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# taz.de -- Ein paar verdrängte Wahrheiten
> Kino „Around the World in 14 Films“ bietet eine Nachlese aus den großen
> Festivals. Mit Filmen von Cristi Puiu, Lav Diaz oder Otar Iosseliani
> zeigen sie herausfordernde Filme, die Verleiher manchmal fürchten
Bild: Szene aus „Sieranevada (Romanian Night)“ von R. Cristi Puiu
von Andreas Busche
Der internationale Filmfestivalbetrieb ist ein sich selbst erhaltendes
System mit geringer Durchlässigkeit. Der Großteil der Filme, die in Cannes,
Berlin, Venedig, Toronto, Busan oder auf kleineren Premierenfestivals wie
in Locarno, San Sebastian oder Karlovy Vary laufen, führen innerhalb dieses
Netzwerks ein Eigenleben. Viele von ihnen erleben noch nicht einmal in
ihren Entstehungsländern einen Kinostart, wobei schon die Frage der
Herkunft angesichts der heutigen Produktionsverhältnisse immer schwieriger
zu beantworten ist.
Um diese Diskrepanz zu verstehen, reicht schon ein Blick in das Programm
des Berliner Publikumsfestivals „Around the World in 14 Films“, das ab
morgen in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg stattfindet. Der türkische
Beitrag „Frenzy“ von Emin Alper etwa, einer der stärksten Filme in diesem
Jahr, ist eine Koproduktion zwischen der Türkei, Katar und Frankreich,
französisches Geld steckt auch in Cristi Puius bravourös doppelbödiger
Familienkomödie „Sieranevada“.
Freuen darf man sich immerhin, dass Lav Diaz für „The Woman Who Left“
endlich auch mal einen philippinischen Geldgeber fand und Kelly Reichardt,
die interessanteste Independentfilmerin im US-Kino, für ihren Episodenfilm
„Certain Women“ (mit Laura Dern, Michelle Williams und Kristen Stewart,
eine Traumbesetzung) diesmal nicht auf brasilianisches Geld angewiesen war.
Es handelt sich bei diesen Beobachtungen um keinen
nationalkinematografischen Chauvinismus, die wackligen Finanzierungsmodelle
und Produktionsallianzen zeigen vielmehr, wie prekär die Arbeitsbedingungen
für Filmemacher/innen im gegenwärtigen Weltkino sind. Insofern wirkt die
Idee von „Around the World in 14 Films“ (eine filmische Weltreise,
sozusagen im Geiste von Jules Verne) fast ein wenig anachronistisch.
## Hässliche Österreicherauf Großwildjagd
Natürlich haben die meisten der 23 Filme auch in diesem Jahr einen
konkreten Länderbezug, der überwiegend sogar mit dem jeweiligen
Produktionsland identisch ist – das gilt selbst für Ulrich Seidls
Mondo-Dokumentarfilm „Safari“, der eine Gruppe hässlicher Österreicher auf
der Großwildjagd in Afrika begleitet. Doch die globalen
Produktionsbedingungen belegen, dass sich das Weltkino zunehmend zu einer
Subsistenzwirtschaft wandelt.
Die Filme, die in Rahmen von „Around the World in 14 Films“ laufen,
befinden sich bereits am Ende ihres Festivalzyklus: Sie haben bestenfalls
einen deutschen Verleih gefunden oder ihnen droht das wahrscheinlichere
Schicksal, bald wieder in Vergessenheit zu geraten.
Im diesjährigen Programm setzt sich allerdings ein Trend fort, der schon in
den vergangenen Jahren zu beobachten war. Ursprünglich hatte sich „Around
the World in 14 Films“ auf die Fahnen geschrieben, die besten Filme eines
Festivaljahrgangs zu zeigen, bevor sie nach ihrer Laufzeit im
Festivalbetrieb aus der Öffentlichkeit verschwinden. Die elfte Ausgabe
erinnert dagegen an eine Promotion-Plattform für deutsche Filmverleiher im
soliden Mittelbau der Branche. Filme wie Xavier Dolans enttäuschend
konventionelles Kammermelodram „Einfach das Ende der Welt“, Asghar Farhadis
theaterhaftes Ehedrama „The Salesman“, Olivier Assayas wunderbar in einen
glamourösen Materialismus hineinlappende Geistergeschichte „Personal
Shopper“ oder eben der Seidl-Film – um nur einige Titel zu nennen – haben
bereits einen zeitnahen Kinostart.
An der Auswahl von „Around the World in 14 Films“ gibt es prinzipiell
natürlich nichts auszusetzen. Es bleibt lediglich zu hoffen, dass das
Programm auch den einen oder anderen Verleiher dazu inspiriert, sich einem
der „Filmwaisen“ anzunehmen. Allemal verdient hätte es „Sieranevada“ v…
Cristi Puiu, der mit einer virtuos kreisenden Kamera und sardonischem Witz
über fast drei Stunden die Beziehungen innerhalb einer Bukarester
Mittelstandsfamilie während einer Totenfeier – die aber kaum in Gang kommt
– seziert und dabei auch ein paar verdrängte Wahrheiten über die
postkommunistische Gesellschaft offenlegt. Puiu erweist sich erneut als
Meister subtiler Verschiebungen (im Tonfall, zwischen seinen Figuren),
versteht es aber auch klug, filmische Räume zu etablieren.
## Die schiere Länge isteine Herausforderung
Die Filme von Lav Diaz dagegen stellen potenzielle Verleiher schon wegen
ihrer schieren Länge vor eine Herausforderung. Dennoch ist das Rachedrama
„The Woman Who Left“ über eine Frau, die dreißig Jahre unschuldig im
Gefängnis saß, mit einer Länge von vier Stunden Diaz’ bislang
zugänglichster Film. Viele Gelegenheiten, den Preisträger des Goldenen
Löwen 2016 im deutschen Kino zu sehen, dürfte es dennoch nicht geben.
Das gilt ebenso für Otar Iosseliani, der sich schon vor Jahren heimlich aus
den deutschen Kinos verabschiedete und mit „Winter Song“, einer
Schelmenkomödie mit deutlichen Anleihen bei Jacques Tati, ein leichtfüßiges
und trotz allem würdiges Alterswerk abliefert. „Around the World in 14
Films“ zeigt den Film als Hommage an den inzwischen 82-Jährigen – eine
feine Geste, die den Veranstaltern ein paar zusätzliche Sympathiepunkte
einbringt. Die Filme des georgischen Regisseurs werden übrigens – um auf
die globalen Produktionsverhältnisse zurückzukommen – seit über 30 Jahren
in Frankreich produziert.
25. November bis 4. Dezember, Kino in der Kulturbrauerei, www.14films.de
23 Nov 2016
## AUTOREN
Andreas Busche
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