# taz.de -- Press-Schlag: St. Martin und die Work-Life-Balance | |
Müßiggang Profifußball ist zu anstrengend. Mainz Trainer Martin Schmidt | |
zeigt, dass weniger Belastung mehr Punkte ergibt | |
Das Leben eines Profisportlers ist kein Mutter-Kind-Turnen. Das wurde uns | |
erst kürzlich wieder klar, als der Tennisspieler Rafael Nadal klagte, das | |
zu hohe Tempo auf dem Court mache die Spieler kaputt. Es klang ein bisschen | |
nach Weichei am Karriereende, da Nadals beste Tage offenbar vorbei sind und | |
seine Gegner ihm zuliebe ja nicht einfach etwas langsamer spielen können. | |
Oder mit Softbällen. Wer sich ein Leben im Profisport ausgesucht hat, muss | |
da wohl durch. Doch eigentlich war es ganz erfrischend, dass mal jemand | |
sagte, dass das ganze Sportprofibusiness eine ordentliche Plackerei ist. | |
Einer, der das wohl auch erkannt hat, ist der Mainzer Trainer Martin | |
Schmidt. Er hat schon des Öfteren gewagt, Worte wie Regeneration, | |
Ruhepausen und Work-Life-Balance in den Mund zu nehmen. In einem Interview | |
mit der FAZ erklärte er kurz vor dem Spiel gegen Freiburg, dass den | |
Spielern freie Tage komplett fehlten, sich die ganzen Belastungen | |
summierten. Auch Martin Schmidt könnte man ein bisschen Genöle am System | |
nach der 1:3-Niederlage in Leipzig und der 1:6-Pleite im Europapokal in | |
Anderlecht unterstellen. Mist, Leute, wir packen das nicht, also ist es | |
einfach zu anstrengend, das viele Reisen, keine Zeit für ordentliches | |
Training, keine Zeit, ein gutes Buch zu lesen und mit den Kindern Drachen | |
steigen zu lassen. | |
Und doch geht Martin Schmidt das Dilemma an: Vor dem Freiburg-Spiel war | |
bewusste Erholung angesagt. Schmidt selbst war in der Sauna, hat | |
Stadtspaziergänge gemacht, war im Dom und auf einem Sankt-Martins-Umzug. Am | |
Freitag gab es nur ein 40-Minuten-Training. | |
Offenbar hat der Müßiggang gut getan: Gegen starke, aber unglückliche | |
Freiburger gewannen die Mainzer mit 4:2. Vor allem hatten sie die mentale | |
Müdigkeit überwunden und konterten die Anschlusstreffer der Freiburger zum | |
2:1 und 3:2 immer mit einem Tor. Fußball kann ja so einfach sein. Bitter | |
nur, dass die Freiburger zwei Schwerverletzte zu beklagen hatten | |
(Maximilian Philipp und Caglar Söyüncü), aber auch für die wird jetzt vor | |
allem eins wichtig sein: Regeneration. | |
Martin Schmidt könnte mit seinem Work-Life-Balance-Programm noch einen | |
Schritt weitergehen. Wie wäre es, wenn Mainz 05 Teilzeit für Profisportler | |
einführen würde? Die Vorteile liegen auf der Hand: Weniger Belastung | |
verspricht bessere Leistungen, den Spielern bliebe genügend Zeit für | |
Hobbys, Kinderbetreuung, Haushalt oder für das Schreiben einer | |
Doktorarbeit, den Spielerfrauen würde die Rückkehr in den Beruf | |
erleichtert. Überhaupt ist weniger arbeiten, also Downshifting, voll | |
angesagt, und Mainz 05 hätte womöglich nicht mehr das Problem, dass Spieler | |
nach kurzer Zeit den Verein wieder verlassen. Gut, wie man das umsetzt | |
(jeder spielt nur eine Halbzeit?), müsste man noch erarbeiten, aber da hat | |
Schmidt sicher schon ein Konzept an der Hand. Schließlich ist er nicht | |
umsonst der Nachfolger von so progressiven Trainertypen wie Jürgen Klopp | |
und Thomas Tuchel. | |
Ende Oktober hat Schmidt sogar schon einmal die Probe aufs Exempel gemacht: | |
Kurz vor dem Anpfiff gegen Ingolstadt schickte er seinen Spieler Karim | |
Onisiwo ins Krankenhaus zu seiner gebärenden Frau mit den Worten: „Komm, | |
hau ab. Das erlebst du nur einmal im Jahr.“ Während der Partie wurde der | |
kleine Leroy Onisiwo geboren. Und die Mainzer haben 2:0 gewonnen. Läuft | |
doch mit der Work-Life-Balance. Jutta Heess | |
21 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Jutta Heess | |
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