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# taz.de -- Berliner Szenen: Familienarbeit
> Ein guter Diener
Am Morgen weckt mein Sohn uns mit der Gitarre, die noch drei Saiten hat und
die er Geige nennt.
Das Wochenende ist immer viel anstrengender als der Rest der Woche, seit
ich Familie habe. Abends reicht es höchstens noch für eine halbe Folge „Das
Haus am Eaton Place“, dann gehen wir schlafen.
Wir haben die vierte Staffel übersprungen, weil sie im Ersten Weltkrieg
spielt und uns das zu düster war. In der fünften und letzten Staffel haben
die Dienstboten nicht mehr genug zu tun und sollen deswegen entlassen
werden. Sie bieten daraufhin an, für das halbe Geld zu arbeiten. Wir würden
sie sehr vermissen. Es sind richtige Fachkräfte. Der Butler sagte einmal:
„Ein guter Diener hört nicht mal, wenn seine Herrschaften sprechen.“
Bei einer vergleichbaren Serie über unseren Haushalt würden die
Protagonisten meistens am Computer sitzen oder Spielzeug aufräumen. Ich
liege auf dem Sofa und lese meine alten DDR-Schulbücher, um meine Tochter
durchs Abitur zu bringen.
Bei Physik Klasse 9 wird es schwer, ich verstehe nicht, warum eine
Kreisbewegung eine beschleunigte Bewegung ist, obwohl die Geschwindigkeit
sich nicht ändert. Das wird einfach so behauptet. Aber jetzt, wo ich es
freiwillig tue, macht es mir Spaß, darüber nachzudenken.
Weil mein Sohn in einem Tierfilm gesehen hat, wie eine Schwalbe ihre Jungen
im Nest fütterte, rennt er immer in die Küche, holt eine Rosine und steckt
sie mir in den Mund.
Der Bewegungsdrang von Kindern ist mir ein Rätsel. Wir Eltern vermeiden
jede überflüssige Anstrengung, weil wir übermüdet oder erkältet sind.
Ich will nur auf dem Sofa liegen und mein altes Physikbuch lesen. Man darf
sich aber nicht täuschen lassen: Relativ zur Erde liege ich faul rum,
relativ zur Sonne bin ich ziemlich flink unterwegs. Jochen Schmidt
23 Jan 2017
## AUTOREN
Jochen Schmidt
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