| # taz.de -- meinland Der Blick von außen: Über Unterschiede und Gemeinsamkeit… | |
| Bild: Deutschland und die Schweiz sind sich eigentlich ziemlich ähnlich. Oder … | |
| von Gina Bucher | |
| Theoretisch bin ich so fremd, wie die vielen anderen Zuzügler auch: Ich bin | |
| Nicht-EU-Ausländerin, spreche eine andere Sprache und kenne eine andere | |
| Währung. Viele Dinge sind mir in Deutschland fremd: die Art Schlange zu | |
| stehen, einjährige Elternzeit, der Umgang mit Behörden, die sportliche Art | |
| zu debattieren, Pfandflaschensammelnde, das „ß“. Manche Differenzen mag | |
| ich, andere nicht. | |
| Heimat bedeutet für mich, dass mir solche Unterschiede nicht mehr sofort | |
| ins Auge stechen. Und dass die Türen sich öffnen, im metaphorischen Sinn, | |
| ohne dass zuerst gefragt wird, woher ich denn eigentlich komme. Nun kann | |
| ich leicht reden, denn mir sieht man das Fremdsein nicht sofort an – als | |
| Schweizerin in Deutschland. Allenfalls hört man es: Meistens wird lediglich | |
| nachgefragt, warum ich das „R“ anders rolle. Im schlimmsten Fall wird mein | |
| Geburtsland als niedlich bezeichnet und meine Landsgenossen als | |
| „diplomatisch“. | |
| ## Eine neue Art Heimat | |
| Ich wünschte, das erginge allen so: Dass man sich die Welt ansehen kann und | |
| offen und herzlich aufgenommen wird. Offene Gesellschaft, das ist für mich | |
| ein Hintergrundgeräusch, mit dem ich sehr selbstverständlich aufgewachsen | |
| bin und das ich kaum je hinterfragt hatte. Wer wie ich in den neunziger | |
| Jahren groß geworden ist (und – ein Hohn, dass daraus eine Klammerbemerkung | |
| wird: außerdem im begüterten Teil der Erde), hat eine plüschige Welt | |
| kennengelernt, in der vieles möglich ist. Weil man – Erasmus sei dank – | |
| hier ein Semester studiert hat, obwohl man dort aufgewachsen ist, mit | |
| Interrail leicht ans Meer gefunden hat und mit Easyjet nach Kopenhagen. | |
| Wir haben vieles ausprobiert und zuerst mal für gut gefunden, was uns die | |
| Globalisierung auf dem Silbertablett serviert hat. So ist auch für viele | |
| eine neue Art von Heimat entstanden, die nicht mehr so sehr an geografische | |
| Grenzen gebunden ist und einen auch leicht in Sphären bringen kann, in | |
| denen man sich nicht mehr verantwortlich fühlt für den Kieztreff. | |
| Wenn ich jetzt in den Besprechungen zu taz.meinland sitze, dann fühle ich | |
| mich davon genauso betroffen, auch wenn das eigentlich euerland ist und mir | |
| immer wieder mal etwas fremd vorkommt. In den vielen Jahren, in denen ich | |
| zwischen hier und dort gependelt bin, ist mir das Hier genauso Heimat | |
| geworden wie das Dort. Vieles das hier passiert, geschieht auch in meinem | |
| ursprünglichen Heimatland – meistens etwas abgeschwächter und meistens | |
| zeitlich etwas verzögert. Und nicht selten nimmt die Weltöffentlichkeit nur | |
| davon Notiz, wenn es sich medial ausschlachten lässt. Der verweigerte | |
| Händedruck zweier muslimischer Schüler mit ihrer Lehrerin etwa, die | |
| seltsame Ecopop-Initiative, das Minarettverbot. Oft werde ich im Ausland | |
| ausgerechnet dann gefragt, was ich als Schweizerin von der direkten | |
| Demokratie halte – mit leicht spöttischem Unterton. Entsprechend oft werde | |
| ich aber in letzter Zeit auch in der Schweiz zu hier befragt: wie | |
| Deutschland die Flüchtlingspolitik stemmt, wie die Umfragewerte zu Merkels | |
| Politik seien, ob es im Osten Deutschlands wirklich so dunkel sei? So | |
| unterschiedlich die Länder im geografischen Europa sind: Es ist | |
| entscheidend, was in diesem Jahr in Deutschland passiert. | |
| Gina Bucher, 38, ist taz.lab-Programmchefin und Autorin. Sie lebt und | |
| arbeitet in Zürich | |
| 14 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Gina Bucher | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |