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# taz.de -- Die Angst läuft mit
> LSBTI Auch hier in Berlin, der selbst ernannten Regenbogenhauptstadt,
> können sich queere Geflüchtete nicht immer sicher fühlen. Schutz vor
> Diskriminierung und Gewalt bietet eine von der Schwulenberatung
> betriebene Unterkunft für LSBTI-Flüchtlinge
Bild: Baris Sulu war in der Türkei Mitglied der oppositionellen Partei HDP und…
von Leonie Schlick
An einem Tag Ende November sitzt Baris Sulu, der aus der Türkei nach
Deutschland geflohen ist, in einem Neuköllner Café und zieht an seiner
Zigarette. Er ist 38 Jahre alt, sein Dreitagebart hat einen leichten
Graustich. In der Türkei ist er Mitglied der oppositionellen Partei HDP
gewesen und hat sich als Aktivist für die Rechte von lesbischen, schwulen,
bi-, trans- und intersexuellen Menschen (LSBTI) eingesetzt. Als Sulu sich
zunehmend bedroht fühlt, verlässt er vor knapp anderthalb Jahren seine
Heimat. In Deutschland stellt er einen Asylantrag, auf den Antwortbescheid
wartet er noch.
Sulu bezeichnet sich selbst als queer, ist in einer Beziehung mit einem
Transmann. „In Berlin fühle ich mich sehr sicher“, sagt er. Diese Aussage
ist für ihn keine Selbstverständlichkeit. Denn auch in der selbst ernannten
Regenbogenhauptstadt sind LSBTI-Angehörige immer wieder Diskriminierung und
Gewalt ausgesetzt. Betroffene Flüchtlinge haben zusätzlich mit Ablehnung
und auch Angriffen durch andere Flüchtlinge, Sicherheitspersonal oder
Sprachmittler zu kämpfen.
Baris Sulu kennt einige solcher Geschichten. Auch er und sein ebenfalls
geflüchteter Partner wurden in der Vergangenheit bei einem Ämterbesuch von
Mitgliedern der dort tätigen Security-Firma wegen ihrer sexuellen
Orientierung beleidigt, erzählt er.
Solche Pöbeleien sind nur eine von vielen Formen von Hasskriminalität gegen
LSBTI-Flüchtlinge. „Die Delikte umfassen alle Stufen von Beleidigung bis
Körperverletzung, sowohl in der Unterkunft als auch im öffentlichen
Straßenraum“, berichtet die Oberstaatsanwältin Ines Karl. Als Berlins erste
Ansprechpartnerin für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der
Staatsanwaltschaft ist sie auch für Hasskriminalität zuständig, die sich
gegen LSBTI-Flüchtlingen richtet. Auf Nachfrage zur Anzahl der Anzeigen
sagt sie: „Es gibt keine gesonderte Statistik, aber definitiv einzelne
Fälle.“
## Hass in der Notunterkunft
Das bestätigt auch der Lesben-und Schwulenverband Berlin-Brandenburg
(LSVD). „Wir haben allein zwischen August 2015 und Mai 2016 130
LSBTI-Flüchtlinge beraten, die Hasskriminalität erfahren haben“, sagt Jörg
Steinert, der Geschäftsführer des LSVD.
Ein Ort, an dem es häufig zu Übergriffen kommt, sind die
Aufnahmeeinrichtungen, ob Not- oder Gemeinschaftsunterkunft. Ines Karl
schildert den Fall einer Transfrau, die im April 2016 in einer
Notunterkunft angegriffen wurde. Mehrere heterosexuelle Männern schlugen
und schubsten sie, am Ende war ihr Arm gebrochen. Solche gewalttätigen
Übergriffe bleiben zwar die Ausnahme, trotzdem schüren sie Angst unter
LSBTI-Flüchtlingen. „Nicht alle haben Probleme, aber die meisten haben
Sorge, dass ihnen in den Unterkünften etwas passiert“, erklärt Stephan
Jäkel von der Schwulenberatung.
Darauf hat der Senat reagiert. Seit Februar 2016 gibt es eine Unterkunft
nur für LSBTI-Flüchtlinge, die von der Schwulenberatung betrieben wird.
Rund 120 Menschen finden hier Platz. „Die Unterkunft besteht aus 29
Wohneinheiten, die als WGs genutzt werden. Da haben wir dann WGs für
schwule und bisexuelle Männer, für Trans-Personen, für lesbische Frauen“,
erzählt Jäkel.
Auch Baris Sulu und sein Partner leben in dieser Unterkunft. „Wir erhalten
viel Hilfe durch die Schwulenberatung und andere LSBTI-Verbände“, sagt
Sulu. Trotzdem ist das Paar auf der Suche nach einer eigenen Wohnung. Denn
wie andere Gemeinschaftsunterkünfte auch, ist die LSBTI-Unterkunft nur als
temporäres Zuhause gedacht. „Im besten Fall ist das hier eine
Zwischenstation, gleichwohl wissen wir, dass nicht alle sofort eine Wohnung
finden werden“, erklärt Jäkel. Die Flüchtlinge dürfen also bleiben, bis s…
eine Wohnung gefunden haben.
Seit es die Unterkunft gibt, habe die Zahl der Übergriffe auf
LSBTI-Flüchtlinge abgenommen, erzählt Jörg Steinert vom LSVD. Gleichzeitig
komme es auch in anderen Situationen immer wieder zu Hasskriminalität,
beispielsweise bei Behördengängen. Hier gebe es vor allem in
Wartesituationen immer wieder Fälle, in denen insbesondere Transfrauen vom
Sicherheitspersonal angefeindet werden, berichtet Steinert. Auch
Sprachmittler, die bei Anhörungen übersetzen sollen, agierten mitunter
trans- oder homofeindlich. Das habe der LSVD bei Ämterbegleitungen durch
freiwillige Übersetzer des Verbandes entdeckt.
## Schwierige Amtsbesuche
Das erschreckende Resultat: In 19 von 34 Ämterbegleitungen, seien die
Freiwilligen Zeugen geworden, wie die Sprachmittler die Geflüchteten
beleidigten oder Daten unzureichend übermittelten. Auch die
Schwulenberatung hat davon gehört: „Es gibt Fälle, in denen die
Sprachmittler abwiegeln, ‚Ach, das musst du hier gar nicht erzählen, das
spielt keine Rolle‘, bis hin zu ‚Das übersetze ich nicht‘ oder den Fall,
dass Interviews abgebrochen werden“, erzählt Stephan Jäkel. Zudem gebe es
immer wieder Berichte von Flüchtlingen, dass auch die zuständigen Beamten
im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hinsichtlich der sexuellen
Orientierung oder Identität nicht immer rücksichtsvoll seien.
Dagegen können die Betroffenen beispielsweise mit Hilfe der
Schwulenberatung vorgehen: „Wir haben viel Vertrauen bei den meisten
BewohnerInnen, so dass sie uns davon berichten, und wir dann auch dagegen
vorgehen können, wenn es gewünscht wird. Entweder mit unserem Volljuristen
in der Verfahrensberatung, oder mit unserem
Antidiskriminierungsmitarbeiter“, erzählt Stephan Jäkel.
Anfeindungen erleben LSBTI-Flüchtlinge bisweilen auch bei
Integrationsmaßnahmen. „In Sprachkursen besteht häufig das Problem, dass
sich LSBTI-Geflüchtete dort nicht outen können. Trans-Personen haben es da
besonders schwer“, weiß Jäkel. Er findet es deshalb wichtig, so viele
spezielle Schutzräume und Angebote für LSBTI-Flüchtlinge zu schaffen, wie
möglich. Sie sollen zur Ruhe kommen können.
Auch Baris Sulu hofft, dass bald wieder Alltag in seinem Leben einkehrt.
Die Entwicklungen in der Türkei haben ihn sehr mitgenommen. Zurzeit
besuchen er und sein Partner einen Deutschkurs. Wenn das geschafft ist,
will Sulu nicht mehr unbedingt als LGBTI-Aktivist tätig sein. Lieber würde
er einem kreativen Beruf nachgehen. Als Dekorateur beim Fernsehen zum
Beispiel.
18 Jan 2017
## AUTOREN
Leonie Schlick
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