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# taz.de -- Reclaim the Wolkenkratzer
> Doku Zwischen Hochhäusern der Strand: Der poetische Film „Hong Kong
> Trilogy“ erzählt von der „Umbrella“-Bewegung
Bild: Kippt trotz des dokumentarischen Blicks immer wieder um in allzu niedlich…
von Lukas Foerster
John Lennons „Imagine“ taugt, wer hätte das gedacht, immer noch zum
Soundtrack linksromantischer Protestbewegungen. Im Stadtzentrum Hongkongs,
auf der Harcourt Road, projizierten Aktivisten der „Umbrella-Revolution“ im
Jahr 2014 ihre Forderungen an eine Wand, begleitet von den Klängen des
Politkitsch-Evergreens. Lose inspiriert von der Occupy-Bewegung, aber vor
allem als Reaktion auf einen Erlass der chinesischen politischen Führung,
der allen Hoffnungen auf Demokratie einen Riegel vorgeschoben hatte, legten
die Protestierenden fast drei Monate lang eine Hauptverkehrsstraße der
Millionenstadt lahm.
Dokumentarische Aufnahmen der Umbrella-Demonstrationen und -Camps bilden
das politische Kernstück eines Films, der sich an einem alternativen
Sozialpanorama der einstigen britischen Kronkolonie und jetzigen
chinesischen Sonderwirtschaftszone versucht. „Hong Kong Trilogy –
Preschooled Preoccupied Preposterous“ spielt fast durchweg auf Straßen, im
öffentlichen Raum. Der Regisseur Christopher Doyle interessiert sich dabei
nicht für das Hochglanz-Hongkong der Banken und Designerläden. Wenn er die
verglasten Wolkenkratzer gelegentlich doch im Hintergrund seiner Figuren in
Szene setzt, hat das etwas von einer Drohung: In denen könntet ihr auch
enden.
„Hong Kong Trilogy“ vermisst in drei Kapiteln die Freiräume zwischen den
Hochhäusern. Im ersten (und schönsten) geht es um Mädchen und Jungen, die
zwar in einer Schule mit blauen Fensterfronten auf das „rat race“ eines
enthemmten Kapitalismus vorbereitet werden; denen aber vorläufig noch genug
Zeit bleibt, in ihren blauen Schuluniformen ziellos die Stadt zu
durchstreifen. Der Mittelteil widmet sich den Protesten selbst und
porträtiert einige ihrer extravaganteren Protagonisten; etwa einen nerdigen
jungen Mann, der Urban Gardening-Techniken austüftelt und mit einem
rollenden Grasbett durch die Straßen schlendert. Zum Abschluss folgt Doyles
Kamera einer Gruppe von Rentnern, die in Straßenbahnen zu einem
improvisierten Speed-Dating-Event kutschiert werden.
Doyle ist in Australien geboren, aber seit seinem 18. Lebensjahr ein
Weltenbummler. Nachdem er sich als Naturheiler und Cowboy durchgeschlagen
hatte, wandte er sich in den 1980er-Jahren dem Kino zu, zumeist als
Kameramann. Auch da ist er weit herumgekommen, hat Filme in Frankreich,
Thailand und Taiwan fotografiert, gelegentlich auch in Hollywood – vor
allem aber in Hongkong. Insbesondere seine Kollaborationen mit Wong Kar-Wai
Mitte der 1990er-Jahre sind eine Augenweide im wahrsten Sinne des Wortes.
In den rauschhaft-impressionistischen Bildwelten, den grenzpsychotischen
Farbekstasen, den alle Grenzen zwischen psychischen und physischen Räumen
überschreitenden rasant-geschmeidigen Kamerafahrten von Filmen wie
„Chunking Express“ oder „Days of Being Wild“ meint man die Welt tatsäc…
noch einmal ganz neu entdecken zu können. Jetzt hat der Schöpfer
audiovisueller Ausnahmezustände etwas auf den ersten Blick völlig anderes
gedreht: einen sozialkritischen Dokumentarfilm. „Hong Kong Trilogy“ ist auf
jeder Ebene von demokratischer Emphase geprägt. Teile des Budgets
organisierte der Regisseur über eine Kickstarter-Kampagne, im Film treten
ausschließlich nichtprofessionelle Darsteller auf, die mehr oder weniger
sich selbst spielen: „Dieser Film wird von den Menschen erzählt, die in ihm
zu sehen sind.“
Dennoch ist das aktivistische Interesse nur eines unter vielen, das Doyle
umtreibt. Zwischen die Voice-over-Stimmen, die Interviews mit
Stadtbewohnern entnommen sind, mischt sich der Freestyle-Rap eines von
Liebeskummer geplagten Teenagers; und Doyles dokumentarischer Blick kippt
immer wieder um in etwas allzu niedlich geratene Alltagspoesie. Etwa wenn
ein Mädchen mit roter Schildkappe Eierkuchen an traurig dreinblickende
Passanten verteilt. Im Kern ist der Film vor allem die Liebeserklärung
eines Ästheten an eine Stadt, die ihn zu seinen exaltiertesten Kreationen
inspiriert hat: eine audiovisuelle Stadtcollage, deren Fluchtpunkt eher
fröhlich proliferierende Kunstproduktion als eine wütende Revolte ist.
„Hong Kong Trilogy“: ab 15. 12 in den Kinos, u.a. Lichtblick Kino,
Kastanienallee 77, 19.45 Uhr
15 Dec 2016
## AUTOREN
Lukas Foerster
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