# taz.de -- „Es ist nichts falsch an einem Cafè Latte“ | |
> Gespräch Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson hat zum 80. Geburtstag | |
> von Philipp Glass einige seiner Klavieretüden eingespielt. Am Dienstag | |
> ist er im Konzerthaus am Gendarmenmarkt zu Gast | |
Bild: Deutsche Grammophon | |
von Jan Feddersen und Burhan Yassin | |
Dass er ein international gefragter Pianist werden würde, war Víkingur | |
Ólafsson womöglich in die Wiege gespielt: Seine Eltern lebten und | |
studierten in diesem Bereich in Berlin – aber ihr Kind, 1984 in Reykjavík | |
geboren, wuchs in Island auf. Ebenso gut hätte er auch Fußballer werden und | |
wäre in Frankreich Teil des EM-Hypes um die „Wikinger-Fußballer“ werden | |
können. Ólafsson ist von schmaler Statur, zur Begrüßung geben wir uns die | |
Hände – die seinigen sind kalt. | |
taz: Herr Ólafsson, dieses kalte Wetter müssten Sie doch kennen, oder? | |
Víkingur Ólafsson: Ja, ich mag es aber nicht. Es ist mir wichtig, es | |
niemals kalt zu haben. | |
Was insbesondere für Ihre Hände gilt? | |
Aber ja, ich denke immer an meine Hände. Vor zehn Jahren bin ich die Treppe | |
in meinem Haus heruntergefallen. Und ich bin so (macht eine Geste, die den | |
Fall beschreibt) gefallen. Ich habe meine Hände in die Luft gehalten und | |
bin dann auf dem Rücken gelandet. Es ist natürlich für mich, meine Hände | |
eher nicht zu benutzen – außer beim Klavierspielen. | |
Und was ist für Sie die richtige Temperatur? | |
Das ist unterschiedlich. Es hängt von den Konzerten ab, vom Klima, den | |
Konzerthäusern und den Tagen. Manchmal gieße ich heißes Wasser über meine | |
Hände – nicht dreißig Minuten lang, wie es John Cage macht – eher für | |
vielleicht zwei Minuten. | |
Heißes Wasser? | |
Mit kalten Händen ist nicht gut spielen. Ich denke aber auch, wenn du zu | |
viel an deine Hände denkst, kannst du sie irgendwann nicht mehr benutzen. | |
Man muss da irgendwie eine Balance finden. | |
Gibt es für Sie Momente, in denen sich diese Balance partout nicht | |
einstellen will? | |
Klar. Wenn ich unruhig bin, wirkt sich das auf mein Klavierspiel aus. Es | |
geht ja darum, wie wir etwas hören und darauf reagieren. Wenn man da aus | |
dem Gleichgewicht gerät, sollte man nicht dem Piano die Schuld geben. Man | |
sollte es an solchen Tagen umso mehr lieben. Das Klavier kann dafür nichts, | |
es spielt sich meist im eigenen Kopf ab. | |
Sie spielen bald auch erstmals in der Hamburger Elbphilharmonie. Empfinden | |
Sie Vorfreude? | |
Ja, sehr. Ich habe gehört, dass der Klang fantastisch ist. Manche Kollegen | |
denken sogar, dass es zu gut ist. Zu klar, zu fokussiert. Andere sagen | |
jedoch, es sei genau richtig. Ich glaube, die Elbphilharmonie ist für | |
Hamburg wie die Harpa für Island. 2011 habe ich beim ersten Konzert dort | |
gespielt – ein fantastisches Haus. Damals hatte Island eine schwere | |
Bankenkrise, und das Haus wurde trotzdem gebaut. Es war sehr teuer. Aber | |
alle sind jetzt froh in Island, dass wir die Harpa haben. | |
Heute ist der 80. Geburtstag von Philip Glass. Was bedeutet Ihnen der | |
Komponist? | |
Sehr viel, sonst hätte ich mein neues Album nicht seinen Stücken gewidmet. | |
Ich schätze seine Musik über alles, er hat Musik zu unserer Zeit | |
komponiert, ist immer unterwegs, schreibt dauernd Musik. Er ist immer | |
neugierig, offen, großzügig. Vor allem deshalb ist er mein Vorbild. | |
Mögen Sie uns Ihre Faszination erklären? Als Glass begann, waren Sie ja | |
noch nicht geboren. | |
Glass hat in den siebziger Jahren die Musik neu erfinden. Das war mutig. | |
Heute ist es für uns leicht zu sagen: Minimalistische Musik ist schön. Aber | |
zu dieser Zeit gab es dem gegenüber riesige Widerstände. In der New Yorker | |
Carnegie Hall wollten sie mit der Musik von Glass nichts zu tun haben. | |
Manche sagen, Philip Glass wäre ein klassischer Bohemian-, Cafè-Latte-, | |
Cultural-Jetset-Musiker … | |
Es ist nichts Falsches an einem Cafè Latte! Ich trinke jetzt gerade einen. | |
Sagen wir so: Es ist okay, wenn Leute sagen: Ich verstehe die Idee von | |
Minimalismus nicht. | |
Warum sollten wir Minimalismus denn mögen? | |
Bei Kindern sieht man, dass sie Wiederholungen mögen. Minimalismus ist die | |
Essenz aller Musik. Glass hat alles Überladene zur Seite geschoben, das in | |
einem bestimmten Moment Unwichtige. Das ist seine Qualität, nichts anderes. | |
Warum ist diese Musik wertvoller als Fahrstuhlmusik oder Musik für | |
Flughafenlounges? | |
Würde Philip Glass in einem Fahrstuhl spielen, wäre das gute Musik in | |
Fahrstühlen. Ich würde es lieben! Ich denke, wenn es gut im Hintergrund | |
funktioniert, heißt es nicht, dass es keine gute Musik ist. Auch Mozart | |
oder Händel kann man im Hintergrund laufen lassen. Natürlich funktioniert | |
es besser im Vordergrund. Aber es ist keine heilige Musik. Ich denke, wenn | |
man Mozart im Fahrstuhl spielt, macht es das Leben der Menschen in jedem | |
Fall ein bisschen besser. | |
Ist es Ihr erstes Werk mit Kompositionen von Philip Glass? | |
Ja. Ich hab ihn vor drei Jahren in Göteborg kennengelernt. | |
Können Sie uns den Klang von Reykjavík erklären? Oder von Berlin und | |
Hamburg? | |
Ich habe mal in Manhattan gewohnt. Und Berlin ist für mich irgendwie ein | |
bisschen das New York von Europa. Die Stadt hat etwas von dieser Energie, | |
der Wärme, der Stimmung. Reykjavík im Vergleich ist eine sehr coole, hippe | |
Stadt. Aber so winzig. Das heißt nicht, dass der Spirit nicht groß wäre. Da | |
passieren viele interessante Dinge. Es ist ein wundervoller Ort. Für meine | |
Konzerte ist es jedoch einfach zu klein. Alle kennen sich, nirgendwo ist | |
man anonym. | |
Und Berlin? | |
Reykjavík ist eher für den Sommer und Berlin für den Winter. In Reykjavík | |
brauchst du im Auto überallhin nur fünf bis zehn Minuten. Und fühlst dich | |
trotzdem jedes Mal so, als wärst du in einem anderen Universum. Ich bin | |
aber wirklich „made in Berlin“. Meine Eltern sind, nur wenige Monate bevor | |
ich geboren wurde, nach Reykjavík zurückgegangen. In Berlin habe ich meine | |
Wurzeln. | |
Wo werden Sie in Hamburg zum Konzert Quartier nehmen? | |
Ich glaube, in dem Hotel, das in der Elbphilharmonie ist. Ich bin extrem | |
gespannt: ein neuer Ort in meiner Welt. | |
Welche isländische Musik hören Sie? | |
Wenn man in Island aufwächst, hat jeder diese Phase, in der er Björk hört. | |
Aber im Moment höre ich einen elektrisch-basierten Gitarrenspieler. Das | |
Erfolgsrezept ist aber, das gilt auch für mich: einerseits Mozart zu | |
spielen und andernorts ein experimentelles Konzert zu spielen. Oder Heavy | |
Metal. | |
Folk? | |
Ist mir eher nicht so wichtig. Ich mag Folk, aber ich bin kein Enthusiast. | |
Andererseits ist Folk vielleicht auch besonders wichtig, denn wir haben | |
nicht diese Musikgeschichte, die ihr hier habt. Wir haben nur diese Songs, | |
und die sind auch manchmal echt seltsam. Nicht alle, aber manche. | |
16 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
Burhan Yassin | |
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