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# taz.de -- Handwerk hat immer noch goldenen Boden
> Handarbeit Bedrohung von Arbeit durch Digitalisierung gibt es im Handwerk
> nicht, trotzdem haben die Betriebe seit Jahren Mühe, die
> Ausbildungsplätze zu besetzen. Jetzt wollen sie Geflüchtete für die Jobs
> gewinnen
Bild: Ein Auszubildender arbeitet mit einem Handhobel: Je schmutziger der Job, …
von Hannes Vater
Oft ist es schwer, einen Handwerker zu bekommen, wenn man einen braucht.
Das hat verschiedene Ursachen. Die Auftragsbücher der Betriebe seien so gut
gefüllt, dass die Handwerker kaum mit der Arbeit hinterherkommen, sagt
Bernd Seeger, Geschäftsführer des Berufsbildungswerks der Hamburger Innung
Sanitär, Heizung, Klimatechnik (SHK). Vielen Unternehmen mangele es
allerdings auch an Nachwuchs.
Deutschlandweit wurden rund 18.000 Ausbildungsplätze in diesem Jahr nicht
besetzt – und zwar branchenübergreifend. Gleichwohl sind fehlende Plätze
immer noch das gravierendere Problem: rund 80.000 junge Menschen fanden
keine Stelle.
Die Hamburger Handwerkskammer zeigt sich denn auch unbesorgt: Es sei
schwierig, den Fachkräftebedarf zu decken, allerdings ist es „seit Jahren
möglich, die Ausbildungszahlen stabil zu halten“, sagt Ute Kretschmann,
Sprecherin der Handwerkskammer.
Diese Diskrepanz zwischen nicht besetzten Stellen und jungen Leuten ohne
eine Ausbildungsstelle lässt sich einerseits dadurch erklären, dass manche
Handwerkskünste bei jungen Leuten beliebter sind als andere. Während ein
Fotostudio zu viele Bewerbungen bekommt und sich höchstens über den Mangel
an qualifiziertem Nachwuchs beklagt, haben Bäcker, Maler oder
Anlagenmechaniker Probleme, überhaupt Interessenten zu finden, lassen die
Hamburger Innungen des Handwerks durchblicken.
„Viele Jugendliche wollen sich nicht die Hände schmutzig machen“, sagt
Frank Hüllmann, Geschäftsführer des Anlagenmechanikerbetriebs Loppow &
Sohn. Stattdessen habe der Nachwuchs mehr Lust, mit Computern und neuer
Technik zu arbeiten. In seinem Hamburger Betrieb hat er dieses Jahr fünf
Auszubildende.
Er sagt, da habe er Glück gehabt. Zwar habe die aktive Werbung um Nachwuchs
und die Umbenennung des Berufs von „Heizungsbauer“ beziehungsweise „Gas-
und Wasserinstallateur“ zu „Anlagenmechaniker“ bereits gefruchtet, dennoch
steige die Zahl der Bewerber seit fünf Jahren nur langsam. Die meisten
Bewerbungen erreichten ihn erst „kurz vor Toresschluss“.
Unter den Bewerbern fänden sich nur von auswärts Zugezogene oder
Geflüchtete. Niemand aus der Gegend. „Das interessiert die gar nicht“, sagt
Hüllmann. Junge Geflüchtete sieht Hüllmann als eine große Chance für das
deutsche Handwerk.
Einer seiner fünf Auszubildenden ist aus Ägypten nach Deutschland gekommen.
Er absolvierte ein Praktikum im Betrieb, lernte innerhalb weniger Monate
Deutsch und stellte sein handwerkliches Geschick unter Beweis. Hüllmann
sagt, es gebe in Flüchtlingsunterkünften viele begabte junge Menschen, die
einen ähnlichen Weg gehen könnten, wenn man sie den ließe. Stattdessen
hätten die potenziellen Anwärter aber mit bürokratischen Hürden zu kämpfen.
„Diese Barrieren sollte man sofort abschaffen.“
Bernd Seeger sieht das ähnlich: „Wir müssen uns intensiv um Flüchtlinge
kümmern.“ Dass plötzlich so viele junge Menschen in Deutschland seien, die
man fürs Handwerk gewinnen könne, sei eine großartige Gelegenheit, so
Seeger.
