# taz.de -- Berliner Szenen: Im Kino | |
> Der fremde Mann | |
Zehn nach fünf betreten wir das Filmtheater am Friedrichshain. Sie zeigen | |
bereits Werbung. Der Saal ist erstaunlich gut gefüllt für diese Uhrzeit. | |
Die besten Sitze, in der Mitte und weiter hinten, sind belegt. | |
Offensichtlich sind wir nicht allein auf die Idee gekommen, unsere Kinder | |
bei den Großeltern zu parken. Wir hätten früher kommen sollen. So finden | |
wir nur noch was in Reihe neun, zwei bzw. drei Plätze vom Gang entfernt. | |
Immerhin: Wenn es brennen sollte, sind wir schnell raus. | |
Ich lasse Melanie innen sitzen, damit sie den Kopf nicht so stark drehen | |
muss. Sie nimmt natürlich nicht Notiz davon, weil sie es gewohnt ist, dass | |
ich mich wie ein richtiger Gentleman verhalte und ich sie damit nicht mehr | |
überraschen kann. Als die Trailer anfangen zu laufen, lässt sich eine alte | |
Dame rechts von mir in den Sessel fallen und versperrt uns den Fluchtweg. | |
Da hatte jemand noch mehr die Ruhe weg als wir. Sie ist nicht allein. Eine | |
Minute später erscheint eine Frau, die ihre Tochter sein könnte. Sie setzt | |
sich auf den letzten freien Kinosessel unserer Reihe, den am Gang. | |
„Du kannst ruhig innen sitzen, Eva.“ Eva ist die Tochter. „Nein, lass! Ist | |
schon gut.“ – „Aber hier siehst du besser.“ – „Ich sitze nicht gern… | |
fremden Männern.“ | |
Der fremde Mann bin ich. „Die sind mir unangenehm“, fährt Eva fort. | |
„Das verstehe ich“, pflichtet ihr die Mutter bei. Diese Äußerung finde ich | |
absurd. Sich hinfläzen, ohne zu fragen, ob der Platz frei ist; meinen Arm | |
von der Lehne zwischen unseren Sitzen schieben; laut im Kino diskutieren. | |
Und dann bin ich der unangenehme fremde Mann. Ich schaue zu Melanie und | |
murre: „Fremde Frauen empfinden mich als unangenehm.“ „Nicht nur die“, | |
antwortet sie und lacht. Dann gibt sie mir einen Kuss und nimmt meine Hand. | |
Stephan Serin | |
6 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Stephan Serin | |
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