# taz.de -- Bestandsaufnahme der Echtzeitmusik | |
> HYBRIDKlassik, Improvisation, Neue Musik, Jazz, Elektronik und | |
> Klangkunst: Das 2002 in Sydney gegründete Splitter Orchestra veranstaltet | |
> an vier Tagen im Kulturzentrum Wabe und im Ballhaus Ost sein erstes | |
> Festival | |
Bild: Ohne Dirigenten die Struktur der Improvisationen analysieren: das Splitte… | |
von Franziska Buhre | |
In Krisenzeiten erst recht klotzen – so ließe sich der Wagemut und die | |
Beharrlichkeit auf den Punkt bringen, die eine Orchestergründung in Zeiten | |
öffentlicher Sparzwänge, restlos ökonomisierter Strukturen der Musikwelt | |
und angesichts vielfach aufgespaltener Erwerbszweige für freischaffende | |
Musiker_innen erfordert. Das 24-köpfige Berliner Splitter Orchester ist | |
stolze sechs Jahre alt und lädt für Bestandsaufnahmen der improvisierten | |
und experimentellen komponierten Musik an vier Tagen zu seinem ersten | |
Festival in das Kulturzentrum Wabe und ins Ballhaus Ost. | |
Das Orchester, bestehend aus Musiker_innen der Berliner Echtzeitmusikszene, | |
hat eine Vorgeschichte, deren Grundsteine in Australien gelegt wurden. 2002 | |
gründete sich in Sydney das Splitter Orchestra, das bis heute besteht und | |
Musiker_innen der improvisierten Musik, Klassik, Neuen Musik, aus Jazz, | |
elektronischer Musik und Klangkunst versammelt. Das Orchester arbeitet ohne | |
Dirigenten und veranstaltet das NOW now Festival, der Bassist Clayton | |
Thomas ist eines seiner Gründungsmitglieder. Auf Einladung der Kuratorin | |
Lisa Stepf stellte er 2009 für das Hybrid Arts Fest Australia im Berliner | |
Radialsystem das Splitter Orkest zusammen. Gemeinsam mit seiner Landsfrau, | |
der Guzheng-Spielerin und Harfenistin Clare Cooper und Gregor Hotz vom | |
Organisationsteam des Clubs ausland, gründet Thomas 2010 das Splitter | |
Orchester. Fünf weitere australische Wahlberliner_innen sind dabei, | |
außerdem Composer-Performer_innen aus Deutschland, den Vereinigten Staaten, | |
Israel, Italien, Mexiko, England, Norwegen und Bulgarien. | |
Seit Anbeginn gibt das Orchester mindestens ein Konzert im Jahr, in der | |
Wabe findet es anfangs großzügigen Unterschlupf für seine Proben, weshalb | |
das Festival genau dort am Donnerstag auch startet. „Für mich war die | |
Einladung und Auswahl der Musiker_innen durch Clayton und Clare ihre erste | |
Komposition für das Orchester,“ erzählt Hotz im Gespräch. Die freie | |
Improvisation im großen Kollektiv will geübt sein, um den Klang des | |
Orchester weiter zu entwickeln. „Wir sprechen nach den Proben sehr viel | |
darüber, was während der Improvisationen passiert ist und analysieren die | |
Strukturen“, so Hotz. „Deshalb gelingt es dem Orchester auch, obwohl es so | |
viele Leute sind, immer wieder sehr kohärente Konzerte zu geben. Wir | |
donnern auch mal in die Gemeinplätze der improvisierten Musik und merken, | |
jetzt müssen wir da wieder rauskommen“, so Hotz. | |
Eine Besonderheit des Orchesters ist, dass es kleinere Ensembles | |
beherbergt, ein Trio aus Streichern etwa, ein Klarinettenquartett oder eine | |
Fraktion elektronischer Musiker_innen. Beim Festival sind auch andere | |
Ensembles von Splitter-Mitgliedern zu erleben: Andrea Neumann und ihre | |
Gefährtinnenin Les Femmes Savants laden die experimentierfreudige Sängerin, | |
Gitarristin und Songwriterin Margareth Kammerer zur Uraufführung von | |
Miniaturen mit Texten der kanadischen Dichterin Anne Carson, das | |
Postrock-Trio des Schlagzeugers Steve Heather, The Still, lädt den | |
Pianisten der australischen Kultband The Necks, Chris Abrahams, und den | |
Multiinstrumentalisten Thomas Meadowcraft zu schwebenden Harmonien mit | |
Orgel und einem Tonbandgerät. | |
Neue Wege schlägt das Splitter Orchester mit einer Auftragskomposition ein | |
und mit dem Umstand, dass Musiker_innen aus seinem Kreis in mehreren | |
Konzerten die Leitung übernehmen – ungewöhnlich für den demokratischen | |
Verbund freier Improvisator_innen. Für die gemeinsame Performance mit dem | |
Insub Meta Orchestra aus Genf bot sich aber das Soundpainting-Verfahren an, | |
welches die Flötistin Sabine Vogel seit vielen Jahren ausübt. Die | |
Zeichensprache für Live-Kompositionen ist auch für Zuschauer_innen ein | |
Vergnügen, neben sprechenden Gesten wie dem Herz oder der Pistole | |
erschließen sich die Gesten für einzelne Instrumentengruppen, Lautstärke | |
und Tonhöhe schnell. Tonhöhen bestimmen das musikalische Konzept des | |
Quartetts The Pitch, in dem drei Musiker des Splitter Orchesters spielen. | |
Mit einer Komposition von The Pitch wird Splitter nun zum Frozen Orchestra. | |
„Das ist eine sehr ungewöhnliche Aufgabe für das Orchester“, meint Gregor | |
Hotz. „Splitter ist ja sonst in einem sehr abstrakten Tonraum zu hause, in | |
dem sie die Tonhöhen mitunter nicht genau definieren, es geht eher um die | |
Diffusion von Sounds, von Klang im Raum, als um melodische Arbeit.“Als | |
Manager des Orchesters verfolgt Hotz ein fast verwegenes, aber logisches | |
Unterfangen. „Ich bin immer daran interessiert, die frei improvisierte | |
Musik auch zu strukturieren. Soundpainting ist ein Beispiel dafür, wie die | |
offene Form durch eine Struktur eingefangen werden kann.“ | |
Ein anderes ist das CreativeConstruction Set™, das auf 32 Karten mit | |
Spielanweisungen basiert, deren Reihenfolge jedeR PerformerIn selbst | |
bestimmt. Der Komponist, Posaunist und Chronist der Associationfor the | |
Advancement of Creative Musicians (AACM) aus Chicago, George Lewis, hat es | |
2015 beim Jazzfest Berlin mit dem Splitter Orchester aufgeführt und im | |
Studio des SWR eingespielt. Die Record Release Party wird beim Festival | |
gefeiert. | |
24 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Franziska Buhre | |
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