Im April haben der Handwerksverband und die Bundesagentur für Arbeit ein
Projekt gestartet mit dem Ziel, 10.000 Flüchtlinge binnen zwei Jahren in
eine Ausbildung zu vermitteln. Die Struktur ist dabei die gleiche, wie bei
anderen Nachwuchsprojekten: Interessenten finden, sie über Tätigkeiten
informieren, schauen, wo individuelle Stärken liegen und sie langsam fit
für den Beruf machen. Zudem müssen Neuankömmlinge Deutsch lernen.
„Tausende Betriebe hätten die Flüchtlinge lieber heute als morgen, ihnen
geht es nicht schnell genug“, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident des
Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Um das Handwerk hierzulande wieder
attraktiver zu machen, sollten sich Betriebe besser präsentieren und mehr
gemeinsame Werbung machen, fordert Innungsvertreter Seeger.
Dass aktive Werbemaßnahmen in den vergangenen Jahren bereits gewirkt haben,
sieht auch Florian Höft von der Maler-und-Lackierer-Innung Hamburg. So
seien die Nachwuchszahlen heute „steigend auf niedrigem Stand“. 2016 wurden
stolze 18 Prozent mehr Ausbildungsverträge im Vergleich zum Vorjahr
abgeschlossen. Insgesamt 450 in ganz Hamburg.
Florian Haggenmiller, Bundesjugendsekretär des Deutschen
Gewerkschaftsbundes (DGB), wundert es dagegen nicht, dass Betriebe ihre
Ausbildungsstellen nur schwer besetzt bekommen. Denn im Handwerk sei die
Ausbildung oft von schlechter Qualität. Jedes Jahr stelle der DGB durch
seinen Ausbildungsreport fest, dass jeder dritte Handwerkslehrling
„ausbildungsfremde Tätigkeiten“ wie Botengänge oder Putz- und
Aufräumarbeiten machen muss, die nichts mit der Ausbildung zu tun haben.
Ebenso viele würden mit einer Vergütung von 250 bis 500 Euro sehr schlecht
bezahlt – der Durchschnitt liege bei 717 Euro.
Auch seien Auszubildende bereits zu Beginn ihres Arbeitslebens hohen
psychischen Belastungen ausgesetzt. Mehr als die Hälfte ging regelmäßig
krank zur Arbeit. Unter den Top Ten der Ausbildungsberufe sei die
Abbruchquote in handwerklichen Berufen die Höchste.
Haggenmiller schlussfolgert, dass die Qualität der Ausbildung besser werden
müsse. Dabei sei die Politik gefragt, das Berufsbildungsgesetz zu erneuern.
Dieses Gesetz regelt die Rahmenbedingungen dualer Ausbildungen und sei
„seit Jahrzehnten nahezu unverändert“. Es müsse „endlich an die Realit�…
angepasst werden“, so der Gewerkschaftler. Neben besserer Qualität sollten
Ausbildungen zukünftig besser strukturiert und gestuft sein und eine höhere
Durchlässigkeit vorweisen, die unterschiedliche Bildungswege begünstigen.
Auch die Betriebe seien gefragt: Statt teurer Imagekampagnen sollte der
Zentralverband des deutschen Handwerks besser für attraktive
Rahmenbedingungen sorgen: „Übernahmegarantien, Aufstiegsperspektiven und
Regelungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ seien für junge
Menschen wichtig, sagt Haggenmiller. Da müsse nachgebessert werden.
Mit Blick auf die 80.000 jungen Menschen, die laut Bundesagentur für Arbeit
2016 ohne Ausbildungsvertrag blieben, sei denn auch nichts dran am „Märchen
vom Azubi-Mangel“, sagt Haggenmiller. Damit die jungen Leute sich
erfolgreich um eine Ausbildung bewerben können, müssten die Betriebe sich
endlich davon verabschieden, nur die „Besten“ haben zu wollen.
So gebe es staatliche Unterstützung bei der Ausbildung junger Menschen mit
Förderungsbedarf: Assistierte Ausbildungen oder ausbildungsbegleitende
Hilfen seien für Unternehmen und Azubis gleichermaßen gedacht, sagt
Haggenmiller. Die Unternehmen sollten sie einfach nutzen – und zwar stärker
als bisher.
In einem Punkt sind sich alle einig: Das Handwerk hat Zukunft. Zwar würden
Digitalisierung und neue Technologien wie der 3-D-Druck das Handwerk
verändern, allerdings nur, was den Bau und die Regelung einzelner Teile
betrifft. „Bis ein Roboter das Waschbecken wechselt“, sagt Kammersprecherin
Kretschmann, „dauert es noch.“
3 Dec 2016
## AUTOREN
Hannes Vater
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