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# taz.de -- Aufstand der Zwerge
> Protest Was machen die bronzenen Wichtel da? Auf Spurensuche in Breslau
Aus Breslau Milan Panek und Philipp Baun
Der Morgennebel lichtet sich in Wrocław, einer Stadt im Südwesten Polens –
Breslau zu Deutsch. Zwischen Backsteingebäuden treiben Stadtführer
Touristen über den Plac Solny, bunte Fassaden werden hastig fotografiert,
dann geht es ins jüdische Viertel. An beinahe jeder Ecke tauchen kleine
Zwerge auf. Einer schiebt eine Schubkarre, einer klettert eine Laterne
hoch. Der nächste hält eine Kugel Eis in der Hand. Was soll das?
Piotr Łącki steht in Breslaus Altstadt auf dem Weihnachtsmarkt, Krippen,
Glitzer, Glitzer, polnische Käsespezialitäten links, Wurstwaren rechts.
„Die Bedeutung der Zwerge ist weniger mythologisch als politisch“, sagt er.
Ursprünglich habe es die Zwerge nur als Graffiti gegeben, auf Brücken und
an Wände gesprüht. Die Orange Alternative, eine Studentenbewegung, hat
Breslau zu einem der Zentren des antikommunistischen Protests im Polen der
Achtziger gemacht, erzählt Łącki – neben der Solidarność-Bewegung in
Danzig. Das 1981 verkündete Kriegsrecht hatte die Studenten in Breslau zum
zivilen Ungehorsam veranlasst. Sie veranstalteten Happenings in
Zwergenkostümen und die Behörden griffen nicht ein: „Hätte äußerst
merkwürdig ausgesehen, wenn Beamte einen Zwerg festgenommen oder geschlagen
hätten“, sagt Łącki, den Geruch von Glühwein um sich.
13 Uhr im Straßenbahndepot wenige Tramstationen weiter: Karol, der
Skulpturenkünstler, steht auf. Er klatscht sich Wasser ins bärtige Gesicht
und kocht Tee. Karol, Mitte dreißig, hat diese Räume gemietet. Bronzene
Wichtel stehen dort auf Werkbänken, Wasserkanister stapeln sich, Gips und
Drähte hat er auf dem Boden, Reifen, Eimer, Schutt. Was der über zwei Meter
Große mit Zwergen zu tun hat?
„Solange sich Leute an ihnen erfreuen, ist das doch eine schöne Sache“,
sagt Karol, mit Zigarette sitzt er im Sessel. Eigentlich findet er die
Zwerge kitschig, vor Jahren aber hat die Stadt ihn und einige andere
beauftragt, die Figuren zu gießen. Früher waren sie dazu da, der Orangen
Alternative zu gedenken – mittlerweile seien sie vor allem Image: Symbole
der Stadt.
Und nicht nur in Breslau. „Wir produzieren die Zwerge neuerdings auch für
Japaner und Amerikaner. Praktisch für jeden rund um die Welt.“ Karol bindet
sich die schwarz-grauen Haare zum Pferdeschwanz. Preislich würden die
Figuren bei 4.000 Zloty beginnen, also 900 Euro. Viel zu wenig für den
Aufwand, findet Karol. Der Herstellungsprozess nämlich sei komplex, vieles
könne schiefgehen: „Wenn ich die Bronze gieße, ist sie 1.200 Grad heiß.“
Erkaltet sind sie hier die Hauptattraktionen in den Straßen; lenken die
Leute von ihren Smartphones ab. Ähnlich wie die Riesenseifenblasen, die
Severan Jaczik vor dem Rathaus zieht – keine dreihundert Meter von dem
Zwerg, der an der Hauswand einer Bank bronzene Geldscheine abhebt. Jaczik
ist Straßenkünstler, 23, „meiner Meinung nach sind die Zwerge vor allem
etwas für Kinder“, sagt er. „Auf der Jagd nach ihnen flitzen sie durch die
Stadt und entdecken ständig neue Ecken.“
Vor einer Menge Restaurants und Hotels finden sich jetzt die Zwerge – vor
jedem Gebäude, das zur Marketingkampagne der „Zwergenstadt“ gehören will.
Sie fahren Bagger, löschen Brände, probieren Brillen vor dem Optiker oder
liegen auf Kopfsteinpflaster, als müssten sie einen Kater kurieren. Wie
viel Revolution kann in ihnen noch stecken?
Mit 19 weiteren erinnert der „Papa Zwerg“ in der Swidnicka-Straße – wo d…
Proteste stattfanden – an den Ursprung der kleinen Bewohner. Von ungefähr
395, die es mittlerweile in Breslau geben soll. So erzählt das Piotr Łącki,
zwischen den Ständen am Marktplatz, wo es Sauerkraut mit Kassler und
„Nalesniki“ gibt – polnische Crèpes.
„Die Energie, mit der die Aktivisten damals für Meinungsfreiheit gekämpft
haben, steckt immer noch in dieser sehr jungen Stadt“, sagt er. Vor Kurzem
sei eine App entwickelt worden, mit der man die Zwerge suchen kann. „Die
Breslauer sind keine Fans von ,Pokémon Go‘.“ Łącki lacht. „Wir sammeln
lieber unsere Zwerge ein.“
28 Nov 2016
## AUTOREN
Milan Panek
Philipp Baun
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