hier nicht, mein Freund. Du kannst dich | |
nicht mit einem Polizisten anlegen und sagen: Ich bin ein Journalist, ich | |
bin frei und kann tun, was ich will. Im besten Fall wird er dir antworten, | |
dass du zu viele Hollywood-Filme gesehen hast. Im schlimmsten Fall wird er | |
dich einsperren.“ | |
Wir schauen weiter durch Serays Fotoarchiv, ein Bild taucht auf, dass einen | |
Polizisten mit Maschinengewehr in Sur zeigt. Sie schmunzelt. Vor ein paar | |
Jahren, als der Friedensprozess noch lief, sei sie mit ausländischen | |
Journalisten und Fotografen in einem Taxi in Sur unterwegs gewesen und | |
unerwartet von Polizisten angehalten und befragt worden. | |
Nachdem die Polizisten die Akkreditierungen durchgesehen hatten, wandte | |
sich einer der beiden Beamten an sie und versuchte Seray für die | |
Polizeiarbeit anzuwerben. Sicher gäbe es viele Möglichkeiten, dort | |
aufzusteigen, schließlich beherrsche sie die türkische, kurdische und | |
englische Sprache, so der Polizist. „Er war sehr verwundert, dass sein | |
Angebot erfolglos blieb“, erzählt sie grinsend. | |
## Reale Menschen und Ängste | |
Nun schauen wir uns Fotos aus dem Jahr 2014 an. Sie zeigen die Grenze | |
zwischen der Türkei und Syrien während der Kämpfe um Kobanê. Über einen | |
Monat war sie dort, um mit JournalistInnen ausländischer Zeitungen, Radio,- | |
und Fernsehstationen zu arbeiten. „Wir hatten große Sorge, dass der | |
Islamische Staat (IS) das gleiche Massaker in Kobanê anrichten würde, wie | |
zuvor mit den Jesiden in Sindschar im Shingal-Gebirge.“ | |
Während dieser Zeit habe sie viele Anfragen auch abgesagt, weil es | |
emotional zu intensiv für sie war: „Ständig kamen neue Menschen über die | |
Grenze, die vor dem IS geflüchtet waren.“ Seray, eine stolze und starke | |
Frau, spricht plötzlich über ihre Gefühle. | |
„Dieser Job ist schwierig, die Bilder, die ich sehe, sind keine | |
Fernsehbilder. Die Menschen und deren Ängste sind real, sie bleiben.“ Als | |
ungefähr ein Jahr später, Mitte 2015, die Kämpfe in Sur begannen, war sie | |
oft mit JournalistInnen in der abgesperrten Altstadt – immer dann, wenn die | |
Ausgangssperre für kurze Zeit unterbrochen wurde. „Es gibt keinen | |
Unterschied zwischen der Arbeit in Kobanê und der in Sur,“ sagt sie. Krieg | |
sei Krieg und das solle man nicht relativieren. Und dennoch sei es für sie | |
diesmal anders, weil es in ihrer Heimatstadt passiert. | |
„Wenn es dein eigenes Haus ist, in dem du geboren und aufgewachsen bist und | |
dein ganzes Leben sich dort abspielt, du die Menschen kennst, schmerzt es | |
sehr.“ In Sur leben viele Menschen, die in den neunziger Jahren vor dem | |
Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Militär von den Dörfern nach | |
Diyarbakır geflohen sind. | |
Nun wird ihre zweite Heimat erneut im selben Konflikt zerstört. An jeder | |
Ecke stehen schwerbewaffnete Sicherheitskräfte, die Lebhaftigkeit der | |
Straßen und Gässchen von Sur, die Seray so liebte, ist gänzlich erloschen. | |
Als ich Seray im Frühjahr wieder treffe, ist der bewaffnete Konflikt in Sur | |
seit ein paar Wochen beendet. Gemeinsam mit ihrem Sohn laufen wir durch | |
Ofis, ein belebtes Einkaufsviertel im Zentrum Diyarbakırs. Sie hofft zu | |
diesem Zeitpunkt wie so viele, dass die Friedensgespräche wieder | |
aufgenommen werden. „Dann wären wir wieder freier. JournalistInnen würden | |
nicht kommen, um über den Krieg zu berichten, sondern über die Schönheit | |
der Landschaft, der Berge und unsere Kultur.“ | |
10 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Ariana Dongus | |
## TAGS | |
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