# taz.de -- Radikaler Humanist | |
> Kunstkritik Picasso und Konsumgesellschaft: 90-jährig ist John Berger | |
> gestorben | |
Bild: John Berger | |
„In einer Kategorie des durchschnittlichen europäischen Ölgemäldes sind | |
Frauen das wiederkehrende Thema: der Aktmalerei. Dort erkennen wir | |
Kriterien und Konventionen, entlang derer Frauen beurteilt wurden. Wir | |
können sehen, wie Frauen gesehen wurden.“ 1972 sprach John Berger diese | |
Sätze in die Kameras der BBC, mit der er für sein Werk „Ways of Seeing“ | |
(„Sehen“) kooperierte. Dass das Sehen den Platz des Menschen in seiner ihn | |
umgebenden Welt bestimme, war die Prämisse des Buches, das später in den | |
Lehrplan vieler Universitäten aufgenommen wurde. | |
Berger, der sich als marxistischer Intellektueller verstand, schrieb | |
kunsthistorische Bücher, Romane, Gedichte, Theaterstücke und Essays. | |
Immer wieder forderte er die traditionellen Sichtweisen auf Kunst und | |
Gesellschaft und ihre Verbindungen heraus. | |
Berger wurde 1926 in Hackney bei London geboren. Nach einem kurzen | |
Intermezzo bei der britischen Armee studierte er ab Ende der 1940er Jahre | |
Kunst in London, wo er selbst malte und von 1948 bis 1955 auch | |
unterrichtete. Zu dieser Zeit begann er, Essays und Kritiken zu verfassen. | |
Sein Schreiben passte in keine etablierte Form. 1965 analysierte er den | |
Zusammenhang zwischen der Karriere Pablo Picassos und der Konsumkultur | |
seiner Zeit. Zudem stellte er die Theorie auf, der Kubismus habe die | |
russische Revolution vorhergesagt. | |
Berger polarisierte. Als er 1972 den begehrten Booker Prize für seinen | |
experimentellen Roman „G“ erhielt, verkündete er, die Hälfte des | |
Preisgeldes von 50.000 Pfund an die revolutionäre Black-Panther-Bewegung zu | |
spenden: Die Ideen der Gruppe entsprächen seiner politischen Gesinnung. | |
Weiteres Politikum war seine Haltung zum umstrittenen Werk „Die Satanischen | |
Verse“ von Salman Rushdie, das 1988 veröffentlicht wurde. Nachdem die | |
Islamische Republik Iran aufgrund des Buches ein Kopfgeld auf Rushdie | |
aussetzte, bekam er von vielen Schriftstellerkollegen Rückendeckung. Von | |
Berger jedoch nicht. Er hielt Rushdie vor, das Werk schüre Hass bei frommen | |
Muslimen, die er durch das Werk diffamiert sah. | |
Noch im vergangenen Jahr war eine Dokumentation über Berger erschienen, | |
produziert von der Schauspielerin Tilda Swinton. Jetzt ist der „radikale | |
Humanist“, wie Swinton ihn nennt, im Alter von 90 Jahren in seinem Haus im | |
Pariser Vorort Antony gestorben. | |
Yannick Ramsel | |
4 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Yannick Ramsel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |