# taz.de -- „Gute Betreuung ist kaum möglich“ | |
> Strafvollzug Thomas Galli, früher Leiter zweier JVAs, über den Suizid von | |
> Jaber al-Bakr, die Mangelwirtschaft in Gefängnissen und darüber, dass | |
> nicht jeder Verbrecher hinter Gitter gehört | |
Vor drei Monaten hat sich der syrische Terrorverdächtige Jaber al-Bakr in | |
der Leipziger Justizvollzugsanstalt erhängt. Wie es dazu kommen konnte, hat | |
eine unabhängige Kommission untersucht und am Dienstag ihren | |
Abschlussbericht vorgelegt. | |
taz: Herr Galli, wie haben Sie als ehemaliger JVA-Leiter den Fall al-Bakr | |
wahrgenommen? | |
Thomas Galli: Anfangs ist oft die Frage aufgetaucht, ob der schlechte | |
Umgang mit dem Fall typisch sächsisch ist – was auch immer das sein soll. | |
Ich denke, es hätte wirklich überall passieren können. Die Selbstmordrate | |
von Gefangenen ist sehr hoch, gerade in Untersuchungshaft: da ist sie 30 | |
Mal höher als in der Durchschnittsbevölkerung. In der Außenwahrnehmung ist | |
der Fall al-Bakr natürlich ein besonderer, aber für Insider fast schon | |
Normalität. | |
Wie geht man überhaupt mit selbstmordgefährdeten Menschen in Haft um? | |
Das ist abhängig vom jeweiligen Bundesland. Ich war lange im bayerischen | |
Vollzug tätig, in der JVA Straubing. Dort gibt es „Gummizellen“. Da ist | |
nichts drin, woran man sich irgendwie verletzen kann. Der Häftling kriegt | |
nur eine Papierunterhose und wird durchgehend kameraüberwacht. Außerdem | |
bekommt er so ein Gummiteil auf den Kopf gestülpt, damit er seinen Kopf | |
nicht gegen die Wand schlagen kann. Aber das ist eine unmenschliche Art der | |
Unterbringung, das ist Psychofolter. In Sachsen hingegen gibt es rechtlich | |
nicht einmal die Möglichkeit zur Videoüberwachung. | |
Hat denn die Justizvollzugsanstalt Leipzig beim Fall al-Bakr Ihrer Meinung | |
nach Fehler gemacht? | |
Klar sagt man da als Außenstehender: Das ist ein potenzieller | |
Selbstmordattentäter, da könnte Selbstmordgefahr bestehen. Aber sie haben | |
ihn auch daraufhin untersucht. Er wurde bereits halbstündig überwacht. Die | |
einzige Möglichkeit wäre die 24-Stunden-Bewachung gewesen, aber wie lang? | |
Das kann man eine Woche machen, zwei Wochen. Aber sein Verfahren hätte ja | |
Monate gedauert. | |
Sein Fall hat das erste Mal öffentlich die Frage aufgeworfen: Wie soll man | |
mit islamistischen Terrorverdächtigen oder potenziellen | |
Selbstmordattentätern in Haft umgehen? | |
Ich fände es wichtig, dass man zumindest in jedem Bundesland Anstalten mit | |
durchgehend besetztem Dolmetscherdienst hat, sodass innerhalb von ein bis | |
drei Stunden immer ein Dolmetscher zur Verfügung steht. Das war ja bei | |
al-Bakr anscheinend nicht gegeben. | |
Was sagen Sie zu den Vorwürfen, Sachsens Justiz leide an Personal- und | |
Platzmangel? | |
Das ist überall so. In Bayern habe ich das genauso beobachtet. Und auch | |
Kollegen aus anderen Bundesländern haben in den 15 Jahren, die ich im | |
Justizvollzug tätig war, von Ähnlichem berichtet. Nachts und abends ist oft | |
nur ein Bediensteter für ein paar Hundert Gefangene zuständig. Da ist gute | |
Betreuung kaum möglich. | |
Sie haben das Konzept von Gefängnissen schon oft kritisiert. | |
Gefängnisse wurden geschaffen, um eine möglichst große Menge an Menschen | |
möglichst kostengünstig zu verwalten. Warum sonst sollte man viele | |
Straftäter auf engstem Raum zusammen einsperren? Natürlich hat sich da viel | |
getan in den letzten Jahrzehnten, aber das Wesen dieser Einrichtungen | |
bleibt gleich. An Einzelfällen wie al-Bakr merkt man, wozu dieses | |
strukturelle Problem führen kann. Ich bin ja auch der Meinung, dass | |
Terroristen und andere Schwerstkriminelle in Gefängnisse gehören. Aber eben | |
längst nicht alle Kriminellen. | |
Im Januar gab es wieder einen Suizid in der JVA Leipzig. | |
Von jemandem wie ihm geht für die Allgemeinheit keine Gefahr für Leib und | |
Leben aus. Der Mann saß wegen Unterschlagungs- und Drogendelikten in | |
U-Haft. Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, sein Verfahren auch außerhalb | |
einer Zelle zu sichern – mit Fußfesseln etwa. Die meisten Suizide, die ich | |
miterlebt habe, waren solche: junge Männer aus dem Suchtmilieu, Leute mit | |
psychischen Problemen – keine Massenmörder. Und zumindest diese Leute | |
gehören einfach nicht in Haft. | |
interviewSarah Emminghaus | |
27 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Sarah Emminghaus | |
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