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# taz.de -- Egal, was ich poste – die Kommentare meiner Facebook-Freunde aus …
Warum so ernst?
von Aboud Saeed
Mein Leben auf Facebook begann ich mit fremden Freunden aus Damaskus. Wobei
zu bemerken ist, dass ich noch nie in meinem Leben in Damaskus war. Ich
weiß nicht einmal, wie es dort aussieht. Dennoch kommen die meisten meiner
Facebook-Freunde aus Damaskus, Latakia, Homs und As-Suwaida.
Unter meinen Facebook-Freunden gibt es Künstler, Intellektuelle und schöne
Frauen. Alles, was das Herz begehrt, ist vertreten. Alles befindet sich im
Inneren des Bildschirms. Wenn ich den Bildschirm ausschalte, verschwinden
die Freunde auf einmal.
Damals hatte ich keine Facebook-Freunde aus Aleppo. Meine Facebook-Freunde
waren alle Ausländer. Dann geschah, was geschah, und ich war in Deutschland
und hatte noch mehr Facebook-Freunde: Deutsche, Brasilianer und Libanesen.
Doch noch immer keine aus Aleppo.
Wohin sind diese Menschen bloß vertrieben worden, fragte ich mich. Welches
Land haben sie besiedelt? Die Bewohner von Aleppo sind in Wirklichkeit
überall. Inzwischen auch auf Facebook. Durch reinen Zufall haben sie mich
auf Facebook gefunden. Und die Geschichte ist die: Einer von ihnen hieß
Nouri Handal. Nouri Handal hat in Aleppo Kassetten verkauft. Zurzeit hockt
er im Flüchtlingsheim und unterhält seine Kollegen. Einer fragte ihn:
Kennst du Aboud Saeed?
Meinst du Aboud, den Eisenschmied?
Ach, Mensch! Nein. Er ist ein Schriftsteller und kein Eisenschmied. Er
kommt aus Aleppo. Und der nervt mit seinen Geschichten über Aleppo.
Nouri schickte mir eine Freundschaftsanfrage auf Facebook. Die Folge: Es
regnete nur noch Freundschaftsanfragen von Aleppinern. Ich kam mir vor, als
wäre ich im Industrieviertel von Aleppo, denn alle waren auf Facebook aktiv
und übten handwerkliche Berufe aus.
Alle waren ständig dabei, Likes zu verteilen und Dinge zu posten. Ich hatte
den Eindruck, ihnen war alles Jacke wie Hose. Sie fühlten sich frei,
strahlten Freude aus und kommentieren jeden Eintrag. Ihre Kommentare bei
mir bestanden aus zwei Worten, die auf Deutsch „Voll Lampe“ heißen und so
viel bedeuten wie: „Läuft bei dir!“ – Es läuft wie der Strom, den man
bräuchte, um eine Lampe anzuzünden.
Während meine Facebook-Freunde aus Damaskus und Beirut meine Posts mit
„schön“ oder „gefällt mir nicht“ kommentieren, schreiben meine
Facebook-Freunde aus Aleppo: „Voll Lampe“. Wenn ich über Wein, Bier oder
Bars poste, schreiben sie: „Voll Lampe.“ Ich poste einen ins Deutsche
übersetzten Text – sie kommentieren: „Voll Lampe.“ Selbst wenn ich Aleppo
mit einem Text beweine, schreiben sie: „Voll Lampe.“ Dann schreibe ich
etwas über meine Einsamkeit und die Dunkelheit in Deutschland; und sie
quittieren es mit: „Voll Lampe.“
Voll Lampe, ja, die Lampe brennt bei mir; das ganze Leben mit den
Einwohnern von Aleppo läuft. Denn die Dunkelheit hat ihnen beigebracht,
ehrlich zu sein und sich zu wünschen, dass eine Lampe brennt.
Aus dem Arabischen: Mustafa Al-Slaiman
9 Jan 2017
## AUTOREN
Aboud Saeed
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